Wir leben in einer ziemlich verängstigten und verunsicherten Gesellschaft. Das zeigt sich auch in der Frage nach den Ängsten der Leipzigerinnen und Leipziger in der Bürgerumfrage 2024. Es muss gar nichts passieren, und das Angstlevel geht hoch. Dazu genügen ein paar außer Rand und Band geratene Medien, angstschürende Politiker und eine permanente Überforderung in einer vom Informationschaos gefluteten Medienwelt.
Auch wenn es nicht überrascht, dass gegenüber der letzten Bürgerumfrage, welche die Ängste der Leipziger abfragte, einige Angstwerte deutlich gestiegen sind. Diese Frage gab es zuletzt 2022. Da flaute Corona gerade ab, dafür sorgte der Überfall Russlands auf die Ukraine für neue Ängste. Und zwar Ängste, die gerade in den „Social Media“ massiv bedient und verstärkt werden. Denn wer Angst machen kann, macht Politik. Das zeigen sämtliche Wahlergebnisse der Jahre 2024 und 2025.
So stieg die Zustimmung auf die Aussage „Ich habe Angst, dass ich durch einen Krieg hier nicht mehr sicher bin“ von 41 auf 47 Prozent. 19 Prozent bekundeten sogar sehr große Angst vor einem Kriegsfall. Eine Angst, die sichtlich noch größer ist als im ersten Kriegsjahr, was eine Menge darüber sagt, wie langfristig und nachhaltig Kriegspropaganda wirkt. Und sie wird gezielt und massiv eingesetzt, um Wahlen zu beeinflussen, wie eine schwedische Analyse bestätigte.
Extremismus profitiert von Ängsten
Das spielt nicht nur in Deutschland eine Rolle. Und vor allem hilft dieser Angstmache den extremistischen Parteien. Denn wenn die Menschen Angst haben, sind sie offen für Politikangebote, die eine schnelle Lösung versprechen, auch wenn dahinter nicht einmal der Ansatz einer Lösung steckt.
Aber die wilde Informationsflut und ganz gezielte Desinformation in den „Social Media“ befeuern eben auch noch eine andere Angst, die davor, dass „sich der politische Extremismus ausbreitet.“ Und hier wird es ganz verblüffend, denn dieser Aussage stimmten 70 Prozent der Befragten zu, 7 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor.
Das ist mittlerweile übrigens die größte Angst der Leipziger, gleichauf mit der ganz realen Angst, dass das Wohnen in Leipzig zu teuer wird, und noch vor der Angst, dass die Lebensmittelkosten zu teuer werden (63 Prozent). Was letztlich auch wieder darauf hindeutet, dass die meisten Leipziger keine wirklichen Gutverdiener sind und berechtigte Sorge davor haben, dass sie ihren ganz normalen Lebensunterhalt nicht mehr bezahlen können. Wenn dann auch noch eine diffuse Kriegsangst obendrauf kommt, werden viele Leipziger wohl immer wieder in einer Mühle aus Besorgnissen landen.
Aber diese Dauersorgen helfen nun einmal nicht dabei, dann wirklich kluge und überlegte Wahlentscheidungen zu treffen. Im Gegenteil: Gerade im Wahlkampf haben etliche Parteien die vorhandenen Ängste noch bestärkt. Auch in eine Richtung, die diesmal nicht wirklich funktioniert hat, obwohl etliche Politiker seit Monaten kein anderes Thema mehr kennen: die Angst davor, dass „die Zahl der Flüchtenden durch Kriege und Umweltkatastrophen steigen wird.“
Der Gesamtwert dieser Angst lag zwar noch bei 53 Prozent, aber 3 Prozent unter dem Befragungswert von 2022. Das heißt: Während Politiker mehrerer Parteien im Wahlkampf das Pferd Migration ritten und die Angst vor Ausländern schürten, sahen schon spürbar weniger Leipziger als 2022 eine kommende Gefahr darin. Ihre Angst vor dem wachsenden Extremismus ist um etliches stärker. Und das sollte eigentlich auch jene bürgerlichen Politiker aufmerken lassen, die auch nach der Bundestagswahl noch immer auf dem Thema Migration herumreiten.
Denn mit dieser Themensetzung befeuern sie tatsächlich das, wovor die meisten Leipziger wirklich Angst haben: den zunehmenden Extremismus.
Irrweg Radikalisierung
Man kann das auch als eine zunehmende Radikalisierung einer Gesellschaft beschreiben, in der nicht mehr das Gespräch und der Konsens gesucht werden, sondern immer öfter die radikale Abgrenzung. Das aber ist genau die Methode, die radikale Kräfte stärkt, aber die Demokratie in ihren Grundfesten beschädigt. Und das in einer Zeit, wo – entgegen aller Unkenrufe – die reale wirtschaftliche Umgebung nach wie vor stabil läuft.
Am wenigsten Angst haben die Leipziger nach wie vor vor der eigenen Arbeitslosigkeit, auch wenn dieser Wert seit 2022 ebenfalls um 6 Prozentpunkte auf nun 18 Prozent gestiegen ist. Und auch die Digitalisierung ist für sie – anders als es in der politischen Debatte oft klingt – nicht der große Angstmacher. Nur 19 Prozent der Befragten meinten, dass „mich die fortschreitende Digitalisierung überfordert“.
Nach den wild gewordenen Medien wurde freilich nicht gefragt. Aber man darf sie nicht ausblenden, wenn man die Kurvenverläufe mancher Ängste verstehen will, die nun einmal befeuert werden, wenn die dazu gehörende Angstmache in den Medienkanälen ungebremst weitergeht.
Verblüffend ist eher, dass die Angst vor zunehmenden Naturkatastrophen mit 42 Prozent eher im Mittelfeld liegt und sich seit 2022 kaum verändert hat, obwohl genau dies eine Angst ist, die durchaus berechtigt ist. Obgleich wenn die schlimmsten Katastrophen in letzter Zeit eher weit weg geschahen. Aber der Klimawandel geht ungebremst weiter. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass eines der Extreme auch in Deutschland wieder zuschlägt.
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Wenn man die Frage nach Ängsten und Sorgen mit einer Auswahl an möglichen Antworten stellt, ist klar, dass viele Leute da auch was anklicken. Würde man Leute auf der Straße fragen: a) “Haben Sie aktuell vor etwas Angst?” und b) “Wenn ja, wovor?” würde man ganz andere, wahrscheinlich weniger dramatische Antworten bekommen…