Ganz ketzerisch fragte das Hitschfeld Büro für strategische Beratung am Montag, 17. Oktober: „Deutschland in der ‚Partizipationsfalle‘?“ Hat es aber so gar nicht gemeint. Die Bürger klagen ja gar nicht über zu viel Mitwirkung. Eher über die praktizierte Unüberschaubarkeit der Möglichkeiten. Das ist das Ergebnis der jüngsten Hitschfeld-Studie.

„Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse gilt allgemein nicht nur als gesellschaftliches Gebot der Stunde, sondern auch als Universalinstrument zur Akzeptanzverbesserung gegenüber öffentlichen Projekten“, kommentiert das Büro Hitschfeld den Ansatz für seine jüngste Befragung der Zeitgenossen. „Und so stehen Unternehmen, öffentliche Verwaltungen, Politik und gesellschaftliche Interessenvertreter vor der Aufgabe – auch außerhalb der ohnehin vorgeschriebenen Bürgerbeteiligungen – das richtige Maß an Information und Partizipation zu finden. Das ist nicht einfach.“

Gute Frage also: Wann wird „Bürgerbeteiligung“ als „erfolgreich“ wahrgenommen? Wenn sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger tatsächlich beteiligt haben, also von angebotenen Möglichkeiten tatsächlich Gebrauch gemacht haben? Oder ist für den Eindruck einer erfolgreichen Partizipation die ausreichend eingeräumte Möglichkeit zur Beteiligung entscheidend – unabhängig von ihrer Inanspruchnahme? Wollen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit zur Partizipation eingeräumt bekommen?

Und wer dachte, die Bürger hätten nach vielen eher entmutigenden Ansätzen zur Beteiligung die Nase voll, der irrt. Eigentlich wollen sie mehr.

Unlösbare Aufgaben oder Verweigerung der Bringepflicht?

Und das, so schätzt das Büro Hitschfeld ein, stelle alle, die Partizipation realisieren wollen, vor fast unlösbare Aufgaben.

40 Prozent der im Rahmen der repräsentativen Untersuchung 1.001 befragten Bürgerinnen und Bürger seien der Ansicht, dass Partizipation schon dann erfolgreich erfolgt, wenn Bürger die Option zur Teilhabe eingeräumt bekommen – unabhängig davon, ob sie dieses Angebot letztendlich auch wahrnehmen. Doch der Mehrheit, 60 Prozent, reicht dies nicht. Für sie ist der Indikator für gelungene Partizipation, wie viele BürgerInnen daran teilgenommen haben. Die härteste denkbare Währung, um Erfolg oder Misserfolg zu definieren.

Aber sie war zu erwarten nach all den Versuchen, Bürgerbeteiligung irgendwie nebenher zu organisieren, gern mit ausgewählten Teilnehmern, in geschlossenen Workshops oder zu Zeiten, da kein Mensch Zeit hat, seinen Arbeitsplatz zu verlassen. Da denken Verwaltungs-Fachleute nach wie vor in Verwaltungskategorien. Und manchmal freuen sie sich auch, wenn nicht so viele Bürger mitmachen – dann kann man nämlich auch die Ergebnisse besser lenken.

Das Büro Hitschfeld spricht von der „Bringepflicht“ von Politik, Behörden und Projektträgern. Doch ein großer Teil der Bürger geht noch weiter: Für sie ist nicht nur die Option, sondern das konkrete (Mit)Machen der Prüfstein für Erfolg oder Misserfolg von Partizipation.

Diese fordernde Haltung der BürgerInnen sei allerdings nicht widerspruchsfrei, schätzen die Initiatoren der Studie ein: Eine hohe Beteiligung an zum Beispiel einer Landtagswahl gelte zu Recht als wichtiger Indikator für politisches Interesse und Teilhabe an unserer Demokratie. Dies lasse sich aber nicht direkt auf die Wahrnehmung von Partizipationsangeboten, z.B. im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder bei der Diskussion um den Netzentwicklungsplan, übertragen. Hier lehre die Erfahrung, dass Nichtbeteiligung fehlendes Interesse, aber oft auch (stillschweigende) Zustimmung oder Duldung bedeute.

Oder – was ja auch schon Thema der diversen Hitschfeld-Studien war: fehlende Information, falsch adressierter Empfängerkreis, fehlende Barrierefreiheit und Nicht-Nutzen moderner Kommunikationskanäle.

Partizipation beginnt mit barrierefreier Information
Wer die jetzt deutlich gewordenen Anforderungen an gelungene Partizipation einlösen wolle, müsste zunächst eine Kultur der „aktiven Zustimmung“ schaffen.

Davon sind wir in Deutschland weit entfernt, stellt das Büro Hitschfeld fest.

Was ja auch schon eine Erkenntnis ist: In Deutschland gibt es nicht mal die Instrumente einer allgemeinen Partizipationskultur. Also gibt es immer wieder nur Alibi-Partizipation – mit oft genug frustrierenden Ergebnissen.

Die Bürgerinnen und Bürger würden also von Politik, Verwaltung und  Unternehmen (also den Organisatoren von Beteiligung) etwas verlangen, was diese, auch bei äußerster Anstrengung, nur schwerlich liefern können, schätzt Hitschfeld ein. Sitzt die Gesellschaft also in einer Partizipationsfalle?

Der Vorschlag zur Lösung: „Ein Ausweg könnte in der Entwicklung einer anderen Beteiligungskultur liegen, in der ‚passive Zustimmung‘ sehr viel mehr als bisher als Meinungsäußerung akzeptiert und im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Die verstärkte Mobilisierung der ‚schweigenden Mehrheit‘ ist ein schwieriger, aber offenbar notwendiger Weg, um aus der Partizipationsfalle zu entkommen. Der Slogan muss also heißen ‚Nur JA heißt JA!‘“

Sollte es nicht auch heißen: „Nur NEIN heißt NEIN?“ Und: „Nur WEISS NICHT heißt WEISS NICHT?“

Ohne echten Dialog keine Entscheidung auf Augenhöhe

Denn die Hitschfeld-Umfragen funktionieren ja auch nach dem Prinzip, auch wenn immer nur 1.000 Personen befragt werden. Da wissen die Befragten, worum es geht. Was in der politischen Wirklichkeit meist nicht der Fall ist. Die Mediennutzung ist zersplittert, offizielle Plattformen für einen gesellschaftlichen Dialog gibt es nicht (und damit sind nicht die Gierhälse der „Sozialen Medien“ gemeint). Selbst die oft gefeierten öffentlichen Sender sind, was gesellschaftliche Grundinformationen betrifft, eine Katastrophe. Oder ein staatlich installiertes Verdummungswerkzeug.

Denn das Grundproblem von Partizipation ist nun einmal Information. Wenn Informationen nicht allen Bürgern jederzeit barrierefrei zur Verfügung stehen, kann es keine echte Partizipation geben. Der Aussage „Es wäre mir wichtig, dass genügend Informationen zu einem Projekt zur Verfügung gestellt werden. Auf dieser Basis könnte ich dann entscheiden, ob ich mich engagieren will oder nicht“ stimmten 94 Prozent der Befragten teils oder völlig zu.

Die Frage „Überfordern die (zahlreichen?) Angebote zur Teilnahme auf allen Ebenen die knappen Ressourcen der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere ihr Zeitbudget und Know-how?“ geht am Grundproblem vorbei.

Zwar stimmen 39 Prozent der Befragten der Aussage uneingeschränkt oder eingeschränkt (stimme zu/stimme eher zu) zu, dass die Zahl der Beteiligungsangebote und Aufforderungen zum Engagement sie überfordere, aber 56 Prozent fühlten sich überhaupt nicht überfordert. Nicht einmal das Argument der direkten Betroffenheit zieht wirklich. Denn 68 Prozent der Befragten würden sich auch beteiligen, wenn das Projekt sie nicht selbst betrifft, aber in die völlig falsche politische Richtung führt.

Nur so am Rande bemerkt: Wahlen sind auch Partizipationen, die darunter leiden, dass die Wähler nicht wirklich über Inhalte und Alternativen informiert sind.

Informationen werden vorenthalten, Barrieren nicht gesenkt

Tatsächlich leben wir in einer Informations-Verhinderungsgesellschaft. Was übrigens ebenfalls auf frühere Hitschfeld-Studien verweist: Ohne qualifizierte Kenntnis von den Entscheidungen funktioniert Partizipation nicht. Aber gerade da hapert es fast immer: Es wird schlecht informiert. Oft genug wird sogar gelogen, dass sich die Balken biegen, Fakten werden unterschlagen, Folgen schöngeredet usw.

Die Befragten wünschen sich tatsächlich etwas Anspruchsvolles. Aber ohne qualifizierte Beteiligung wird es keine funktionierende Demokratie geben.

„Auch wenn wir damit von einem ‚zu viel an Partizipation‘ noch weit entfernt sind, lohnt es sich weiter darüber nachzudenken, wie man ‚Partizipation‘ für Bürgerinnen und Bürger leichter machen kann“, zieht Hitschfeld das Fazit und betont noch einmal den abgefragten möglichen Vorschlag zu einer Lösung: „Eine Bündelung von Partizipationsmöglichkeiten an einigen wenigen  Tagen im Jahr – wie in der Schweiz üblich – hätte nicht nur einen Gewinn an Übersichtlichkeit zur Folge. Bürgerinnen und Bürger könnten sicher sein, keine Mitwirkungsmöglichkeiten aus Unachtsamkeit zu versäumen. 2/3 der Befragten finden das eine gute Idee – und wir auch.“

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