Jüngst war ja mal wieder Monatswechsel und auch Sachsens Arbeitsagenturen meldeten Rekordtiefstände bei den Arbeitslosenzahlen. Dafür fiel die Auswertung der Zahlen zu Beziehern von ALG II und Bedarfsgemeinschaften erstaunlich kurz aus - wenn sie überhaupt vorkamen außer in der Bemerkung, auch ALG-II-Bezieher würden von der Arbeitskräftenachfrage profitieren. Doch die Arbeitsmarktstatistik der Arbeitsagenturen hat mit einer echten, transparenten Analyse der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wenig bis nichts zu tun.

Darüber haben wir ja an dieser Stelle schon mehrfach berichtet. Und wenn man – wie Paul M. Schöder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) es regelmäßig tut – die Zahlen etwas genauer anguckt, dann merkt man auch im Jahresvergleich, dass der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt an den ALG-II-Beziehern zum größten Teil vorbei geht.

“Im Juni 2015 wurden von der Statistik der BA insgesamt 2,711 Millionen Arbeitslose registriert, 122.000 bzw. 4,3 % weniger als im Juni 2014″, stellt er fest. ” Von den 2,711 Millionen Arbeitslosen waren 782.000 (28,9%) im Rechtskreis SGB III (bei den 156 Arbeitsagenturen!) und 1,929 Millionen (71,1%) im Rechtskreis SGB II (bei den 408 Jobcentern!) registriert. (…) Nach vorläufigen, hochgerechneten Daten hatten im Juni 2015 759.000 (arbeitslose und nicht arbeitslose) Frauen und Männer Anspruch auf das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld (SGB III) und 4,418 Millionen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Bereinigt um die Zahl der etwa 91.000 sog. Aufstocker/Parallelbezieher (Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II) hatten im Juni 2015 etwa 5,086 Millionen erwerbsfähige Frauen und Männer Anspruch auf Arbeitslosengeld (SGB III) und/oder Arbeitslosengeld II, ‘54.000 Menschen weniger’ als ein Jahr zuvor. (vgl. BA-Monatsbericht, S. 21; BA-Monatsbericht 10/2014: Juni 2014: 5,140 Millionen).”

Wobei schon verblüfft, dass die meisten Arbeitslosen nun seit Jahren landauf, landab in den Jobcentern registriert sind. Nähe zum Arbeitsmarkt sieht anders aus.

Und während die Arbeitslosenrate in Deutschland seit Juni 2014 um 4,3 Prozent sank (in Ostdeutschland sogar um 7,1 Prozent), sank die Arbeitslosenrate im Bereich der Jobcenter (SGB II) nur um 1,8 Prozent (Ostdeutschland: 4 Prozent).

Nach wie vor bevorzugen die Unternehmen Bewerber aus dem Bereich der Arbeitsagenturen (SGB III). Was dazu führte, dass die Zahl der Arbeitslosen im Bereich SGB III sogar binnen eines Jahres um 9,9 Prozent sank, in Ostdeutschland sogar um 15,9 Prozent. Das hat mit Chancengleichheit schon nichts mehr zu tun: Die Unternehmen bevorzugen eindeutig Bewerber, die erst kurzzeitig arbeitslos sind, noch lieber natürlich junge, frisch ausgebildete Bewerber. Der Fachkräftemangel führt auch und gerade in Ostdeutschland nicht dazu, dass verstärkt auf die langzeitbetreuten Bewerber aus den Jobcentern zurückgegriffen wird. Was nicht nur damit zu tun hat, dass die dort betreuten Menschen viele Handicaps haben, vor denen Unternehmen zurückschrecken. Es liegt auch daran, dass viele der dort Betreuten mittlerweile wirklich zu lange aus einem regulären Arbeitsleben ausgestiegen sind. Sie wurden auch nach 2005 oft genug in sinnlosen und überflüssigen Weiterbildungs-, Umschulungs- und Beschäftigungsmaßnahmen untergebracht, die ihre Chance, mit einem Schritt auch wieder in ein reguläres Arbeitsverhältnis zu kommen, nicht erhöhten, sondern im Gegenteil dafür sorgten, dass die “Betreuten” dem realen Arbeitsmarkt weiterhin fern gehalten wurden.

Tragisch genug: Die “Arbeitsmarktreformer” sahen sich bis heute nicht gefordert, Sinn und Erfolg von “Hartz IV” zu evaluieren und zu untersuchen, ob überhaupt irgendeines der eingeführten Instrumente dazu beigetragen hat, die betroffenen Menschen leichter in eine reguläre Arbeit zu bringen.

Die reine Schaffung von prekären und zumeist schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen hat die Chancen dieser Menschen augenscheinlich nicht erhöht. Sie hat nur unter den sowieso schon flexiblen Arbeitsuchenden eine neue – quasi zweite – Arbeitsmarktreserve geschaffen, von Menschen, die jederzeit bereit sind, die sich bietenden Gelegenheiten zu nutzen und auch als Erste für die Einstellung in eine Vollzeitstelle in Frage kommen.

Auch dass gerade junge Arbeitsuchende bessere Chancen haben, belegen die von Paul M. Schröder zusammengestellten Zahlen: Bundesweit sank die Zahl der arbeitsuchenden unter 25-Jährigen zwar “nur” um 7,5 Prozent, in Ostdeutschland lag der Wert aber bei 14,1 Prozent. Mit 8 Prozent liegt die Jugendarbeitslosenquote im Osten zwar immer noch unverständlich hoch – der Bundeswert liegt nur bei 4,9 Prozent. Aber das hat dann wieder mit der Malaise eines Bildungssystems zu tun, das nach wie vor fast zehn Prozent der Schulabgänger ohne Abschlusszeugnis entlässt. Viele dieser jungen Leute drehen noch etliche Qualifizierungsrunden, bis ihnen der Sprung in eine Berufsausbildung gelingt.

Was trotzdem nichts daran ändert, dass diese 8 Prozent Jugendarbeitslosigkeit blamabel sind und vor allem teuer. Denn zumeist sind es ja die Kommunen, die hier mit Qualifizierungsprogrammen einspringen. Was sogar funktioniert, wie der Blick auf Sachsen zeigt, das mit seiner Jugendarbeitslosenquote zwar überm westdeutschen Schnitt liegt, aber mit Thüringen zusammen auch deutlich unterm ostdeutschen Schnitt.

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