Zumindest ein kleiner Teil der derzeitigen Politik diskutiert noch (oder wieder) über Armut in der Bundesrepublik. Denn so im Großen und Ganzen geht es Deutschland zwar irgendwie gut. Und Angela Merkel könnte mit diesem „Alles ist gut“-Gefühl wohl auch wieder die Wahl gewinnen. Aber für einen Teil der Gesellschaft scheint der Zustand der Armut wie festgegossen. Auch in Leipzig bezogen 2016 noch immer 68.081 Menschen Leistungen nach SGB II.

Das Bundesamt für Statistik vermeldete erst am 29. August die neuen Zahlen zur Armutsgefährdungsquote. Das ist der Prozentsatz von Menschen, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens haben. Keine Überraschung war, dass die Armutsgefährdungsquote im Osten mit 18,4 Prozent höher war als im Westen mit 15 Prozent.

Und Sachsen lag mit 17,7 Prozent auch nicht allzu toll im Rennen, auch wenn der Wert mittlerweile deutlich unter den Werten in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Bremen lag, wo es jeweils über 20 Prozent der Bevölkerung sind, die dazuzählen.

Besonders ein Wert erschreckte Susanne Schaper, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag: „Die Situation ist alles andere als rosig – besonders empörend ist die Lage armer Kinder, und Kinderarmut beruht letztlich auf Elternarmut. Laut dem Bericht der Bundesregierung sind 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland arm. Das sind mindestens 150.000 Kinder allein in Sachsen. Gewiss, Sie legen keine offizielle Statistik vor, weil sie schlechte Zeugnisse für Ihre Politik fürchten.“

Das betonte sie am Donnerstag, 31. August, in ihrer Rede zum Antrag der Linksfraktion „Stellungnahme ‚Armut und Reichtum in Sachsen – Ziele und Vorhaben der Sächsischen Staatsregierung zum Abbau sozialer Ungleichheit sowie von Armut und Ausgrenzung‘ erstellen!“

Der Bericht der Bundesregierung hatte auch schon das Augenmerk darauf gelegt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker als andere von Armut betroffen sind. Unter anderem, weil sie eben nicht so einfach in eine hinlänglich bezahlte Vollzeitbeschäftigung kommen. Denn wer eine reguläre Beschäftigung hat, gerät nur mit 5,6 Prozent in eine Armutsgefährdung. Wer aber in einem der vielen prekären und unsicheren Beschäftigungsverhältnisse landet, die in den vergangenen 20 Jahren entstanden sind, hat meist eine Gefährdungsquote von 15 bis 20 Prozent. Und die Zahlen zeigen auch, dass insbesondere Behinderte und Alleinerziehende nach wie vor Schwierigkeiten haben, eine vollwertige Beschäftigung zu bekommen.

Und natürlich erzählen hohe Raten von ALG-Bezug davon, wie hoch eine sogar staatlich reglementierte Armut in einer Stadt ist.

Die Zahl von 48.899 ALG-II-Beziehern im Jahr 2016 entspricht schon allein 13,1 Prozent der entsprechenden Alterskohorte in Leipzig. Auf die Regelleistungsberechtigten berechnet, kommt man schon auf 17,7 Prozent. Das heißt: Allein schon die in den Bedarfsgemeinschaften Versorgten entsprechen statistisch 17,7 Prozent der Bevölkerung in der Altersgruppe. All die Menschen, die trotz schlechter Bezahlung den Weg zum Jobcenter meiden, werden dabei natürlich nicht erfasst.

Von Armut besonders betroffene Beschäftigtengruppen. Quelle: Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung
Von Armut besonders betroffene Beschäftigtengruppen. Quelle: Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Und auch die von Schaper besonders kritisierte Zahl wird in der Arbeitslosenstatistik sichtbar, die Peter Dütthorn für den neuen Quartalsbericht ausgewertet hat: Die sogenannte NEF-Quote (NEF: Nicht erwerbsfähige Leistungsbezieher), die im wesentlichen Kinder unter 15 Jahre umfasst, betrug 2016 in Leipzig noch immer 22,7 Prozent. Jedes fünfte Leipziger Kind war arm.

Die Statistik, die Dütthorn aufbereitet, macht natürlich auch sichtbar, wie sich Leipzig seit 2007 aus einer noch viel tieferen Misere herausgearbeitet hat. Damals lebten sage und schreibe 34,7 Prozent der unter 15-Jährigen in einer Bedarfsgemeinschaft. 20,8 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter war in SGB II. Die Zahl der Leistungsberechtigten lag bei insgesamt 82.591.

Die Zahl ist tatsächlich abgeschmolzen. Die Zunahme von Arbeitsplätzen macht sich auch in dieser Statistik bemerkbar.

Aber die Zahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften steigt seit 2013 sogar wieder an. So oberflächlich und ungenau die deutsche Arbeitslosenstatistik auch ist – sie kann trotzdem nicht verhindern, dass eine ganz und gar nicht erfreuliche Gegenwart trotzdem sichtbar wird. Und dass es ausgerechnet Kinder trifft, findet Susanne Schaper logischerweise alarmierend: „Die Bundesregierung gesteht ferner ein, dass Jugendliche und junge Erwachsene überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen sind. So galt 2014 auf Basis des sozioökonomischen Panels über ein Fünftel der Unter-18-Jährigen als arm, bei den 18- bis 24-Jährigen ist es sogar fast ein Viertel. Besonders betroffen sind Alleinerziehende mit 38,4 Prozent, sowie Paare mit 3 oder mehr Kindern mit 24,4 Prozent. Diese Zahlen sind und bleiben alarmierend! Wir können und wollen es uns nicht leisten, je nach Haushaltskonstellation weiterhin ein Fünftel bis ein Drittel der Menschen von der Entwicklung auszuschließen.“

Die Zahlen deuten darauf hin, dass sich Armut und fehlende Chancen auf gute Erwerbsarbeit in bestimmten Teilen der Gesellschaft manifestiert haben und gerade Familien mit mehreren Kindern betroffen sind. Sie sind nicht so flexibel und mobil wie Singles und Paare ohne Kinder. Und augenscheinlich ist es für viele Familien nach wie vor ein unlösbarer Spagat, ein gutes Erwerbseinkommen mit mehr als zwei Kindern zu vereinbaren.

Dass die Zahlen der betroffenen unter 15-Jährigen in Leipzig wieder wachsen, sollte zu denken geben. Denn spätestens bei Schuleintritt bekommen sie die doppelte Last ihrer Herkunft zu spüren, denn alle Zahlen zum sächsischen Bildungssystem zeigen, dass sie auch besonders oft und besonders früh in ihrer Bildungskarriere scheitern.

Die Prozentzahlen der Kinder in Bedarfsgemeinschaften sind zwar von 25,4 Prozent (2010) auf 22,7 Prozent (2016) gesunken. Aber die tatsächlichen Fallzahlen sind von 15.154 auf 16.811 gestiegen. Höchste Zeit also, das Thema ernst zu nehmen.

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