Der „Sachsen Monitor“ kann zwar nichts dafür, dass Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich das Feld räumte, denn befragt wurden die Sachsen für diese Studie ja schon im August, deutlich vor der Bundestagswahl am 24. September, die gerade die Ergebnisse der sächsischen CDU abschmieren ließ und die AfD prozentual zur Nr. 1 machte. Veröffentlicht wurde der „Sachsen-Monitor“ erst nach der Wahl, am 28. November. Am 14. Dezember wurde er dann im Landtag diskutiert.

Tatsächlich bestätigte er, was auch schon der „Sachsen Monitor 2016“ gezeigt hatte – dass es in Sachsen erstens ein gravierendes Problem mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gibt – und dass das zweitens etwas mit dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Sachsen zu tun hat. Man kann nicht immer nur Erfolge feiern und sich zu den Größten erklären, wenn die Bürger in ihrem Lebensumfeld merken, wie immerfort gespart und geknausert wird.

Die Vision fehlt. Und vielen Menschen fehlt – nach 27 Jahren Zähnezusammenbeißen – die erwartete Belohnung für das alles.

Ein Thema, das sich ja bekanntlich vor allem die SPD auf die Fahnen geschrieben hat.

Henning Homann, Sprecher für Arbeit und demokratische Kultur der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, ging darauf am Donnerstag im Landtag in der Aktuellen Debatte zum Sachsen-Monitor auch entsprechend ein: „Der Sachsen-Monitor 2017 zeigt, dass die Sächsinnen und Sachsen ein sehr feines Gespür für Gerechtigkeit haben – sie attestieren unserem Land ein Gerechtigkeitsproblem. Über 70 Prozent befürchten, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt verloren geht. Nur 20 Prozent sagen, dass es der Demokratie gelungen sei, soziale Ungleichheit abzubauen. Und nur 22 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter sagen, dass sie ihren gerechten Anteil bekommen. Das ist keine Überraschung: Viele Ostdeutsche arbeiten länger und mit geringeren Löhnen als im Westen. Sie sehen ihre Leistung, trotz des wirtschaftlichen Erfolgs in Sachsen, nicht gewürdigt. Wenn 62 Prozent der Arbeiter sagen, die Chancen für sozialen Aufstieg wären schlecht, dann zeigt das einen bedenklichen Mangel an Chancengleichheit.“

Ein Thema, das nicht nur Sachsen zum Brodeln bringt. Alle nationalistischen Bewegungen in Europa greifen diese Gefühle fehlender Gerechtigkeit auf, die mit durchaus realen sozialen Schieflagen zu tun haben.

Aber wie das Thema abmoderiert wird, macht ja gerade wieder die großbürgerliche F.A.Z. vor, wenn sie so tut, als hätte der bekannte Wirtschaftsforscher Thomas Piketty die Zahlen zur zunehmend ungerechten Verteilung von Reichtum einfach nur falsch interpretiert und allen ginge es doch – rein statistisch betrachtet – viel besser.

Aber mit statistischer Schönfärberei schafft man die real erlebten Ungerechtigkeiten oder die Folgen der diversen „Austeritätsprogramme“ nicht aus der Welt.

Für Henning Homann braucht es jetzt eine Gerechtigkeitsdebatte in Sachsen, um die soziale Spaltung der Gesellschaft zu überwinden: „Wenn wir wollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren gerechten Anteil am wirtschaftlichen Erfolg in diesem Land bekommen – und nichts geringeres darf unser Anspruch sein – dann muss die Stärkung der Sozialpartnerschaft ein wesentliches Ziel sächsischer Politik sein. Es kann nicht sein, dass sich zentrale Wirtschaftsverbände in Sachsen dieser Debatte verweigern! Wenn wir Chancengleichheit stärken wollen, müssen wir insbesondere Oberschulen und Ausbildung aufwerten. Die Koalition hat hier bereits wichtige Schritte unternommen, wie die gleiche Bezahlung der Oberschullehrer und der Rechtsanspruch auf Schulsozialarbeiter.“

Da wird es spannend, ob der große Koalitionspartner CDU mit dem neuen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer mitzieht oder doch wieder – wie unter Tillich – eifrig rechts blinkt und die Ressentiments der AfD bedient. Darüber wird sich entscheiden, ob Sachsen die Kurve kriegt oder endgültig in den politischen Stillstand abgleitet.

Wie sehr das Ignorieren der real empfundenen Ungerechtigkeiten die Landespolitik verformt hat, darauf ging in ihrer Rede die demokratiepolitische Sprecherin der Grünen, Katja Meier, ein.

Unter der Oberfläche gärt es nämlich gewaltig, stellte sie fest.

„Die Ergebnisse lassen drei Schieflagen ausmachen:

1. Die Sachsen fühlen sich in ihrer Identität als Ostdeutsche ungerecht behandelt.
2. Trotz des grundsätzlich positiven Blicks in die Zukunft ist die Angst vor sozialem Abstieg groß. Immer mehr Menschen beziehen sich in der Folge wieder positiv auf die DDR, nur noch 36 Prozent sehen in der DDR einen Unrechtsstaat, acht Prozent weniger als bei der letzten Befragung. Das lässt bei mir als Mitglied von Bündnis 90/ Die Grünen die Alarmglocken läuten.
Und 3.: Je weiter weg die Politik von den Menschen ist, desto weniger Vertrauen haben die Menschen in sie. Während das Vertrauen in Bürgermeister und Gemeinderäte mit 60 Prozent eher hoch ist, bewegt es sich steil bergab, je weiter die Politik von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt ist. Die Landespolitik erfährt weniger Vertrauen als die Kommunalpolitik, die Bundespolitik weniger als die Landespolitik usw.“

Und dann kommt sie auf die Handlungsfelder zu sprechen, wo die Landesregierung lieber ein völlig sinnfreies Sparprogramm fuhr, statt in die Zukunft des Freistaats zu investieren. Die Kommunen wurden finanziell an die Kandare genommen, die Bildung zu einem neoliberalen Kürzungsprogramm verdonnert.

Und immer wieder machte die Regierung ihr Misstrauen in die Bürger öffentlich – bei der Verweigerung eines Informationsfreiheitsgesetzes genauso wie bei der „jahrzehntelangen Gängelung der Zivilgesellschaft durch die Extremismusklausel“.

„Ja, sie wurde ad acta gelegt, aber just am Wochenende beschloss die CDU die Extremismusklausel wieder einzuführen“, stellte Meier fest. Immer wieder fällt die Regierungspartei CDU in ihre vormundschaftliche Haltung zurück, die so fatal an vergangene Zeiten erinnert. Die Ulbigsche Sicherheitspolitik gehört hier genauso hin.

„Sie haben Zivilgesellschaft nicht verstanden, wenn sie dieser permanent das Misstrauen aussprechen anstatt sie zu fördern“, sagte Meier ein sehr wahres Wort. „Sachsen wird Lösungen auf die vielen ungelösten Probleme nur dann finden, wenn Sie die Ergebnisse des Sachsen-Monitors ganzheitlich betrachten, anstatt sich einzelne Punkte wie erfahrene oder gefühlte Benachteiligung in der Nachwendezeit herauszugreifen. Dieser Freistaat braucht ein radikales Umdenken.“

Autsch. Hätte sie nur nicht das Wörtchen „radikal“ gebraucht. Jetzt sitzen die CDU-Abgeordneten bestimmt wieder erschrocken unterm Tisch und rufen verzweifelt nach dem Stadtordnungsdienst.

„Bürgerinnen und Bürger müssen auf Augenhöhe mit Behörden und Regierung diskutieren können, Hürden für Beteiligung fallen, Verfahren und Prozesse transparent werden“, sagte Meier ein paar ganz einfache Sachen, die man so im aktuellen Sachsen nicht erleben kann. Die im „Sachsen Monitor“ deutlich gewordene Sehnsucht nach einer „starken Hand“ ist ja die Hoffnung, dass wenigstens mal ein Kraftmensch Politik macht, wenn das Volk schon nicht gefragt ist. Meiers Appell: „Die Entwicklung einer aktiven, demokratischen Bürgergesellschaft muss zugelassen werden, Bürgerinnen und Bürger sollten mehr Eigenverantwortung erhalten, ihnen muss vertraut werden. Nur so kann sich in diesem Freistaat etwas zum Positiven verändern. Nur so kann es gelingen, dass es bei der Geschichte über die gesellschaftlichen Einstellungen kein ABER mehr gibt.“

Fast so etwas wie eine Geburtstagsausgabe – Die neue LZ Nr. 50 ist da

Über das Trotzdem-Zeitungmachen, alte Sachsen-Seligkeit, die Bedeutung des Kuschelns und die Träume der Leipziger

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar