Die Analyse zur Stadtgesellschaft „Die Leipziger Bevölkerung im Wandel“ nimmt sowohl das Wanderungsgeschehen näher in den Blick, als auch die Entwicklung der Geburten und Sterbefälle. Und seit 2020 ist es unübersehbar, auch wenn das damals noch durch die Übersterblichkeit aufgrund der Corona-Pandemie bedingt war: Die Zahl der Sterbefälle in Leipzig überstieg nach Jahren wieder die der Geburtenzahlen. Doch während die Sterbefallzahlen hoch blieben, sank die Kurve der Geburtenzahlen weiter.
Aus einem scheinbar pandemiebedingten Effekt wurde ein Phänomen, über das sich auch Leipzigs Statistiker/-innen zunehmend den Kopf zerbrechen.
Denn bis 2017 waren die Leipziger Geburtenzahlen permanent angestiegen, erreichten fast wieder Werte wie in den 1980er Jahren. Der leichte Abfall in den Folgejahren konnte als statistische Schwankung interpretiert werden. Vielleicht hatte die Stadt ja ihr stabiles Niveau erreicht, die Geburtenzahlen pendelten sich ein. Die Planung von Kindertagesstätten und Schulen würde einfacher.
Aber nach der Corona-Pandemie rutschten die Zahlen erst recht in den Keller. Und lösten natürlich hektische Betriebsamkeit bei den städtischen Planern aus. Denn auf einmal drohen Überkapazitäten – zuerst im Kita-Bereich, im Lauf der Jahre auch im Schulbereich.
Logisch, dass die Analyse gerade das Problem der ausbleibenden Geburten sehr ausführlich diskutiert. Die eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Das Problem betrifft nämlich nicht nur Leipzig, sondern auch andere Städte, wie der Autor der Analyse, Christoph Bein, feststellt.
Leipzig ist nicht allein
„Ähnliche Rückgänge wurden beispielsweise auch in vielen anderen Städten beobachtet. Zum einen war im Zeitraum des Geburtenrückgangs für Leipzig ebenfalls eine deutlich gestiegene Abwanderung ins Umland festzustellen“, so Bein. „Die meisten dieser Wegzüge betreffen Personen im Familiengründungsalter sowie Kinder. Die Geburtenziffer der gesamten Region Leipzig (Stadt und Umlandkreise) sank zwischen 2016 und 2023 von 1,57 auf 1,14 Kinder pro Frau (Eurostat, 2025), was einem Rückgang von 27,4 % entspricht.
Dieser Rückgang ist nur unwesentlich kleiner als der Rückgang der Stadt im selben Zeitraum (-32,7 %), aber dennoch deutlich höher als der Rückgang in Deutschland insgesamt (-13,1 %). Die Abwanderung von Personen im Familiengründungsalter ins Umland kann daher den starken Rückgang der Leipziger Geburtenziffer nur zu einem kleinen Teil erklären.“
Das war also der erste Erklärungsansatz. Er genügt sichtlich nicht, auch wenn das manche Stadträte in der Ratsversammlung immer wieder behaupten. Es liegt auch nicht an fehlenden Baugenehmigungen für Eigenheime, wie gern in Stadtratsdiskussionen suggeriert wird. Da verwechseln die Diskutanten das fröhliche Kinder-Paradies-Bild der Bausparkassenwerbung mit der Wirklichkeit. Das Bild sitzt in den Köpfen fest, hat aber nichts mit verwirklichten Kinderwünschen zu tun.
Da spielen ganz andere Dinge eine Rolle, wie Christoph Bein feststellt: „Zum anderen spielt in wissenschaftlichen Untersuchungen die gestiegene Unsicherheit, insbesondere ökonomischer Art, eine Rolle. Die letzten Jahre waren gezeichnet von multiplen Krisen in Verbindung mit dem Krieg in der Ukraine, Inflationswellen sowie eine generell stagnierende wirtschaftliche Entwicklung.“
Ein sehr handfester Grund: Ökonomische Unsicherheit
Und dann lenkt er den Blick auf jenen jungen Bevölkerungsteil, der gar nicht daran denkt, sich ein Eigenheim zu bauen, weil dafür überhaupt keine finanzielle Basis besteht: „Forschungen haben gezeigt, dass sich ökonomische Unsicherheit insbesondere auf die Familiengründung (Geburt eines ersten Kindes) negativ auswirkt (Kreyenfeld, 2015).
Dies zeigt sich am deutlichsten bei der Betrachtung der persönlichen Arbeitssituation: Frauen in befristeten Arbeitsverhältnissen oder Teilzeitarbeit schieben die Familiengründung auf (Schmitt, 2012). Weiterhin wurde gezeigt, dass, mehr noch als ökonomische Unsicherheit, gestiegene gefühlte Einkommensvoraussetzungen für die Familiengründung eine Rolle spielen, d.h. Personen im Familiengründungsalter nehmen heute eine höhere Einkommensschwelle wahr, die überwunden werden muss, bevor an eine Familiengründung gedacht werden kann, als noch in den frühen 2000er-Jahren (van Wijk & Billari, 2024).“
Und da ist man dann bei niedrigen Einstiegsgehältern, befristeten Verträgen, langen Probezeiten, „flexiblen“ Arbeitszeiten und was der Dinge mehr sind, mit denen jungen Menschen oft über Jahre jede vernünftige Basis entzogen wird, eine richtige Familie zu planen.
Wenn dann auch noch eine Einstellungszurückhaltung der Unternehmen vor Ort hinzukommt und drastisch gestiegene Preise für den Lebensunterhalt, dann wird der Kinderwunsch noch weiter aufgeschoben.
„Auf der anderen Seite kann es aber auch mit gestiegenen tatsächlichen Kosten zusammenhängen, die beispielsweise durch die letzte Inflationswelle 2021-2023 ausgelöst wurden“, schreibt Christoph Bein. „Für die Stadt Leipzig ebenfalls hierbei relevant sind die stark gestiegenen Mieten: So stiegen zwischen 2016 und 2024 die Angebotsmieten pro Quadratmeter um 54,3 % und die Bestandsmieten 32,5 % (Kommunale Bürgerumfragen Leipzig 2023, 2024), während der Verbraucherpreisindex im selben Zeitraum lediglich um 25,6 % stieg.
Für die 85 % aller Leipziger Haushalte, die zur Miete wohnen, stellt dies keine unerhebliche Mehrbelastung dar und könnte nach oben dargestellter Theorie zu einem Aufschieben der Familiengründung geführt haben.“
Ein Wohnungsmarkt, dem Familien egal sind
Womit man eben nicht beim Eigenheim landet, sondern beim bezahlbaren Mietwohnungsmarkt, der in Leipzig just in den vergangenen acht Jahren massiv unter Druck geraten ist. Nicht nur steigen die Mieten, die Zahl der noch bezahlbaren Wohnungen, nach denen besonders angehende junge Familien suchen, ist rapide geschwunden. Das ist ein sehr starkes Argument gegen das Kinderkriegen. Denn eins wollen Eltern garantiert nicht: Dass ihre Kinder in einer viel zu kleinen, beengten Wohnung aufwachsen müssen.
Aber Christoph Bein macht noch einen weiteren Faktor aus, der insbesondere für die langfristige Entwicklung der Geburtenziffer entscheidend sein könnte. Es „ist ein in den letzten Jahren zu beobachtender Wertewandel unter Jugendlichen im Hinblick auf die Familiengründung. Während in der Leipziger Jugendstudie 2015 noch 75 % der weiblichen und 71 % der männlichen Jugendlichen ‚Kinder haben‘ als wichtiges Lebensziel angaben, waren es 2023 nur noch 40 % der weiblichen und 43 % der männlichen Jugendlichen (Schultz, 2024).
Bei keinem anderen der zwölf genannten Lebensziele war zwischen 2015 und 2023 ein ähnlich starker Rückgang zu beobachten. Insgesamt betrachtet ist der Geburtenrückgang ein multifaktorielles Phänomen und trotz intensiver Forschung noch weitestgehend eine ‚Black Box‘, was Vorhersagen über den zukünftigen Verlauf der Geburtenziffer erschwert.“
Wobei man die Aussagen aus der Befragung „Jugend in Leipzig 2023“ auch so interpretieren kann, dass die jungen Leute (immerhin die 12- bis 24-jährigen) sehr genau wissen, wie sich ihr ökonomisches Umfeld entwickelt und wie schwer es eine auf „Leistung“ getrimmte Wirtschaft macht, überhaupt noch einen verlässlichen Rahmen für eine gute Familienplanung zu schaffen.
Dagegen steht nur scheinbar der wachsende Teil von Frauen, die in Teilzeit arbeiten, denn das tun sie oft genug auch deshalb, weil nur zwei Einkommen ausreichen, um überhaupt einen Leipziger Familienhaushalt zu finanzieren.
Das Gerede konservativer Politiker über „die faulen Deutschen“ verfehlt das Thema völlig. Und ist eher Zeichen davon, dass sie von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Familiengründung keine Ahnung (mehr) haben.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:






















Keine Kommentare bisher
Mittlerweile ist es leichter im Lotto zu gewinnen als eine bezahlbare, familiengerechte Wohnung zu finden.
Sollte dann halt auch niemanden wundern, warum so wenig Nachwuchs geplant wird