Man freut sich ja, dass es an der Universität ein Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KIS) gibt, das auch mal kleine Studien durchführt zum Investitionsbedarf von Kommunen in Sachsen. Eine solche hat das Institut jetzt vorgelegt und kommt zu dem Ergebnis: Der kommunale Investitionsbedarf bis 2020 ist im Freistaat Sachsen auf knapp 6,5 Milliarden Euro zu schätzen.

Das Wörtchen „schätzen“ darf man nicht überlesen. Es ist wirklich nur eine Schätzung. Die auch deshalb brisant ist, weil die sächsische Regierung dazu selbst über keine Zahlen verfügt. Man hat es sich bei der Kommunalfinanzierung immer ganz einfach gemacht. Eigentlich ganz ähnlich wie in der deutschen Rentendiskussion: Man bastelt an den Prozenten, die die Bedürftigen bekommen sollen. Was die aber tatsächlich brauchen zum Leben oder Investieren, das weiß keiner.

Bestenfalls wissen es die Bürgermeister und Kämmerer vor Ort. Und können es dann in Zahlen in die Fragebögen schreiben, die das KIS herumgeschickt hat – an alle 426 sächsischen Städte und Gemeinden sowie die zehn Landkreise. Und da fängt das nächste Problem an. Normalerweise braucht man für eine aussagekräftige Zahl Antworten aus allen Gemeinden. Wirklich allen. Vollständige Fragebögen zurückgeschickt haben aber nur 93. Weitere 12 unvollständige Antwortbögen waren zumindest noch nutzbar. Was das KIS für eine belastbare Größenordnung hält.

Was aber keine ist. Denn das wird sichtbar, wenn das Institut die Zahlen hochrechnet und dann so erstaunliche Sätze von sich gibt wie: „Bemerkenswert ist allerdings die Differenz im Bereich ‚Schule/Bildungseinrichtung‘: Im Freistaat Sachsen liegt der anteilige Rückstand diesbezüglich bei 15 Prozent, während dieser bundesweit ein Viertel des gesamten Investitionsrückstandes einnimmt.“

Die Verfasser der Studie rätseln dann herum, woran das liegen könnte, benennen aber den eigentlichen Knackpunkt nicht: Die Investitionsschwerpunkte zwischen kleinen Gemeinden und großen Städten in Sachsen gehen himmelweit auseinander. Es sind nicht die kleinen Gemeinden, die den Hauptbedarf im Schul- und Kitabau haben, sondern die großen. Aber gerade die haben überdurchschnittlich oft nicht geantwortet.

Die Städte über 20.000 Einwohner machen zwar 11 Prozent der Gesamtheit aus, unter den 107 aber, die geantwortet haben, sind es nur 6 Prozent. Das verzerrt das Ergebnis und es legt nahe, auch die anderen Zahlen aus der Studie mit Skepsis zu betrachten.

Etwa wenn das KIS feststellt, dass vom geschätzten Investitionsbedarf von 6,5 Milliarden Euro die Schwerpunkte dabei in den Bereichen Verkehr (knapp 1,5 Milliarden Euro) und Bildung (rund 1 Milliarde Euro) liegen.

Die tatsächliche Investitionstätigkeit der sächsischen Kommunen sei schon jetzt nicht bedarfsdeckend, sagen die Finanzwissenschaftler.

Und sie haben Recht damit – und trotzdem sind ihre Zahlen wahrscheinlich zu klein.

Allein die Stadt Leipzig hat jetzt schon planmäßig einen Investitionsbedarf von 320 Millionen Euro allein im Bereich Schule bis 2020 festgeschrieben. Und die Planer gehen davon aus, dass eigentlich noch 5 bis 6 Schulen fehlen in dem Paket. Womit es dann über 400 Millionen Euro brauchen würde.

Damit hätte Leipzig schon allein den Löwenanteil der von den KIS-Autoren geschätzten 997 Millionen Euro verplant. Bei Dresden kann man von derselben Größenordnung ausgehen.

Dasselbe Phänomen sieht man bei den Verkehrsinvestitionen. Auf 1,463 Milliarden Euro rechnen die Autoren den Bedarf bis 2020 hoch. Aber auch hier nur Leipzig als Vergleich, wo es jährlich um rund 120 Millionen Euro allein auf Seiten der Stadt geht. Mindestens 40 Millionen Euro kommen noch einmal bei den LVB obendrauf, was in fünf Jahren allein 800 Millionen Euro ausmacht. Man sieht hier schon, dass die kleinen Gemeinden mit ihren Investitionsschwerpunkten das Gesamtbild verschieben – und die eigentlichen Investitionsbedarfe in den Großstädten wieder völlig unterschätzt werden.

Was dann wieder die Politik der Staatsregierung bestärkt, die noch längst nicht akzeptiert hat, dass gerade die beiden sächsischen Wachstumsstädte besonders großen Investitionshunger haben.

Den sie nicht abarbeiten können.

Dieses Problem spricht die Studie ja ebenfalls an. Immer mehr sächsische Gemeinden können ihre Haushalte nicht mehr genehmigungsfähig verabschieden. Ein klares Zeichen dafür, dass die Gemeindefinanzierung in Sachsen aus dem Ruder gelaufen ist. Immer mehr Geld müssen die Gemeinden in soziale Sicherungsprogramme umschichten – fast alles Pflichtaufgaben. Das Geld, das sie so fürs Soziale ausgeben müssen, fehlt dafür bei den Investitionen.

Was die Autoren der Studie dann feststellen lässt, dass die Investitionsrate der sächsischen Gemeinden ab 2013 unter die bundesweite Investitionsrate der Städte und Gemeinden gefallen ist. Trotz aller Solidaritätszuschüsse. Und das in einem Bundesland, wo sich der Finanzminister über eine exorbitant hohe Investitionsrate freut.

Aber es sind die Städte und Gemeinden, die den Hauptteil der Investitionen stemmen müssen. Und schon seit Jahren sind sie mit ihren Haushalten so knapp, dass sie ohne „Fördergelder“ vom Land gar nicht mehr investieren könnten. Gerade im Schulbereich aber bauen sie trotzdem oft ohne die nötigen Fördergelder, weil die Not so groß ist.

Denn insgesamt bekommen sie ja nicht mal das Geld, das die Autoren der Studie als Bedarf errechnet haben.

Die Auswertung der Leipziger Finanzwissenschaftler zeigt: Bei Fortschreibung des aktuellen Investitionsverhaltens entsteht je nach Szenario eine Lücke von etwa einer Milliarde Euro.

Diese Lücke könne zumindest anteilig durch das 800 Millionen Euro umfassende Finanzpaket „Brücken in die Zukunft“ gedeckt werden, das aus Bundes- und Landesmitteln gespeist wird, mutmaßen die Autoren. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die Mittel in zusätzliche Projekte investiert werden und nicht in ohnehin geplante Projekte fließen.

Tja, da hätten sie vielleicht einfach mal die Bürgermeister anrufen sollen.

Denn Leipzig zum Beispiel hat sämtliche Projekte in das Programm geschoben, die sowieso schon geplant waren, die aber mit den bislang verfügbaren (Förder-)Mitteln einfach nicht finanzierbar waren. Ob man das als „zusätzlich“ interpretiert oder als ein Löcherflicken mit Geldern, die den Kommunen sowieso zugestanden hätten, darüber kann man streiten.

Die 800 Millionen stopfen nicht im geringsten das prognostizierte Investitionsloch von 1 Milliarde. Und schon gar nicht das wahrscheinlich reale Loch, das eher bei 2 bis 3 Milliarden Euro liegt und mit dem vor allem die wachsenden Großstädte zu kämpfen haben.

„Weiterhin ist vorauszusetzen, dass das Investitionsverhalten der sächsischen Kommunen gemäß des langfristigen Trends zurückgeht. Der Rückgang in den vergangenen vier Jahren fiel deutlich steiler aus“, erläutert Mario Hesse, Co-Autor der Studie. „Vor diesem Hintergrund ist das kommunale Investitionsverhalten zumindest zu verstetigen, damit in den nächsten Jahren kein zusätzlicher Nachholbedarf aufgebaut wird.“

Womit er wahrscheinlich das Problem genauso unterschätzt wie KIS-Geschäftsführer Matthias Redlich, der erklärt: „Im Gegensatz zu den Vorjahren liegt das kommunale Investitionsniveau im Freistaat Sachsen zudem seit 2013 nicht mehr über dem Bundesdurchschnitt, obwohl die ostdeutschen Länder und Kommunen noch bis einschließlich 2019 durch den Solidarpakt II eine überdurchschnittliche Finanzausstattung erhalten“, sagt KIS-Geschäftsführer Matthias Redlich. „Wenn sich diese negative Entwicklung fortsetzt, können die künftigen Investitionsbedarfe kaum hinreichend gedeckt werden. Das zeigt unsere Studie.“

Die Investitionsbedarfe der Großstädte können heute schon nicht mehr gedeckt werden.

Und was die Studie zumindest andeutet: Immer mehr Kommunen laufen in die Doppik-Falle, können nicht mehr so viel investieren, um den Wertverlust ihrer Infrastrukturen auszugleichen. Aber vielleicht erweckt wenigstens dieser Fakt irgendwann die Staatsregierung aus ihrem Schlaf der Sparfreude. Denn das Geld, das die Gemeinden jetzt zum Investieren brauchen, ist ja da. Es wird halt nur in gigantischen Fonds gelagert und damit dem aktuellen Wirtschaftskreislauf entzogen. Es sähe in Sachsen so Manches anders aus, wenn die Kommunen tatsächlich in ihre Zukunftsstrukturen investieren könnten. Aber das Land stirbt ja aus. Ist ja amtliche Regierungspolitik.

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