Augenblicklich tobt ja wieder die mediale Diskussion: Sollen Kitas und Schulen geschlossen werden? Bleiben sie offen? Werden die Kinder so zu unfreiwilligen Pandemie-Treibern? Oder kann es sich Deutschland gar nicht mehr leisten, die Kindereinrichtungen zu schließen? Denn die Frage dahinter lautet ja immer: Auf wessen Kosten geht das eigentlich? In der „Bürgerumfrage 2020“ gab es dazu eine eindeutige Aussage.

„Die Kinderbetreuung erfolgte überwiegend durch die Befragten selbst bzw. deren Partner/-in: In Haushalten mit Kind(ern) unter sieben Jahren wurden diese in 72 Prozent der Fälle täglich, in weiteren 23 Prozent der Haushalte zumindest einmal wöchentlich durch die Bezugsperson oder deren Partner/-in betreut“, werten die Statistiker die Antworten aus, die dazu in der „Bürgerumfrage 2020“ eingingen. Also noch in Bezug auf das erste Pandemie-Jahr.Aber im zweiten Pandemie-Jahr wird sich daran nichts geändert haben. „In Haushalten, in denen lediglich ältere Kinder im Alter von sieben bis unter 14 Jahren leben, liegen die Werte nur unwesentlich niedriger. Kinder unter sieben Jahren wurden in 8 Prozent der Haushalte täglich durch die Notbetreuung von Schule oder Kindertageseinrichtung betreut, in weiteren 11 Prozent der Haushalte zumindest einmal wöchentlich. Bei älteren Kindern kam die Notbetreuung dagegen seltener zum Zuge. Eine Betreuung durch andere Personen im Haushalt stellte die absolute Ausnahme dar, auch andere Personen außerhalb des Haushaltes übernahmen nur in etwa jedem zehnten Haushalt regelmäßig (mindestens einmal pro Woche) Aufgaben der Kinderbetreuung.“

Denn das gehört natürlich zu den Problemen unser hochtourigen Gesellschaft, dass das Modell der Großfamilie schon lange nicht mehr funktioniert. Mehrere Regierungen haben es sich gerade in den vergangenen 40 Jahren zur Aufgabe gemacht, die Arbeitswelt „mobiler und flexibler“ zu machen. Was eben nicht nur bedeutete, dass ein ganzer Strauß prekärer und befristeter Arbeitsverhältnisse „erfunden“ wurde, den vor allem junge Menschen beim Eintritt ins Arbeitsleben zu spüren bekommen.

Die Arbeit hat sich auch massiv verlagert – weg aus ländlichen Räumen und kleineren Gemeinden in die großen Metropolkerne, wo sich auch die Infrastrukturen der modernen Arbeitswelt bündeln. Junge Menschen müssen also, wenn sie eine Arbeit in ihrer Qualifikation finden wollen, auf die Socken machen und ihre Heimatregion fast zwangsläufig verlassen.

Mit dem Ergebnis, dass sie bei der Familiengründung zwingend auf soziale Unterstützung in der Kommune angewiesen sind, in der sie leben und oft beide Elternteile einer Arbeit nachgehen müssen, um den jungen Hausstand zu finanzieren.

Mit dem Ergebnis, dass sie in Krisenzeiten gar keine Rückfallvariante für die Betreuung der Kinder haben und zwangsläufig mindestens einer von beiden zu Hause bleiben muss.

Es war also von der Politik leicht gesagt, dass Schulen und Kitas zur Bekämpfung der Pandemie zeitweilig geschlossen werden mussten. Aber das war eine Lösung, die vor allem zulasten der jungen Eltern ging: „60 Prozent der Befragten mit Kind(ern) im eigenen Haushalt empfanden die Schließung von Schulen und Kindergärten als sehr starke oder starke Belastung (31 bzw. 29 Prozent). Lediglich 10 Prozent empfanden die Schließungen als geringe Belastung, weitere 7 Prozent sahen sich überhaupt nicht belastet.“

Wenn es Kinder im Haushalt gab, fanden nur 5 Prozent der Befragten überhaupt Ausweichmöglichkeiten für ihre Betreuung. Womit zumindest die Stadt Leipzig jetzt auch schwarz auf weiß hat, dass unsere Gesellschaft im Grunde keine Puffer hat, wenn Kindereinrichtungen über längeren Zeitraum geschlossen werden müssen. Die Last liegt fast ausschließlich bei den jungen Eltern, die dann natürlich auch am Arbeitsplatz ausfallen, wenn sie nicht auch noch die Zusatzbelastung Homeoffice auf sich nehmen können.

Mögliche Hilfe durch Großeltern, Verwandte oder Freunde konnte kaum eine Familie in Anspruch nehmen. Was kein unwichtiger Hinweis darauf ist, dass unsere moderne, hochtechnisierte Gesellschaft auch in diesem Bereich nicht wirklich resilient ist.

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Es gibt 3 Kommentare

@Frank: “Treiber” finde ich als Begriff in diesem bzw. generellem Zusammenhang immer etwas unglücklich. Grundsätzlich ist sicherlich unstrittig, dass sich ein Virus nicht anders verhält, ob nun sein Wirt alt oder jung ist und erst recht beim Verbreitungsweg über Aerosole. Warum sollte auch die Verbreitung in der Schule/Kita freien Lauf haben, sich aber außerhalb (im privaten Bereich) anders verhalten? Man schaue nur mal auf die Inzidenzen der letzten Monate für Schüler:innen bis 19 Jahren im Vergleich zum Rest der Bevölkerung, nicht nur in Dtl., auch wenn da wahrscheinlich eine Überrepräsentation aufgrund häufigerer Testungen gegeben ist. Ferienzeiten sind da übrigens meist auch recht gut zu erkennen, in beide Richtungen.
Aufgrund unterschiedlicher Einschränkungen (Schließungen Kultur+Sport, Kontaktreduzierungen, Zugangsbeschränkungen, Homeoffice etc.) während der diversen Wellen, waren die Schulen ab dem Zeitpunkt der Rückkehr zum dauerhaften Präsenzunterricht einer der wenigen Orte mit einer Ansammlung von vielen Menschen und verringerten Schutzmaßnahmen. Hatte das RKI nicht selber irgendwann mal veröffentlicht, dass der Großteil der Ansteckungen im privaten Umfeld stattfindet? Wo war denn dafür die Quelle der Infektion vorher, wenn für Erwachsene schon deutliche Beschränkungen/Einschränkungen galten?
Hatte ich noch im Hinterkopf und auch wenn der Artikel schon etwas älter (aus 11.2020) und somit noch pre-Omikron ist, dürfte sich aber grundlegend daran nichts geändert haben: https://theconversation-com.translate.goog/children-may-transmit-coronavirus-at-the-same-rate-as-adults-what-we-now-know-about-schools-and-covid-19-150523?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de

Fazit: Ich habe selber keine Kinder, finde aber den (von der Politik) gewählten Weg der geförderten Durchseuchung der jüngeren Jahrgänge für die schlechteste aller Lösungen, zumal ohne wirklichen “Nutzen” seit Omikron, allein aufgrund der geringen Immunitätswirkung einer durchgemachten Infektion.

Die Maßnahme “Schulschließung” geht davon aus, dass von Kindern eine Gefahr in Bezug auf die “Verbreitung” Pandemie ausgeht. Gibt es schon gesicherte Erkenntnisse auf welchem Weg und in welcher Größenordnung Kinder zu “Pandemie-Treibern” werden? Bis jetzt habe ich nur gefunden, dass es möglich wäre. Über genauere Kenntnisse würde ich mich freuen.

Herr Julke, in Bezug auf den letzten Abschnitt muss ich Ihnen leider widersprechen. Zum Anfang der Pandemie ist ja gerade dies nicht gewollt gewesen. Es sollten die Kinder und Enkel so wenig wie möglich Kontakt mit den Großeltern haben. Deshalb bin ich gespannt wie es 2021 aussieht, ich für mein Teil habe im zweiten Pandemiejahr recht oft die Betreuung meiner Enkel übernommen.

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