Der Blick auf den Zustand der Wege und Straßen in Leipzig wird bestimmt durch die Art, wie sich die Leipziger/-innen in der Stadt fortbewegen. Wer Auto fährt, der sieht die Probleme der Radfahrer nicht. Der hält auch, was für den Radverkehr getan wird, immer für zu viel. Während Radfahrer sich fragen, warum nicht endlich mehr gemacht wird. Und so stellt auch die Auswertung der Bürgerumfrage 2023 fest: „Über die einzelnen Altersgruppen hinweg zeigt sich eine zunehmend polarisierte Sicht auf das Thema Radverkehr.“
„Unter den jungen Befragten im Alter zwischen 18 und 34 Jahren wünscht sich auch in der vorliegenden Befragung ein dominanter Anteil von 53 Prozent (viel) größere städtische Anstrengungen für den Radverkehr, im Vorjahr lag der Anteil sogar bei 57 Prozent. In den mittleren Altersjahrgängen überwiegen Befürworter/- innen weiterer Anstrengungen für den Radverkehr die Gegner/-innen immer noch leicht. Der Anteil der älteren Leipziger/-innen ab 55 Jahren, der die Anstrengungen für den Radverkehr als zu hoch bewertet, steigt dagegen verglichen mit der Vorerhebung 2022 geradezu sprunghaft von gut der Hälfte auf zwei Drittel an.“
Wieder so ein medialer Effekt, nachdem konservative Politiker und Medien die letzten zwei Jahre dazu genutzt hatten, massiv Stimmung gegen jedes neue Stück Radweg zu machen. Menschen reagieren darauf. Lassen sich anstecken von diesem Lärm. Und das immer vor dem Hintergrund, dass die Leipziger eigentlich recht unzufrieden sind mit den vorhandenen Radverkehrsanlagen.
Was in der Auswertung der Bürgerumfrage so klingt: „Auch die Zufriedenheit mit dem Angebot an Radverkehrsanlagen, also der Dichte des Radwegnetzes, wird 2023 weitgehend konstant zum Vorjahr bewertet: 36 Prozent äußern sich (sehr) zufrieden, 26 Prozent (sehr) unzufrieden, jeweils annähernd auf dem Niveau des Vorjahres.
Die Zufriedenheit mit dem Angebot an Radverkehrsanlagen steigt damit von einem Tiefpunkt im Jahr 2020 (30 Prozent sehr zufrieden) um rund 6 Prozentpunkte an und nähert sich damit dem bisherigen Höchstwert der Zufriedenheit von 40 Prozent im Jahr 2016 an. Die Zufriedenheit in den einzelnen Altersgruppen pendelt zwischen 33 Prozent und 38 Prozent. Auffällig ist der hohe Anteil von 45 Prozent der älteren Befragten zwischen 55 und 85 Jahren, die teils/teils angaben.“
Ausstattung mit Pkw und Fahrrädern
Mit „teils/teils“ aber werden sie vor allem geantwortet haben, weil sie die Radwegesituation nicht einschätzen können. Zum Beispiel, weil sie meistens zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs sind. Denn Rentnerpaare haben mit 85 Prozent den höchsten Ausstattungsgrad aller Leipziger Haushalte mit privaten Pkw. Der Durchschnitt liegt nur bei 58 Prozent.
Bei Fahrrädern sieht es dagegen etwas anders aus: „Besonders hoch ist der Ausstattungsgrad mit Fahrrädern bei Paaren mit und ohne Kind(ern) und bei Alleinerziehenden. Mehr als 80 Prozent der entsprechenden Haushalte verfügen über ein bzw. meistens sogar mehrere fahrtüchtige Räder. E-Bikes erfreuen sich stetig zunehmender Beliebtheit. In jedem 11. Haushalt ist mittlerweile mindestens ein E-Bike vorhanden. Vor allem bei Rentnerpaaren stehen E-Bikes hoch im Kurs. Der Anteil E-Bike fahrender Rentnerhaushalte ist in 2023 um 9 Prozentpunkte auf nunmehr 22 Prozent angestiegen.“
Aber zum Tragen kommt eben auch die Tatsache, wo die Befragten wohnen – am Stadtrand oder in der Innenstadt. Während der Ausstattungsgrad mit Pkw in den Ortsteilen am Stadtrand am höchsten ist, ist es in der Innenstadt die Ausstattung mit Fahrrädern.
Was dann schon ahnen lässt, wo die Hauptkonflikte entstehen zwischen den Innenstadtbewohnern, die sich ein sicheres Radwegenetz wünschen und den Autofahrern von der Peripherie, die überall mit dem Auto schnell durchkommen wollen. Nichts anderes steckt hinter all den hochgepuschten Diskussionen um Radwege am Promenadenring oder in der Prager Straße.
Was auch in den Problemsichten der Radfahrenden sichtbar wird, die unter anderem unberäumte Radwege als echtes Problem sehen und lieber auf Nebenstraßen fahren, weil es ihnen an Hauptstraßen zu gefährlich ist. Die aber auch feststellen, dass bei Umleitungen meist die Radfahrer vergessen werden und an stark befahrenen Kreuzungen das Unsicherheitsgefühl besonders hoch ist.
Aber während in den Diskussionen gern so getan wird, als hätte man es mit monolithischen Konflikten zu tun, ist in Wirklichkeit alles im Fluss. Ablesbar an der Verkehrsmittelwahl zu unterschiedlichen Zwecken (siehe oben). So nahm die Benutzung des Pkw auf der Fahrt zur Arbeit seit 2013 kontinuierlich ab – von damals 51 Prozent auf 38 Prozent im Jahr 2023. Wobei selbst die beiden Corona-Jahre 2020/2021 diesen Wert nicht wieder ansteigen ließen.
Damals gab es tatsächlich nur Auswirkungen auf den ÖPNV, der Anteile an Rad- und Fußverkehr verlor. Aber schon 2021 begann der Anteil des ÖPNV wieder deutlich zu steigen und erreichte mit 30 Prozent 2023 einen neuen Spitzenwert. Was natürlich auch ahnen lässt, dass der Druck auf das Angebot der LVB in den nächsten Jahren noch weiter steigen wird.
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