Hat Corona den Leipzigern die Stimmung verhagelt? Eigentlich nicht, liest das Amt für Statistik und Wahlen aus den Befragungsergebnissen der Bürgerumfrage 2020. Laut aktueller Kommunaler Bürgerumfrage für das Jahr 2020 sind 77 Prozent der Bevölkerung mit ihrem Leben (sehr) zufrieden, 65 Prozent schauen optimistisch in die Zukunft. Die Werte sind nur leicht zurückgegangen und liegen weiter auf dem Niveau, das seit 2013 schon abgefragt wird.

Damals kam Leipzig ja tatsächlich endlich aus der wirtschaftlichen Delle, viele Leipziger/-innen bekamen endlich eine vollwertige Arbeitsstelle, viele konnten auch endlich die prekäre Arbeitssituation hinter sich lassen. Das bestimmt natürlich die Grundhaltung, ob man die eigene Situation als positiv einschätzt.Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning interpretierte das so: „Das entspricht den guten Werten der Vorjahre und zeugt von der hohen Lebensqualität Leipzigs.“

Was man bestreiten kann. Denn selbst die am Dienstag, 11. Mai, vorgelegte Kurzauswertung der Bürgerumfrage 2020 erläutert zu diesem Thema: „Die Lebenszufriedenheit steigt mit dem persönlichen Einkommen und ist auch stark von der Stellung im Erwerbsleben abhängig. Besonders zufrieden sind Personen mit einem Nettoeinkommen ab 2.000 Euro (87 %) sowie Studierende (85 %). Negativen Einfluss auf das Lebensbefinden hat hingegen Arbeitslosigkeit: Nur 43 % der Arbeitslosen sind mit ihrem Leben zufrieden.“

Das hat nun tatsächlich mit der Lebensqualität der Stadt eher weniger zu tun. Dafür jede Menge mit Dingen wie wachsende Beschäftigung, Rückgang prekärer Jobs, Mindestlohn und auch immer mehr Arbeitsangeboten im höheren Lohnbereich.

Entwicklung der Lebenszufriedenheit der Leipziger/-innen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Entwicklung der Lebenszufriedenheit der Leipziger/-innen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

Was übrigens eine Grafik in der Kurzauswertung besonders deutlich zeigt. Der Anteil der Haushalte, die über ein monatliches Nettoeinkommen von wenigstens 2.300 Euro verfügen, ist seit 2010 kontinuierlich gewachsen von damals gerade einmal 20 Prozent auf immerhin 38 Prozent im Jahr 2020. Gleichzeitig schmolz die Zahl der Haushalte, die mit weniger als 1.100 Euro auskommen müssen, von 33 auf 18 Prozent.

Dazu gehören natürlich auch viele Single-Haushalte. Was aber trotzdem bedeutet, dass ein Teil der Bürgerschaft die Armutszone verlassen konnte, auch wenn der Sockel der Armutsgefährdung nach wie vor – je nach Definition – zwischen 16 und 20 Prozent liegt.

Freilich blieb der Anteil der mittleren Haushaltseinkommen zwischen 1.100 und 2.300 relativ stabil, sank nur von 47 auf 44 Prozent. Was eben auch bedeutet, dass sich für 62 Prozent der Leipziger Haushalte der Blick auf die steigenden Mieten nicht wirklich geändert hat. Ein Thema, auf das wir noch zurückkommen werden.

Wenn aber mehr Bürger das Gefühl haben, dass sie selbst finanziell in einem besseren Fahrwasser sind, ändert sich auch der Blick auf die Stadt.

Entwicklung der Haushaltsnettoeinkommen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Entwicklung der Haushaltsnettoeinkommen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

„Die Corona-Pandemie hat vielfältige Auswirkungen auf das Leben der Leipzigerinnen und Leipziger, dennoch kommen die meisten von ihnen aus wirtschaftlicher Perspektive glimpflich hindurch“, betont das Verwaltungsdezernat. „Die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Situation hat sich im Vergleich zu den Vorjahren kaum geändert, die Bevölkerungsmehrheit – 64 Prozent – bewerten diese als sehr gut oder gut (2019: 63 Prozent).

Diese Einschätzung wird flankiert von einem persönlichen monatlichen Nettoeinkommen, das demnach im vergangenen Jahr weiter angestiegen ist – es liegt im Schnitt bei circa 1.480 Euro. Auch das monatliche Haushaltseinkommen hat sich leicht erhöht und liegt jetzt bei durchschnittlich rund 1.970 Euro.“

Das heißt: Trotz Corona gab es in vielen Leipziger Branchen weitere Lohnzuwächse, die übrigens auch dadurch befeuert werden, dass tatsächlich auch weiterhin ein Nachwuchs- und Fachkräftemangel gerade in nachfragestarken Branchen besteht. Auch das überdeckt das Corona-Jahr mit seiner steigenden Arbeitslosenzahl nur. Aber die Arbeitslosen kommen nun einmal vorrangig aus jenen Branchen, die von den Schließungen besonders hart getroffen sind: Gastronomie, Hotellerie, Kultur …

Aber logischerweise dominieren diese Branchen dann auch die Krisenberichterstattung. Und das wieder beeinflusst die Sicht der Leipziger/-innen auf die wirtschaftliche Lage der Stadt: „Etwas kritischer wird die wirtschaftliche Lage Leipzigs eingeschätzt: 43 Prozent der Befragten beurteilen sie als sehr gut oder gut, 2019 war dies noch bei 51 Prozent der Fall gewesen. Ob dies allein auf die wirtschaftliche Unsicherheit des Pandemiejahres zurückzuführen ist, ist fraglich: Dieser Wert war auch schon zwischen 2018 und 2019 rückläufig“, betont das Verwaltungsdezernat.

Woran das liegt, erklärt die Kurzzusammenfassung nicht. Und auch in der Auswertung des Jahres 2019 stand eher das Rätselraten darüber, woran das liegen könnte. Da war ja von Corona noch nichts zu ahnen. Aber eine Erklärung könnte schon damals in der deutlich schlechteren Bewertung der wirtschaftlichen Situation der Stadt in den Einkommensgruppen von 800 bis unter 1.400 Euro gelegen haben.

Diese Einkommensgruppen sieht man in der Regel nicht, wenn die Statistiker die Einkommen der Stadt aufsplitten. Nur teilweise gehören sie zu den Armutsgefährdeten (unter 1.100 Euro), aber sie machen eine erhebliche Gruppe der sogenannten Mittelschicht in Leipzig aus. Und wer jahrelang ausgerechnet zwischen 1.100 und 1.400 Euro festhängt, der bekommt die Preissteigerungen im Supermarkt, bei Energie und Miete mit voller Wucht zu spüren.

Was heißen könnte, dass nun doch wieder ein wachsender Teil der Leipziger/-innen das dumme Gefühl hat, dass es für sie doch nicht weiter aufwärts geht, sie aber die steigenden Lebenskosten mit voller Wucht zu spüren bekommen. Der Aufschwung, der ihnen ab 2013 ein bisschen Luft zum Atmen gegeben hat, geht mittlerweile wieder systematisch an ihnen vorbei.

Was eben auch das Gefühl erzeugt, dass es einer Stadt, in der das passiert, wirtschaftlich nicht gutgehen kann.

Was uns zu den Mieten bringt. Aber dazu an späterer Stelle mehr.

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