Am Dienstag, 11. Mai, veröffentlichte das Amt für Statistik und Wahlen den mittlerweile zur Tradition gewordenen Kurzbericht zur „Bürgerumfrage 2020“. Dürfen wir den überhaupt besprechen? Den findet doch hier keiner. Wir sind ja nur so was wie „Nachrichten/Wetterbericht“. Was Leute halt im Internet so ansteuern, wenn sie nicht gerade Bankgeschäfte machen. Das ist jetzt kein Spaß.

Und manchmal sind wir auch ganz humorfrei, was die Versuche der Stadtverwaltung betrifft, möglichst nicht wissen zu wollen, wo sich die Leipziger/-innen eigentlich über Verwaltung und Stadtpolitik so informieren. Das Thema steckt in einem Fragekomplex zur Internetnutzung der Leipziger/-innen. „Für welche Zwecke nutzen Sie das Internet?“, wurden die angeschriebenen Bürger gefragt.Aber nicht offen, sondern mit anzukreuzenden Möglichkeiten. „Zeitunglesen“ stand nicht da als Möglichkeit, sondern ein völlig wirres Sammelsurium aus Begriffen wie „Kommunikation“, „soziale Netzwerke“, „Suchmaschine/Recherche“, „Bankgeschäfte“, „Einkaufen“, der Kiste „Unterhaltung (Spiele, Videos oder Filme ansehen)“ und eben „Nachrichten/Wetterbericht“.

Das Ergebnis ist dann: „Die meisten Leipzigerinnen und Leipziger (89 %) verfügen über einen Internet-Zugang. Acht von zehn derjenigen, die einen Zugang haben, nutzen das Internet täglich. Drei Viertel der Nutzer bedienen sich dabei sowohl des Computers als auch des Smartphones/Tablets. Am häufigsten wird das Internet für Suchmaschine/Recherche (89 %) und Kommunikation (84 %) genutzt, weniger für Soziale Netzwerke (58 %) und Unterhaltung (64 %).“

Die Internetnutzung der Leipziger/-innen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Die Internetnutzung der Leipziger/-innen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

Was natürlich verblüfft und vor allem die Frage aufwirft, wer eine solche diffuse Frage formulieren konnte? Denn zum Beispiel mit „soziale Netzwerke“ konnten womöglich vor allem alte Erwachsene überhaupt nichts anfangen, auch wenn sie mit großer Wahrscheinlichkeit bei Facebook, Twitter oder einem anderen dieser Netzwerke unterwegs sind.

Was ebenfalls erstaunt bei der knappen Auswertung der Stadt ist die Tatsache, dass der Wetterbericht so völlig durchs Raster fällt. Und das, obwohl 80 Prozent der Befragten den Punkt „Nachrichten/Wetterbericht“ angekreuzt hatten. Was wohl weniger für den Wetterbericht spricht als die Tatsache, dass sich 80 Prozent der Leipziger/-innen auf Nachrichtenseiten im Internet informieren.

Was nach dem ganzen Bohei um die „social media“ tatsächlich noch überrascht, denn die kamen nun einmal nur auf 58 Prozent. Wobei auch das Wort „Recherche“ seltsam klingt im Begriffspaar „Suchmaschine/ Recherche“, das 89 Prozent der Umfrageteilnehmer ankreuzten. Denn wo recherchieren die Leute eigentlich, wenn nicht größtenteils wieder auf Nachrichtenseiten?

Es ist dieses Durcheinander, das stört, weil es eben nicht davon erzählt, dass die Ersteller der Fragen wissen wollten, wie die Leipziger/-innen das Internet tatsächlich nutzen. Nicht mal, was die für eine Verwaltung eigentlich wichtigen Aktivitäten sind wie etwa das Unterstützen von Online-Petitionen, die Beteiligung an Bürgerbeteiligungsprozessen (wie zuletzt beim Doppelhaushalt 2021/2022) oder die Abwicklung von Meldevorgängen beim Bürgeramt. Stichwort: digitales Rathaus.

Wobei uns als Betreiber so einer komischen Wetterberichtsseite natürlich besonders verblüfft, dass die besonders internetaffinen jungen Leute zwischen 18 und 24 Jahre bei „Nachrichten/Wetterbericht“ sogar zu 89 Prozent ihr Kreuz gesetzt haben. Sie gehen also nicht nur zu Spiel, Spaß und Unterhaltung ins Internet (88 %), sondern informieren sich auch über das, was in der Welt passiert. Und das fast in demselben Ausmaß, wie sie das Internet zur Kommunikation nutzen (91 %).

Die verschiedenen Weltsichten von Jung und Alt

Warum nehmen wir das so ernst? Weil es nun einmal auch Stadtpolitik beeinflusst und verändert. Denn nur wer einigermaßen auf dem Laufenden ist, wie es um die Stadtpolitik steht, kann aktiv werden und Einfluss nehmen. Auch in Leipzig, das jahrelang fast ausschließlich von den Interessen der älteren Bürger dominiert wurde – nicht nur, was den Parteienproporz im Stadtrat betraf. Sondern vor allem, was die Themenschwerpunkte der Stadtpolitik bestimmte. Bekanntestes Beispiel für die Veränderung inzwischen: „Fridays For Future“.

Aber auch bei einem Lieblingsthema dieser Umfragen wird das von Jahr zu Jahr immer deutlicher. Ein Thema, das wir hier schon mehrfach kritisch behandelt haben, weil es jahrelang die Sicht darauf verstellt hat, dass die „größten Probleme aus Bürgersicht“ gar nicht wirklich die größten Probleme der Stadt sind. Denn ältere Menschen schauen völlig anders auf das, was ihnen an der Stadt wichtig ist, als jüngere. Wenn aber Ältere allein durch ihr zahlenmäßiges Übergewicht die Themen bestimmen, bekommt eine Stadt wie Leipzig auch eine alte Politik.

Die "größten Probleme der Stadt" aus Sicht der jungen Erwachsenen (18- bis 24 Jahre). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerfumfrage 2020
Die „größten Probleme der Stadt“ aus Sicht der jungen Erwachsenen (18- bis 24 Jahre). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

Das klingt auch an, wenn die Auswertung formuliert: „Die Hälfte der Leipziger Stadtbevölkerung sieht in den Bereichen Kriminalität und Sicherheit (49 %) und Verkehr (47 %) die größten Herausforderungen der Stadt Leipzig. Für knapp vier von zehn Leipzigerinnen und Leipzigern trifft dies auch auf den Bereich Wohnen zu.“

So, wie es dasteht, stimmt es natürlich nicht. Was schon beim Stichwort „Verkehr“ losgeht, denn das sehen Autofahrer, ÖPNV-Nutzer, Radfahrer und Fußgänger alle völlig anders. Bevor wir uns damit beschäftigen, warten wir lieber auf die komplette Auswertung der Bürgerumfrage.

Aber dass das Thema Sicherheit seit Jahr und Tag immer wieder als „größtes Problem“ gehandelt wird, erzählt eine Menge über das Übergewicht der älteren Leipziger/-innen auch in der Bürgerumfrage.

Das ist aber ein Thema, bei dem die Stadt eher wenig tun kann, weil Sicherheit nun einmal vorrangig Polizeiaufgabe ist. Und es verstellt die Sicht auf die wirklich brennenden Themen derer, die eben nicht mit Rente den Lebensabend genießen, sondern sich damit herumschlagen, dass es keine bezahlbaren Wohnungen (mehr) gibt, gerade für Familien.

Bei den jüngeren Leipziger/-innen (18 bis 24 Jahre) ist Wohnen mit 47 Prozent der Nennung das Thema Nr. 1, gefolgt vom Verkehr (ebenfalls 47 %) und Armut und Einkommen (30 %). Und ganz ähnlich sieht es bei den Eltern mit Kindern unter 14 Jahren aus. Hier die Reihenfolge: Wohnen (54 %), Verkehr (51 %), Kitas und Schulen (49 Prozent). Und das sind Themen, bei denen die Stadt tatsächlich handeln kann und handeln muss.

Nur die älteren Leipziger (55 bis 85 Jahre) meinen zu 70 Prozent, dass Sicherheit Leipzigs größtes Problem wäre, während Wohnen und Kitas und Schulen unter „ferner liefen“ kommt, ganz zu schweigen vom Thema Umwelt, das nur 7 Prozent der Älteren als Problem sehen.

Die "größten Probleme" aus Sicht der Älteren (55 bis 85 Jahre). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Die „größten Probleme“ aus Sicht der Älteren (55 bis 85 Jahre). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

Fühlen wir uns da wie im falschen Film? Natürlich. Die jungen Erwachsenen, die die Versäumnisse der Alten einmal ausbaden müssen, sehen das Thema Umwelt bei 20 Prozent. Im Grunde ist diese in diesem Fall sehr klare Abgrenzung dreier unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in der Auswertung sehr erhellend, denn sie zeigt, dass man mit Mehrheitsentscheidungen keine gute Politik macht, wenn man dabei negiert, dass Menschen in unterschiedlichen Lebensaltern völlig anders auf die Welt und die Zukunft schauen.

Und wenn dann gar über Jahre immer nur die Sicht der Älteren dominiert, weil sie lange Zeit auch die Mehrheit der Wählerschaft gestellt haben, dann gehen die wichtigsten Zukunftsthemen unter, werden zu spät angepackt und jede Menge Verwaltungsenergie geht dabei drauf, einen Status quo zu erhalten, der im Angesicht der wirklichen Probleme nicht zu halten ist.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar