Alles rollt. Eine Stadt wie Leipzig lebt von der Bewegung. Ihre Einwohner sind ständig unterwegs – zur Arbeit, zur Kita, zur Schule, nach Hause, zum Einkaufen. Und das erzeugt natürlich jede Menge Verkehr. Und jedes Jahr fragt die Bürgerumfrage deshalb auch ab, welche Verkehrsmittel die Leipziger besitzen und nutzen. Und wie sie es tun.

Und auf den ersten Blick, so schätzen es auch die Statistiker ein, ändert sich nicht viel. Ein Jahr ist keine große Zeit, erst recht, wenn sich die Bedingungen für einzelne Verkehrsarten nicht verbessern. Oder nur marginal. Verkehr hat nun einmal direkt etwas mit der Frage zu tun: Wie groß ist der Aufwand? Mit welchem Verkehrsmittel kommt man am besten da hin, wo man hin muss?

Denn meistens geht es ums Müssen, nicht ums Wollen. Und so bestätigt die Umfrage auch wieder, was schon vorherige Umfragen sichtbar machten: Der Autobesitz sinkt nicht, im Gegenteil – es sind wieder ein paar mehr Menschen mit Auto unterwegs. Der Pkw-Besitz in Leipziger Haushalten stieg übers Jahr von 58 auf 61 Prozent.

Und wer die nächsten Tabellen im Kapitel Verkehr anschaut, der sieht auch, warum das so ist: Es sind die jungen Familien, die sich ein Auto zulegen, um alle notwendigen Wege irgendwie organisiert zu bekommen, denn selten liegt der Arbeitsplatz beider Eltern gleich um die Ecke, selten ist auch gleich die Kita da.

Man braucht den Pkw ganz unübersehbar, um Familie, Arbeit und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Etwas, was mit dem Leipziger ÖPNV deutlich schlechter zu bewerkstelligen ist, mit Fahrrad geht es zwar wieder, aber auch da kommt es auf die örtlichen Radwegebedingen an. Und die sind nach Einschätzung gerade der Vielfahrer größtenteils noch sehr wünschenswert.

Und dann sind da noch die Leipziger Rentner, die auf ihre ein bis zwei Autos auch nicht verzichten wollen, obwohl sie mit dem Pkw deutlich kürzere Distanzen zurücklegen. Das haben Leipzigs Statistiker diesmal zum ersten Mal abgefragt: Wer fährt denn eigentlich die ganzen Dieselautos in der Stadt?

Die Rentner sind es eher nicht. Die fahren zum größten Teil Benziner. Und sie legen mit ihren Benzinern im Jahr durchschnittlich 8.270 Kilometer zurück.

Die mittlerweile sehr umstrittenen Diesel-Pkw werden vor allem von jungen Erwerbstätigen gefahren, vor allem in der Gruppe der 35- bis 49-Jährigen. Das ist genau die große Gruppe von Eltern, die Arbeit und Familie unter einen Hut bekommen müssen. In 32 Prozent dieser Haushalte ist ein Diesel angemeldet. Und dieses Fahrzeug ist ein (vergleichsweise billiges) Arbeitstier, es rollt nämlich jedes Jahr im Schnitt 34.129 Kilometer.

Und die beigegebene Karte zeigt dann noch etwas, dass nämlich der Pkw-Besitz im vom ÖPNV besser erschlossenen Innenstadtbereich sogar sinkt, während er in aufstrebende Ortsteilen in der Randlage sogar deutlich steigt – so wie in Mockau, Eutritzsch, Schönefeld, Lößnig und Seehausen.

Anteil der Haushalte mit Pkw und die Veränderungen seit 2015. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2017
Anteil der Haushalte mit Pkw und die Veränderungen seit 2015. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2017

Was dann wieder ein Beleg dafür ist, dass hier die ÖPNV-Angebote nicht ausreichend sind. Und auch dafür, dass hier der Anteil der jungen Familien und Erwerbstätigen besonders stark gestiegen ist.

Und auch der soziale Aspekt wird dabei sichtbar, der in der ganzen verlogenen Diesel-Diskussion in Deutschland immer ausgeblendet wird: Der Diesel ist der Pkw des kleinen Mannes. Oder genauer: Der Menschen, die zwingend ein Auto brauchen, aber nur zwischen 800 und 1.400 Euro Einkommen im Monat haben – also so ungefähr die meisten Leipziger im für Leipzig normalem Einkommensniveau.

Sie fahren mit dem Auto im Schnitt 39.426 Kilometer im Jahr. Allein die Entfernungen deuten darauf hin, dass ohne diesen Pkw der Weg zur Arbeit nicht zu schaffen ist. Sie haben einen Job – aber nur mit einem im Spritverbrauch relativ preiswerten Auto können sie ihn auch erreichen.

Das sind die Menschen, die sich durch die ganzen Diesel-Tricksereien wirklich betrogen fühlen dürfen. Und die natürlich unter Fahrverboten am meisten leiden, denn dann müssen sie noch mehr Umwege fahren, um zur Arbeit zu kommen.

Und dass es vor allem um den Arbeitsplatz geht, zeigen dann die Zeitvergleiche der Verkehrsmittelwahl. Das Auto hat beim Weg zur Arbeit 2017 wieder leicht zugelegt. Bei einem anderen Thema hat aber die Pkw-Nutzung deutlich an Anteil verloren: beim Weg zu Einkäufen. Noch 2013 dominierte das Auto beim Weg zum Einkauf mit deutlichen 56 Prozent.

Das war so ungefähr das Jahr, in dem die großen Einzelhandelsketten begannen, ihre innerstädtischen Supermärkte zu vergrößern, zu modernisieren oder gar neu zu bauen. Wenn aber solche Einkaufsangebote zunehmend in Wohnortnähe liegen, muss man nicht mehr mit dem Auto hinfahren. Sodass der Auto-Anteil beim Einkaufen in den Folgejahren stetig sank – 2017 waren es nur noch 49 Prozent Anteil.

Und dass es vor allem ums wohnortnahe Einkaufen geht, zeigt der ebenfalls gesunkene Wert für den ÖPNV. Die ganzen Prozente sind hin zu Fuß- und Radverkehr gewandert, wo der Anteil seit 2013 von 33 auf 41 Prozent stieg.

Eine Stadt hat als durchaus Mittel, um den Verkehrsarten-Mix ihrer Bewohner zu ändern – nämlich dann, wenn sie die Erreichbarkeit für umweltfreundliche Verkehrsarten deutlich verbessert.

Eine Extra-Grafik zeigt dann auch, dass die Wohnortnähe der Supermärkte vor allem zum Zu-Fuß-Gehen anregt: Binnen 5 Jahren stieg der Anteil der Zu-Fuß-Einkaufenden von 23 auf 27 Prozent.

Während der Anteil der Radfahrer vor allem da wuchs, wo auch das Auto zulegte: beim Weg zur Arbeit. Aus 18 Prozent der Erwerbstätigen, die zur Arbeit radelten, wurden 21 Prozent. Da ist noch Luft nach oben, auch wenn das Seufzen der Leipziger Statistiker darauf hindeutet, dass sie hier mehr erwartet hätten.

Aber wie denn, wenn es beim Ausbau des Radwegenetzes überall klemmt und klappert?

Der nächste Teil widmet sich also den Radfahrern. Jedem dritten Leipziger wurde in den letzten fünf Jahren das Fahrrad geklaut

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

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Es gibt 4 Kommentare

@ Christian,
auch Leipziger pendeln noch immer wöchentlich gen Westen, so mancher auch nach Dresden und Berlin, das sind dann schonmal deutlich mehr als 80km Entfernung. Leiharbeiter, die oft weit fahren müssen, Bauhandwerker, Baunebenhandwerker usw müssen oft mit dem eigenen Auto zur Baustelle fahren.

Allerdings finde ich 39000km im Jahr sehr viel, um damit den Weg zur Arbeit zu argumentieren. Auf Arbeitstage gerechnet käme man auf eine Arbeitsortentfernung von ca. 80km. Also 160km am Tag. Für jemand aus Leipzig! Realistisch?

Stimmt schon: Besserverdiener (ab 2.000 Euro) fahren zwar häufiger einen Diesel, nämlich zu 42 Prozent, als Geringverdiener (800 bis 1.100 Euro) mit nur 13 Prozent. Aber während die Besserverdiener mit dem Diesel “nur” 29.351 Kilometer zurücklegen, fahren die Niedrigverdiener damit 39.426 Kilometer im Jahr. Wahrscheinlich deshalb, weil sie anders nicht zur Arbeit kommen, auch nicht mit ÖPNV.

Nach der Logik ist der Verzicht aufs Auto nur was für Besserverdiener!? Komisch, ich hatte mir gerade ausgerechnet, dass ich durch die Abschaffung des Autos (nicht nur) Geld spare… Die Milchmädchenrechnung, dass eine Fahrt zur Arbeit mit dem Auto billiger käme als eine mit dem ÖPNV (2,60 €?) kann nur aufmachen, wer die ganzen Zusatzkosten wie Steuern, Versicherungen, Reparaturen, Kredittigung bei Ratenkauf, Parkgebühren etc. ignoriert und nur auf die Spritkosten schaut. Gerade bei Geringverdienern eher unverständlich…

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