Eine nicht ganz unwichtige Frage wirft dieser Tage das Hitschfeld Büro für strategische Beratung GmbH aus Leipzig auf. Seit Jahren beschäftigt man sich dort mit der Frage, wie man Bürger einbindet in wichtige Entscheidungsprozesse wie die Energiewende. Geht es denn nicht um echte Partizipation? Und dann sagt die Bundesnetzagentur ihren in Erfurt geplanten Informationstag „Netzausbau und Mensch“ wegen zu geringen Interesses ab. Sind die Bürger vielleicht überfordert?

Obwohl gerade auch in Thüringen die Netzausbauprojekte kontrovers diskutiert und von vielen Thüringern wegen der vermuteten Nachteile für Natur und Gesundheit abgelehnt werden, hatten sich bei der Bundesnetzagentur zu wenige Teilnehmer gemeldet, um über die Auswirkungen des Netzausbaus auf den Menschen informiert zu werden bzw. mit Experten zu diesem Thema zu diskutieren.

„Gerade weil eine gute Informationspolitik und Partizipation beim Netzausbau – zweifellos einem der akzeptanzkritischsten Themen der heutigen Zeit – vehement eingefordert wird, ist dies ein bemerkenswerter Vorgang. Liegt das geringe Interesse an einem ungeschickt ausgewählten Termin oder gibt es tieferliegende Ursachen?“, fragt man sich nun bei Hitschfeld.

Das Büro Hitschfeld hatte im Rahmen seiner mehrjährigen Forschungsstudien über Akzeptanzsicherung und -erwerb für Projekte in Wirtschaft und Gesellschaft im Herbst 2016 1.001 Bürgerinnen und Bürger zu diesem Thema befragt: Überfordern die immer zahlreicheren Angebote zur Partizipation auf allen Ebenen – von der Schulspeisung bis zum lokalen Verkehrskonzept, vom Netzausbau bis zum kommunalen Bebauungsplan – ihre knappen Ressourcen, insbes. das Zeitbudget und Know-how?

Fast 40 Prozent stimmten schon damals der Aussage zu, dass die Zahl der Projekte, in denen Engagement möglich ist, das Maß des persönlich Machbaren überschreiten würde. Seitdem haben sich die Partizipations- und Informationsangebote in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen vervielfacht.

Auch deshalb müsse es heute nicht allein darum gehen, die Palette der Angebote zu vergrößern. Es gehe auch darum, wie man „Partizipation“ erleichtern kann, Zugangsschwellen absenkt und das Know-how der Akteure erhöht, so das Büro für strategische Beratung. Ein Verfahren wie in der Schweiz, wo (formale) Partizipationsmöglichkeiten an einigen Tagen im Jahr konzentriert werden, könnte einen Beitrag leisten. Es verbessert die Übersichtlichkeit der verschiedenen Angebote und die Bürgerinnen und Bürger könnten sicher sein, keine Mitwirkungsmöglichkeit zu versäumen.

Aber die Auswertung der Umfrage von 2016 zeigt noch andere Punkte. Denn die meisten Befragten fanden ja nicht, dass es zu viele Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Im Gegenteil. Dieser Aussage stimmten ja nur 39 Prozent der Befragten zu.

Das Problem scheint tatsächlich auf der Informationsebene zu liegen. Und zwar der im Vorfeld: 94 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu „Es wäre mir wichtig, dass genügend Informationen zu einem Projekt zur Verfügung gestellt werden. Auf dieser Basis könnte ich dann entscheiden, ob ich mich engagieren will oder nicht.“

Das heißt: Die schlechte oder gar fehlende Information über ein Projekt schreckt die Bürger schon im Vorfeld ab. Behörden und Unternehmen, die die Betroffenen über die tatsächlichen Dimensionen eines Projekts im Unklaren lassen, sorgen schon im Vorhinein dafür, dass sich weniger Menschen interessieren. Die Informationsschwelle ist die wichtigste Schwelle zur Beteiligung.

Es ist, als hätte das Büro Hitschfeld die ganze Zeit die Stadt Leipzig und ihre sehr zurückhaltende Informationspolitik vor Augen. Die sich meist durch das, was dann an gesteuerter Bürgerbeteiligung passiert, auch nicht auflöst. Im Gegenteil: Die Nicht-Information über die wichtigsten Aspekte eines Vorhabens sorgt dafür, dass selbst angesetzte Bürgerforen von den Bürgern gemieden werden. Und die, die sich dann aufraffen, stehen meist Organisatoren gegenüber, die ihren Wissensvorsprung ungehemmt ausnutzten, um auch hier wieder die Meinungsbildung zu steuern.

Hitschfeld machte 2016 noch auf zwei andere Aspekte aufmerksam, die davon erzählten, dass Bürgerbeteiligung eben noch lange nicht gelebte Praxis ist. Das Selbstverständlichste fehlt nämlich.

„Aktuell hat das Thema ‚Partizipation‘ aus unserer Sicht noch kein gelebtes Fundament. Das Thema ‚lebt‘ nahezu ausschließlich im politischen Diskurs und basiert – dann projektbezogen – nur zu einem geringen Teil auf persönlichen, ge- und erlebten praktischen Erfahrungen.“

Und auch Leipzig ist noch meilenweit davon entfernt, seinen Bürgern echte Beteiligung erlebbar zu machen.

Sie fühlen sich oft nicht informiert. Und wenn sie dann mal beteiligt werden, wird ihr Statement oft verwässert oder gleich von vornherein verunmöglicht – wenn man zum Beispiel die neuere Fake-Beteiligung zum „Wassertouristischen Nutzungskonzept“ betrachtet. Die Einschätzung, dass in Leipzigs Verwaltung ein hoheitliches Bevormundungsdenken eingezogen ist, ist also wohl doch nicht so falsch.

Und wenn Bürger immer wieder nur frustrierende Erlebnisse mit einer solchen Art kontrollierter Bürgerbeteiligung haben, hören sie natürlich bald auf, den falschen Versprechungen auf Teilhabe noch zu folgen. Das trifft nicht auf alle Beteiligungsprozesse der Stadt zu – das muss hinzugefügt werden. Aber oft reichen die wenigen Beispiele, wo solche Beteiligung nur als Placebo praktiziert wird, völlig aus, die Politik- und Beteiligungsverdrossenheit der Bürger zu steigern.

„Um also die von den Befragten gestellten Anforderung an gelungene Partizipation einlösen zu können, müsste zunächst eine Kultur der ‚aktiven Zustimmung‘ entstehen – davon sind wir in Deutschland weit entfernt“, stellte Hitschfeld 2016 fest. Daran hat sich bis heute nichts geändert. „Dies bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger von Politik, Verwaltung und Unternehmen (also den Organisatoren von Beteiligung) etwas verlangen, was diese – auch bei äußerster Anstrengung – nur schwerlich liefern können. Sitzt die Gesellschaft in einer Partizipationsfalle?“

Die Antwort lautet wohl ganz einfach: Nein.

Es gibt nicht zu viele Partizipations-Angebote, sondern zu viele schlechte und schlecht organisierte, die eher abschrecken, als die Bürger einladen, jetzt auch noch Zeit zu opfern für eine Entscheidungsfindung, bei der am Ende doch wieder andere Instanzen und Ämter entscheiden, was gemacht wird.

Im Grunde belegt die Hitschfeld-Studie, dass Demokratie ohne Partizipation keine Akzeptanz findet. Und dass die heutige Demokratieverdrossenheit sehr viel mit diesen durchaus wahrnehmbaren Ungleichgewichten zwischen hoheitlicher Bevormundung und immer wieder frustrierten Bürgern zu tun hat.

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