Wenn man der sächsischen Staatsregierung glauben wollte, dann ginge es beim Kohleausstieg in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier um fast 27.000 Arbeitsplätze, die irgendwie unmittelbar oder mittelbar mit Kohleförderung und Kohleverstromung zu tun haben. Die Zahl kolportierte die Staatsregierung auch wieder auf ihrer Website „Strukturwandel in den sächsischen Braunkohleregionen“. Eine Zahl, die der Landtagsabgeordnete Marco Böhme völlig unglaubwürdig fand.

Aber mit genau solchen Zahlen geht auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hausieren, wenn er für den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke in der Lausitz kämpft, stets mit der direkt aus den Energiekonzernen stammenden Begründung, für die Grundlastsicherung seien die Kohlekraftwerke unersetzbar. Und gerade im Fall der Lausitz kommt dann meist das Arbeitsplätzeargument direkt hinterher. 24.000 Arbeitsplätze seien allein in der Lausitz direkt von der Kohle abhängig, kann man da auf der Homepage der Staatsregierung lesen.

Das wäre schon eine diskutable Größe. Wenn sie denn stimmte.

Und um mal zu verifizieren, was denn eigentlich der direkt für die Kohle zuständige sächsische Energieminister Martin Dulig (SPD) weiß, hat Marco Böhme, der in der Linksfraktion Sprecher für Klimaschutz, Energie und Mobilität ist, nachgefragt.

Angefangen mit solchen Fragen wie „Wie definiert die Staatsregierung direkte und indirekte Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft in Sachsen?“ und „Wie viele indirekte Arbeitsplätze gibt es nach Kenntnis der Staatsregierung jeweils in den sächsischen Braunkohlekraftwerken und Braunkohlestaubfeuerungsanlagen seit dem Jahr 2000?“

Worauf Martin Dulig nur antworten kann: „Es liegen der Sächsischen Staatsregierung keine statistischen Angaben im Sinne der Fragestellung vor.“

Es gibt also sehr gute Gründe, den von der Staatsregierung herausposaunten Zahlen zu „indirekten Arbeitsplätzen“ zu misstrauen. Das Einzige, was man dazu hat – und darauf verweist auch Martin Dulig – ist eine Berechnung des RWI Leibniz-lnstitutes, derzufolge „diese mit Hilfe einer Multiplikatoren-Analyse berechnet werden“ können.

„Mit dieser Analyse werden die Effekte untersucht, die durch die direkt Beschäftigten im Braunkohlesektor in anderen Vorleistungs-, Investitions- und Konsumgüterindustrien hervorgerufen werden. Dieser und weiterer aktualisierender Studien zufolge entfallen – vereinfacht ausgedrückt – auf jeden direkt Beschäftigten noch einmal 0,6 indirekte und induzierte Arbeitsplätze unmittelbar in der jeweiligen Region und 1,8 indirekte und induzierte Arbeitsplätze deutschlandweit.“

Wenn also von Arbeitsplätzen in der Lausitz die Rede ist, dürfte zu den direkten Beschäftigten in der Kohle nur noch eine Beschäftigtenzahl mit dem Faktor 0,6 addiert werden, denn nur das sind dann alle von der Kohle abhängigen Arbeitsplätze in der Lausitz.

Und wie viele sind das nun?

In den gesamten neuen Bundesländern – also alle drei Kohleländer Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt eingeschlossen – gab es 2016 insgesamt 7.874 Arbeitsplätze, die direkt mit dem Kohlebergbau zu tun haben. Auf Sachsen allein heruntergebrochen, das ja nur Teile der Kohletagebaue in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier umfasst, waren es im selben Jahr 2.047 Arbeitsplätze.

Zahlenangaben der Sächsischen Staatsregierung auf ihrer Website zum Strukturwandel. Screenshot: L-IZ, 16. Juni 2019
Zahlenangaben der Sächsischen Staatsregierung auf ihrer Website zum Strukturwandel. Screenshot: L-IZ, 16. Juni 2019

Dazu sagt Martin Dulig: „Hinzu kommen nach eigenen Recherchen die Anzahl der Arbeitsplätze in den Kraftwerken Boxberg und Lippendorf im Jahr 2000 mit ca. 1.200 Beschäftigten und im Jahr 2016 mit ca. 1.000 Beschäftigten.“

Macht also für Sachsen rund 3.000 Arbeitsplätze, die direkt mit der Kohle zu tun haben.

Davon rund 1.500 im Lausitzer Kohlebergbau und rund 400 bei der MIBRAG. Weitere 200 sind sogar nur in der Sanierung tätig.

Wenn man die 3.000 mit dem Faktor 0,6 multipliziert, kommt man auf 1.800 Arbeitsplätze in anderen regionalen Unternehmen, die direkt von der Kohleförderung abhängen. Man hat also rund 4.800 Arbeitsplätze in Sachsen, die direkt und indirekt vom Strukturwandel betroffen sind, keine 26.800, wie die Regierungswebsite behauptet. Sachsen muss – wenn es die Kohlearbeitsplätze wirklich kompensieren will – also in den nächsten zehn Jahren, um die es ja hauptsächlich geht, höchstens 4.800 Arbeitsplätze kompensieren. Höchstens deshalb, weil selbst die Staatsregierung davon ausgeht, dass ein Drittel der Kohlekumpel in dieser Zeit sowieso in Rente oder in den vorgezogenen Ruhestand geht.

Und Böhme hat ja nicht ohne Grund gefragt, wie eigentlich die Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der neuen Energietechnologien sind.

Dazu verwies Martin Dulig auf eine Anfrage des energiepolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion, Gerd Lippold, aus dem Jahr 2017. Damals wurden jenem mitgeteilt, dass rund 19.400 Sachsen im Bereich der Nutzung Erneuerbarer Energien in Sachsen beschäftigt waren – bezogen auf das Jahr 2013. Dazu kommen noch rund 17.000 Menschen in der Produktion von Waren, Bau- und Dienstleistungen für den Umweltschutz.

Das Land verändert sich schnell. Und gerade bei den notwendigen Speichertechnologien für die Erneuerbaren hängt Sachsen gewaltig hinterher, müsste hier also investieren und neue Arbeitsplätze schaffen. Auch in der Lausitz.

Zumindest eines ist klar: Die Zahlen zu Arbeitsplätzen in der Kohle, mit denen die Staatsregierung in der Debatte um den Strukturwandel agiert, sind falsch.

Mal sehen, ob sich die Regierung geneigt sieht, das baldigst zu korrigieren.

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