Es gibt alle möglichen Erhebungen zur Mietentwicklung in Leipzig, auch diverse Mietspiegel. Aber die verlässlichsten Zahlen liefert noch immer die jährliche Bürgerumfrage. Sie fragt nämlich nicht nach möglichen Angebotsmieten oder den Mieten der letzten vier Jahre, sondern nach dem, was die befragten Leipziger wirklich zahlen. Und das bestimmt am Ende auch die Mietentwicklung.

Auch wenn es Investoren und Vermieter eher selten zugeben würden. Aber über die Miethöhe bestimmen am Ende die Mieter. Gern wird immer nur über das Angebot diskutiert, selten über die Nachfrage. Die passiert meist in aller Stille. Niemand ist dabei. Wer eine Wohnung sucht, fragt nicht die Vermieter an: „Haben Sie was für 200 Euro? Oder vielleicht für 300?“

Der durchstöbert die Mietangebote im Internet und anderswo – und siebt aus. Was zu groß, zu teuer, zu luxuriös ist, verschwindet automatisch aus der Auswahl. Jeder kennt das. Erst kreist man die Stadtviertel ein, in denen man wohnen möchte oder sich zumindest vorstellen kann zu wohnen. Dann sucht man die dortigen Angebote in der gesuchten Wohnungsgröße. Und dann sortiert man die heraus, die dem eigenen Geldbeutel angemessen sind.

Da kann es passieren, dass man heutzutage nichts mehr findet.

Aber der normale, ganz durchschnittliche Leipziger hat keine Wahl. Er sucht weiter – bis er Bezahlbares findet. Irgendwann vielleicht mit dem sauren Zugeständnis, dass er doch in eine Gegend muss, die er nicht so mag oder die nicht so zentral liegt.

Aber allein durch diesen Suchakt bestimmt das Einkommen der Leipziger, was in Leipzig an Wohnungen vermietbar ist und zu welchem Preis. Da scheren zwar mittlerweile die höheren Angestellten und Beamten aus, weil sie bei allen Einkommenszuwächsen seit 2006 mehr draufgepackt bekommen haben als die anderen Leipziger. Das befeuert zumindest den Absatz der zu 10 Euro je Quadratmeter angebotenen Neubauwohnungen. Das ändert aber am Befinden der meisten Leipziger gar nichts.

Da nutzt es auch nichts, wenn der Median der Leipziger Einkommen seit 2012 um 12 Prozent gestiegen ist (3 Prozent pro Jahr), denn Median bedeutet in der Befragung immer nur das mittelste aller ermittelten Einkommen. Und 1.280 Euro pro Nase sind auch kein Geld, mit dem man in Leipzig die Mieten westdeutscher Großstädte erwirtschaften könnte. Es funktioniert einfach nicht. Wenn über 30, gar 40 Prozent des Einkommens jeden Monat für die Miete draufgehen, ist die Schmerzgrenze erreicht, gerade bei den niedrigen Einkommen.

Deswegen sind die tatsächlichen Mieten – anders als die viel diskutierten Angebotsmieten – im selben Zeitraum nur um knapp 5 Prozent gestiegen, von 5,15 Euro je Quadratmeter (kalt) auf 5,39 Euro. 2015 gab es sogar mal einen Ausrutscher nach unten. Aber über die Jahre betrachtet steigen auch in Leipzig die Mieten. 2006 lag der Kaltmietpreis mal bei 4,86 Euro. 2010 überschritt er erstmals die Marke von 5 Euro.

Was eben nicht nur bedeutet, dass die Leipziger, wo sie können, in ihren bezahlbaren Wohnungen bleiben. Sondern eben auch, dass auch Wohnungsneubezug oft auf dem (alten) Leipziger Mietpreisniveau passiert. In Ortsteilen wie Südvorstadt und Zentrum eher nicht. Da sind 6 Euro eher schon eine positive Überraschung für viele Suchende. Aber gerade die neu in den Wachstumsmodus gekommenen Ortsteile im Leipziger Westen, im Osten, aber auch die Plattenbausiedlungen, die wieder neue Mieter finden, sorgen dafür, dass auch immer wieder neue Zahlen zu relativ niedrigen Leipziger Mieten auch in die Bürgerumfrage kommen.

Und daran wird sich auch in den nächsten Jahren nicht viel ändern – es sei denn, tausende Leipziger kommen auch einmal aus ihren Niedriglohnbeschäftigungen heraus und alle niedrigen Einkommen haben auch einmal so am Kaufkraftzuwachs teil wie die oberen Beamten und Angestellten.

Aber auch Martin Schulz, der SPD-Kanzlerkandidat, gegen den jetzt die großen bürgerlichen Gazetten schon zum Halali blasen, hat dazu bislang noch keine Rezepte vorgelegt. Die Lösung liegt eben nicht bei den Rentnern und auch nicht den Gewerkschaften. Die Lösung legt eher darin, all die tausenden neu entstehenden Jobs vor allem im Sozialbereich auch gleichwertig zu bezahlen.

Denn Armut in Deutschland ist vor allem die Abwertung sozialer Dienstleistungen. Ohne die in diesem Land und dieser Stadt nichts läuft, die aber trotzdem so behandelt werden, als wäre das Aktienverwalten ein edlerer Job als das Hinternabwischen bei alten Leuten.

Ist es aber nicht.

Das Ergebnis ist in Leipzig schon seit Jahren eine hochgradig verfestigte Armut, die nichts mit Jobcenter und Arbeitsagentur zu tun hat. Und das nehmen die Leipziger auch genau so wahr. Während das „Angebot an Arbeitsplätzen“ in der Problemwahrnehmung der Leipziger deutlich zusammengeschnurzelt ist, behauptet Armut als benanntes „größtes Problem“ seinen Platz in der Spitzengruppe.

2010 lag der Topos „Armut“ mit 25 Prozent Nennungen noch auf Rang 5 der größten Leipziger Probleme, 2015 benannten noch 18 Prozent der Befragten „Armut“ als Problem, 2016 waren es 16 Prozent. Das ist ungefähr doppelt so hoch wie die offizielle Arbeitslosenzahl. Und es ist nach wie vor Rang 7 der „größten Probleme“.

Und Armut heißt ja auch, dass selbst die „normalen“ 5 Euro Leipziger Mietpreis pro Quadratmeter ein Problem sind. Viele Leipziger Normalverdiener, deren Lohn später nicht mal für eine auskömmliche Rente reichen wird, empfinden ihren Status nicht einmal als arm. Aber das ist ein anderes Thema. Wenn Erwerbstätige im Median 1.594 Euro verdienen, dann schrammen sie im Grunde immer noch unterhalb der nötigen Einkünfte für eine normale Rente entlang.

Dann bestimmt noch immer der Mindestlohn die Messlatte in Leipzig, ab der man erst zum wirklichen Normalverdiener wird. Und die Hälfte der Erwerbstätigen liegt eindeutig drunter. Da lernt man sparsam und bescheiden sein und nennt sich so lange nicht „arm“, bis das labile Auskommen mal einen Seitenschlag erhält.

Und genau das spiegelt sich im tatsächlichen Mietniveau: Die halbe Stadt kann sich deutlich höhere Mieten gar nicht leisten. Genau das sorgt dafür, dass das Mietniveau nicht aus dem Ruder läuft.

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