Nein, die Ausländer sind nicht schuld. In Dresden wurde am Dienstag, 13. November, der dritte „Sachsen-Monitor“ vorgestellt. Und der zeigt zwar, wie fest viele Ressentiments in Sachsen sitzen. Aber er zeigt auch, dass die befragten Sachsen die Ursachen für ihr Unbehagen ganz und gar nicht da sehen, wo es die neuen Populisten behaupten. Gerechtigkeit ist ein sehr handfestes Thema. Und während die Politik über „Flüchtlinge“ streitet, fühlen sich noch mehr Sachsen ungerecht behandelt als im Vorjahr.

„46 Prozent der Sachsen sind der Auffassung, dass es in Deutschland alles in allem eher gerecht zugeht und 49 Prozent meinen, es gehe eher ungerecht zu. Zum bundesweiten Vergleich: 58 Prozent aller Deutschen – 61 Prozent der Westdeutschen und 49 Prozent der Ostdeutschen – sind der Meinung, es gehe in Deutschland alles in allem eher gerecht und 38 Prozent – 36 Prozent der Westdeutschen und 46 Prozent der Ostdeutschen – der Meinung, es gehe eher ungerecht zu.“

Und die Befragten durften auch noch ankreuzen, wo sie die Gründe für die Ungerechtigkeit sehen.

Und es ist keine Überraschung – es sind wirtschaftliche Gründe: die immer noch im Vergleich niedrigen Löhne (40 Prozent), die niedrigeren Rentenaussichten (27 Prozent), soziale Ungerechtigkeit (14 Prozent), keine Würdigung der jahrelangen harten Arbeit (12 Prozent). Die Ausländer als möglicher Grund wurden nur von 5 Prozent der Befragten genannt.

Das ist also ein typisches Schein-Thema, aufgeblasen von rechten und rechtsradikalen Politikern, die davon ablenken wollen, dass die Unzufriedenheit im Osten sehr eindeutige wirtschaftliche Ursachen hat.

Was dann Sachsens Staatskanzleichef Oliver Schenk lieber nicht so stark betonte: „Grundsätzlich fällt auch dieses Jahr die positive und optimistisch beurteilte Entwicklung im persönlichen wie auch im gesamtwirtschaftlichen Bereich auf. Zudem sind die Menschen zu weiten Teilen zufrieden mit dem Geleisteten, dem persönlichen Umfeld und den Lebensbedingungen.“

Auch die grundlegende Zustimmung zur Demokratie sei hoch. Außerdem zeige sich ein großes Interesse an Politik.

Zugleich verwies Schenk auf die weiterhin hohen Ausprägungen von Vorurteilen und Abneigungen gegenüber anderen Personengruppen.

„Die entsprechenden Ergebnisse gehören nach wie vor zur Schattenseite des Sachsen-Monitors. Dies gilt vor allem für Rassismus, eine ablehnende Haltung gegenüber Muslimen oder Sinti und Roma und für den Antisemitismus. Wir müssen die Menschen für Freiheit, Toleranz und Demokratie gewinnen. Und vielleicht sollten wir noch stärker auf diejenigen setzen, die sich nicht von Ressentiments leiten lassen. Das sind nicht nur ein paar Menschen, sondern 70 Prozent.“

Warum sich Sachsen ungerecht behandelt fühlen. Grafik: Freistaat Sachsen, Sachsen-Monitor 2018
Warum sich Sachsen ungerecht behandelt fühlen. Grafik: Freistaat Sachsen, Sachsen-Monitor 2018

Der Staatsminister machte zugleich deutlich, dass Ressentiments und feindselige Haltungen als Problem über Sachsen hinausgingen. Dies zeigten aktuell verschiedene Studien zum Beispiel der Universität Leipzig oder des Mercator-Forums an der TU Dresden.

Schenk wies außerdem darauf hin, dass Sachsen in vielen Politikfeldern die Weichen gestellt habe und daran arbeite, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. So setze die Staatsregierung auch auf einen deutlich intensiveren Dialog mit den Bürgern.

Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und Vorsitzender des Beirats Sachsen-Monitor, erläuterte: „Der Sachsen-Monitor zeigt im dritten Jahr hintereinander eine nervöse und gespaltene Mitte der Gesellschaft. Hier Zufriedenheit mit wirtschaftlicher, demokratischer und gesellschaftlicher Entwicklung. Dort soziale Nöte, Abstiegsängste, Skepsis gegenüber Politikern und Parteien.

Die weiterhin hohen ausländerfeindlichen Werte sind ein bleibender Grund zur Sorge. Politik und gesellschaftliche Kräfte sollten überlegen, wie sie diese nervöse Mitte stabilisieren. Politische Bildung und bürgerschaftliches Engagement können ihren Beitrag zu Aufklärung, gesellschaftlicher Teilhabe und Mitverantwortung leisten.“

Tatsächlich aber zeigt der Sachsen-Monitor auch, dass sich sowohl das Gefühl gelebter Demokratie wie auch das Thema Heimat mit dem engsten Lebensumfeld verknüpfen. Dort wird die Erfahrung gemacht, ob Demokratie und Gerechtigkeit funktionieren. Der Verweis darauf, dass es anderswo genauso zerrissen zugeht, ist also wieder eine Ablenkung. Er belegt nur, dass anderswo genauso ratlos agiert wird und das Feld den Rechtsradikalen überlassen wird.

Was für die Sachsen Heimat bedeutet. Grafik: Freistaat Sachsen, Sachsen-Monitor 2018
Was für die Sachsen Heimat bedeutet. Grafik: Freistaat Sachsen, Sachsen-Monitor 2018

Was ja der Topos „Heimat“ ins Zentrum rückt. Heimat hat wenig mit den schönen Urlaubsbildern oder irgendwelchen Kulturwerten zu tun, sondern mit dem Gefühl, sozial akzeptiert und eingebunden zu sein. Aber gerade dieses Gefühl steht unter Beschuss. Und Sachsens Regierung hat bislang keinen Weg gefunden, damit umzugehen.

Aber zumindest ist das Thema für sie jetzt erstmals in den Blickpunkt gerückt.

Erstmals abgefragt wurden Aspekte von Heimat bzw. das Heimatverständnis der Sachsen. Insgesamt 89 Prozent der Befragten ist Heimat eher oder gar sehr wichtig. Gleichzeitig erweist sich, dass der Begriff „Heimat“ eine Vielfalt an Vorstellungen und Emotionen beinhaltet, stellt denn auch die Staatsregierung fest. Auf die entsprechende offene Frage wurde zu 41 Prozent die Familie und Verwandtschaft und zu 30 Prozent Freunde und Bekannte genannt. Zu 15 Prozent ist Heimat ein Gefühl des sich irgendwo Wohlfühlens. 13 Prozent der Antworten umfassen Heimat großräumig als „die Region, das Bundesland, Deutschland“. Und in 10 Prozent der Fälle wird der Ort der Kindheit und des Aufwachsens als Heimat bezeichnet.

Was ja die ganze Heimat-Politik der vergangenen 28 Jahre infrage stellt. Thema verfehlt, könnte man sagen. Es ist keine räumliche Dimension, sondern eine soziale.

Die Ergebnisse im Überblick

Insgesamt schauen die Sachsen weiterhin zufrieden auf das seit 1990 Erreichte und blicken optimistisch in die eigene Zukunft. Grund dafür ist die Wahrnehmung der persönlichen Lebensumstände wie Lebenshaltungskosten, Wohnsituation, Freizeit, soziale Absicherung oder Sicherheit im öffentlichen Raum. Mit diesen Umständen sind – je nach Antwortkategorie – 58 bis 91 Prozent der Sachsen eher oder gar sehr zufrieden. Die Ergebnisse sind im Vergleich zu den Befragungen von 2016 und 2017 weitgehend stabil.

Nach wie vor sorgen sich viele Menschen darum, dass die Gegensätze zwischen Arm und Reich zunehmen. Sie wird von 83 Prozent geteilt. Die Sorgen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt verloren geht, teilen 78 Prozent der Befragten. Während die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder auch um einen Verlust deutscher Kultur und Eigenart gegenüber dem Vorjahr zugenommen hat, ist die Furcht vor einem Arbeitsplatzverlust oder einem Terroranschlag gesunken.

Dass es in Deutschland eher gerecht zugeht, meinen 46 Prozent – gegenüber 49 Prozent der Befragten, die die Zustände als eher ungerecht empfinden. Dieser Wert korrespondiert auch mit der Einschätzung, wonach 45 Prozent der Befragten angeben, sie bekämen weniger als ihren gerechten Anteil.

Die Zustimmung zur Demokratie als Regierungsform wie auch die Beurteilung der demokratischen Praxis sind gegenüber 2017 in etwa gleichgeblieben. Demgegenüber ist das Vertrauen in die demokratischen beziehungsweise staatlichen Institutionen wieder gesunken. Damit entspricht das Institutionenvertrauen in etwa wieder dem Stand von 2016.

Erneut wurde erfasst, was Bürger von einer Demokratie erwarten und ob diese Erwartungen aus ihrer Sicht erfüllt werden. Teilweise deutlich mehr als 90 Prozent der Befragten nennen freie und faire Wahlen, Gleichbehandlung vor Gericht, eine freie Opposition, den Abbau sozialer Ungerechtigkeit oder den Schutz von Minderheitenrechten als eher oder sehr wichtig für eine Demokratie. Allerdings sehen nur 67 Prozent den Schutz von Minderheitenrechten, 45 Prozent die Gleichbehandlung vor Gericht und 21 Prozent den Abbau von sozialer Ungleichheit als eher bzw. voll umgesetzt an. Zugleich meinen 57 Prozent, dass nur direkte Demokratie wahre Demokratie sei.

Der Aussage, wonach ein Mehrheitswille umgesetzt werden solle, auch wenn Parlaments- oder Gerichtsentscheidungen oder das Grundgesetz dagegenstehen, teilen 68 Prozent mehr oder weniger deutlich.

Ressentiments gegen Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit sind auch in Teilen der sächsischen Bevölkerung verbreitet. So sind 56 Prozent der Sachsen der Meinung, dass Deutschland in einem gefährlichen Maß „überfremdet“ sei. Dieser Wert entspricht dem Vorjahreswert. Ein Indiz, dass der geringe Ausländeranteil im Freistaat wahrgenommen wird, liefert das Ergebnis, dass auch in diesem Jahr deutlich weniger Befragte (21 Prozent) der Auffassung sind, die persönliche Wohnumgebung sei in einem gefährlichen Maße „überfremdet“. Allerdings ist letzterer Wert angestiegen.

Dimap hat zu den Ressentiments drei Gruppen herausgearbeitet. Die Gruppe mit einem geringen Maß an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stellt demnach 73 Prozent der Bevölkerung. Diejenigen hingegen, die in der Befragung in hohem Maße den mit Ressentiments behafteten Aussagen zugestimmt haben, machen fünf Prozent aus.

Das Meinungsforschungsinstitut dimap hat in der Zeit vom 28. Juni bis zum 23. August 2018 insgesamt 1.011 Einwohner Sachsens im Alter ab 18 Jahren „face-to-face“ befragt.

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