Eigentlich geht es der Mehrheit der Leipziger/-innen nach zwei Jahren Pandemie ganz gut, wie der in dieser Woche veröffentliche Vorabbericht zur „Bürgerumfrage 2021“ zeigen konnte. Im Vorjahr waren 77 Prozent der Bevölkerung mit ihrem Leben (sehr) zufrieden gewesen, 65 Prozent schauten noch optimistisch in die Zukunft. 2021 sanken beide Werte leicht: 6 von 10 Befragten schauten demnach (eher) optimistisch in die Zukunft, 73 Prozent waren mit ihrem Leben zufrieden.

Aber es war nicht nur die Pandemie selbst mit ihren einschränkenden Maßnahmen, den Sorgen um die Gesundheit, dem Homeoffice, den geschlossenen Kitas und Schulen, die die Leipziger/-innen belasteten.

Wahrscheinlich haben es die „Impfgegner“ und „Querdenker“ nicht mal mitbekommen, dass sie selbst in diesem Jahr zu einem Stressor für alle geworden sind. Denn ihr aggressives Auftreten beschränkte sich ja nicht nur auf Demonstrationen. Ihr Beharren auf Extrawürsten und die Radikalität, mit der sie ihre Meinung kundtaten, machten auch in vielen Freundeskreisen, in Familien, Nachbarschaften und Unternehmen den Alltag kompliziert und belastend.

Das Ergebnis spiegelt sich in der Bürgerumfrage wider: „Große Schwierigkeiten nehmen die Bürgerinnen und Bürger beim sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft wahr. Drei Viertel der Befragten erwartet negative Folgen aufgrund der Pandemie, 43 Prozent sogar sehr negative. Dieser Anteil hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Die persönlichen Folgen der Corona-Pandemie auf das familiäre Miteinander, die eigene Gesundheit oder die eigene wirtschaftliche Situation werden dagegen ausgewogen betrachtet.“

Die Problemsicht der Leipziger/-innen 2021. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Waren es 2020 noch 47 Prozent der Befragten, die den Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht sahen, so waren es 2021 dann schon 76 Prozent.

Wer nun freilich wie abgestimmt hat, zeigt die Auswertung natürlich nicht. Waren es vor allem die Geimpften, die hier ihre Besorgnis zeigten? Oder auch Menschen, die sich für ihr Nichtgeimpftsein angegriffen fühlten?

Im Grunde steckt hier ein Forschungsfeld für Soziologen drin, denn einer der Gründe für dieses zunehmende Missbehagen waren ja auch die verlorenen Orte der Begegnung in der Corona-Zeit. Man traf sich seltener in Gaststätten, zu Kulturveranstaltungen oder auch Bürgerversammlungen. Die Diskussion über die Corona-Maßnahmen und ihren Sinn verlagerte sich fast komplett in die digitalen Medien und Blasen.

Und für nichts erwiesen sich die Plattformen dort als ungeeigneter als für einen gesellschaftlichen Dialog, in dem auch persönliche Ängste und Vorbehalte ihren Platz haben. Im Gegenteil: Sie verstärken Diskrepanzen und Vorurteile, befördern auch gleichzeitig Verschwörungstheorien und anonymisieren eine Diskussion, die dringend auf das offene Gegenüber angewiesen ist.

Da fällt kaum noch auf, dass bei der Frage zu den größten Problemen der Leipziger seit Jahren auch das „Gesellschaftliche Zusammenleben“ als Problem genannt wird, 2021 immerhin auf Rang 6, gleich hinter der Armut, mit 21 Prozent (2 Prozent mehr als 2020).

Das heißt: Der Riss durch die Gesellschaft ist schon länger spürbar. Corona hat ihn nur verstärkt und sichtbarer gemacht.

Die Frage zur medizinischen Versorgung korrespondiert im Grunde mit dieser Frage. Auch hier wuchsen die Besorgnisse, dass diese nicht mehr gewährleistet werden kann, von 42 auf 65 Prozent. Es waren ja nicht nur die Intensivstationen, die durch Corona-Patienten an ihre Belastungsgrenzen kamen. Viele gesundheitlich betroffene Leipziger/-innen merkten in diesen zwei Jahren auch, wie es auch in anderen medizinischen Bereichen und im Pflegebereich zu Einschnitten kam.

Und dabei ist Gesundheitsversorgung ein common, ein gemeinsames Gut, das alle bezahlen. Wenn das aber – nach Jahren der „Verschlankung“ – nicht mehr das leistet, was man eigentlich erwarten darf, wächst das Unbehagen an einer Gesellschaft, die ja tatsächlich in manchen Bereichen die Solidarität aufgekündigt hat.

Hingegen die Erwartung, Corona würde die Leipziger Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen, ging im zweiten Corona-Jahr wieder spürbar zurück. Erwarteten 2020 noch 75 Prozent der Befragten, dass es negative Folgen geben wird, so sank der Wert 2021 auf 69 Prozent.

Wirtschaft aber kann das solidarische Miteinander nicht ersetzen. Da müssen sich jetzt ein paar Leute tatsächlich etwas einfallen lassen.

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