Auch das verblüffte den OBM, als er die Zahlen der neuen „Bürgerumfrage 2015“ las: Mit 79 Prozent erreichte die „Lebenszufriedenheit“ der Leipziger 2015 einen neuen Rekordwert. Als die Bürgerumfrage 1992 begann, lag der Wert noch bei 47 Prozent. Und irgendwie scheint das nicht zu passen zu einer Stadt, die bei den Einkommen immer am unteren Tabellenende liegt im Vergleich deutscher Großstädte. Das hat sich ja nicht geändert.

Auch wenn 2015 nun ein Anstieg der monatlichen Nettoeinkommen der Leipziger von 1.207 auf 1.254 festgestellt werden konnte. Das ist noch immer wenig und hat nach wie vor damit zu tun, dass 33 Prozent der Leipziger über 18 Jahre weniger als 1.000 Euro Einkommen im Monat haben. Was auch mit der großen Zahl an Studierenden zu tun hat. Bei den 18- bis 25-Jährigen liegt der Anteil bei über 50 Prozent.

Aber nicht nur das beeinflusst diesen Wert. Denn natürlich müssten die Durchschnittseinkommen deutlich über 1.500 und 1.600 Euro landen, wenn das Durchschnittslohnniveau in Leipzig auch nur ansatzweise mit dem in westlichen Bundesländern vergleichbar wäre.

Aber über sämtliche Altersgruppen hinweg gibt es mindestens einen Anteil von rund 15 Prozent mit Personen, die nur über ein prekäres Einkommen verfügen. Tatsächlich liegen 69 Prozent aller Befragten im Einkommensbereich unter 1.600 Euro. Und es gibt gerade unter den Älteren Viele, die für die heftigen wirtschaftlichen Umbrüche seit 1990 mit deutlichen und vor allem dauerhaften Einkommenseinbußen bezahlen. Bei den 58-Jährigen schnellt die Kurve der Menschen, die mit weniger als 1.000 Euro leben müssen, auf über 20, bei den 66-Jährigen auf über 30 Prozent.

Da spricht auch Burkhard Jung von einem „Bauch“, der sich immer weiter voranschiebt und mit dem die Stadtpolitik wird umgehen müssen. Denn hier entsteht ein ganzes Heer von Rentnern, die mit den kargen Brocken aus ihrer Rente nicht mehr über die Runde kommen werden.

Und da auch die aktuelle Regierung lieber an die Pflege der gut versorgten Rentner denkt, nicht an die eh schon durch Kürzungsmaßnahmen gebeutelten Generationen, wird der Berg immer weiter wachsen. Immer mehr Leipziger werden auf die Unterstützung der Stadt angewiesen sein. Und das, obwohl die Leipziger Arbeitslosenquote von einst 20 Prozent auf unter 9 Prozent gesunken ist. Der OBM hat sogar schon die 8 Prozent im Visier und wünscht sich 7 oder gar 6 Prozent. Trotz Bevölkerungswachstum um prognostizierte 700.000.

Das wären 60.000 bis 70.000 neue Arbeitsplätze bis 2030. „Die werden im Grunde unsere mittelständischen Betriebe schaffen müssen“, sagt er.

Und wenn sie es nicht schaffen, wird es wohl auch das Bevölkerungswachstum nicht geben. Beides hängt aufs Engste miteinander zusammen.

Sorgen scheint das den Leipzigern derzeit aber gar nicht zu machen. Sie sind – mehrheitlich – zufrieden. Auch in die Zukunft schauen sie mit einer unerschütterlichen Gewissheit: 63 Prozent sind optimistisch bis eher optimistisch. Als pessimistisch zeigen sich nur 10 Prozent. Vielleicht ist es das, was das Stimmungsbild ausmacht: Hier wird nicht so genörgelt und gebarmt wie andernorts. Man sieht, dass die Kiste irgendwie doch aus dem Dreck ist, dass die wirklich frustrierenden Stagnationsjahre 1996 bis 2006 tatsächlich vorbei sind. Man darf ja auch nicht vergessen: Der große Job-Aufschwung hat sich für viele Leipziger erst ab 2009 richtig ausgewirkt. Da wirkte ein Arbeitsplatz tatsächlich wie ein Segen.

Und gerade dieses Feld bewegt sich ja noch immer. Viele haben ab 2005 mit Mini- und Midi-Jobs vorliebnehmen müssen – doch auch die verwandeln sich seit zwei Jahren zunehmend in feste, wenn auch nicht üppig bezahlte Anstellungsverhältnisse. Der Mindestlohn hat die Gemengelage 2015 noch einmal zugunsten der Beschäftigten verändert. Insbesondere für Ungelernte und Studenten/Schüler, die davon spürbar profitiert haben. Dazu gibt es eine Extra-Auswertung im Bericht zur Bürgerumfrage.

Nur an einem hat der Mindestlohn natürlich nichts geändert: dass die meisten Leipziger jeden Euro und jeden Cent mehrfach umdrehen müssen.

Man ist zwar zufrieden mit dem Leben in Leipzig, aber bei der Beurteilung der eigenen wirtschaftlichen Lage nimmt man sich eher zurück. Denn auch wenn 54 Prozent sagen, sie sei „gut“, heißt das ja nicht, dass sie im Geld schwimmen. Aber es bedeutet wohl recht eindeutig, dass sie aus den Sorgen und Ängsten heraus sind, die immerhin noch 39 Prozent der befragten Leipziger äußern. Und das ist eine Menge.

Die Leipziger „Zufriedenheit“ speist sich also nicht unbedingt aus dem Glück hoher Löhne, sondern aus der Tatsache, dass die Mehrheit mittlerweile wenigstens auskömmliche Löhne hat, mit denen man die wichtigsten Bedürfnisse und Wünsche erfüllen kann. Und in einer Karte haben die Statistiker auch aufgemalt, wo die Sorgen ums tägliche Brot trotzdem noch am größten sind – neben dem Leipziger Osten gehört natürlich auch Grünau dazu. Leipzigs Stadtspitze kann also ziemlich genau verorten, wo der Kummer zu Hause ist.

Aber diese spürbare Stabilisierung wirkt sich auch auf die Aussagen zur wirtschaftlichen Situation der Stadt aus: 2014 sagten noch 40 Prozent, sie empfänden Leipzigs wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut. Der Wert stieg 2015 auf 53 Prozent. Das ist eine Menge Vertrauen, das mittlerweile in die wirtschaftliche Zukunft der Stadt investiert wird.

Wie sich das auch auf andere Aspekte des Lebensgefühls auswirkt, darum kümmern wir uns im nächsten Teil zur „Bürgerumfrage 2015“.

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Es fragt sich aber auch, ob man zufrieden sein muss und das Beste aus den gegebenen Möglichkeiten machen muss und nicht rumjammert.
Ich frage mich, wer diese Fragebögen ausgefüllt hat, ich kenne keinen und ich finde, das ist nicht repräsentativ.

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