Auch 35 Jahre nach der Deutschen Einheit bestehen große Unterschiede in der Wirtschafts- und Finanzkraft der Länder, aber sie zeigen sich nicht mehr einfach zwischen Ost und West. Zu diesem Ergebnis kommen zwei aktuelle Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Die ostdeutschen Länder haben zu den finanzschwachen westdeutschen Ländern aufgeschlossen. Die reichen Länder bauen ihren Vorsprung allerdings aus, sodass die Kluft zu den armen weiter zunimmt.
„Diese Zweiteilung verfestigt sich trotz der Transfers im Rahmen des Finanzausgleichs“, mahnt Studienautorin Kristina van Deuverden. „Auch bei der Produktivität verblasst das alte Ost-West-Muster und wird durch ein stärker werdendes Stadt-Land-Gefälle abgelöst“, befindet Studienautor Martin Gornig.
Reiche Länder profitieren – und klagen über ihre hohen Finanztransfers
Über den Finanzausgleich zahlen die reichen Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und auch der Stadtstaat Hamburg an ärmere Länder. Zudem gibt es einen zusätzlichen finanziellen Transfer des Bundes. Ostdeutsche Länder sind weiter Empfänger, aber auch einige westdeutsche Länder wie zum Beispiel das Saarland und Niedersachsen gehören zu den Schwächeren. Dabei haben die finanzstarken Länder nach der Vereinigung wirtschaftlich und steuerlich vom Zuzug zahlreicher junger Menschen aus Ostdeutschland profitiert. Gleichzeitig klagen die reichen Länder regelmäßig über die hohen Ausgleichszahlungen.
In der Studie berechnete Szenarien für die kommenden Jahrzehnte zeigen ein weiteres Auseinanderdriften der finanzstarken und -schwachen Länder, wenn die Trends der vergangenen Jahre anhalten. Verstärkt wird dies durch die demografische Entwicklung, die die finanzschwachen Länder deutlich stärker belasten wird als die reichen.
„Wenn wir vergleichbare Lebensverhältnisse in Deutschland wollen, sind Finanztransfers an die schwächeren Länder die Folge“, resümiert Haushaltsexpertin van Deuverden. „Das geht nur, wenn die reicheren Länder sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Sie müssen entweder den Finanzausgleich in seiner jetzigen Form mittragen oder zu Gunsten des Bundes auf eigene Steuermittel verzichten, damit dieser die Finanztransfers stemmen kann.“
Produktivität der Länder – Vom Ost-West zum Stadt-Land-Gefälle
Eine Untersuchung der Produktivität der Länder seit der Deutschen Einheit zeigt, dass sich die Lücke zwischen Ost- und Westdeutschland in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgebildet hat. Während 1991 die Arbeitsproduktivität der ostdeutschen Länder nur bei rund 50 Prozent des gesamtdeutschen Niveaus lag, erreicht sie heute 90 Prozent.

In vielen Bereichen konnte Ostdeutschland seit den 2010er-Jahren überdurchschnittlich aufholen. Besonders ausgeprägt war dies bei personenbezogenen Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und öffentlicher Verwaltung, deren Produktivität heute sogar höher ist als in Westdeutschland.
Ländliche Regionen geraten bei Produktivität immer weiter ins Hintertreffen
Der Anpassungsprozess in anderen Bereichen stockt allerdings. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Aus regionalökonomischer Sicht stechen besonders siedlungsstrukturelle Ursachen hervor. In hochverdichteten, städtisch geprägten Regionen liegt die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen meist höher als in ländlichen Räumen. Diese Regionen liegen allerdings zumeist in Westdeutschland. Bei Regionen gleichen Typs finden sich kaum noch Unterschiede, viele ostdeutsche Regionen schneiden sogar besser ab als westdeutsche Vergleichsregionen.
Trotz dieser Fortschritte haben sich die regionalen Unterschiede innerhalb Deutschlands in den vergangenen zehn Jahren massiv verschärft: Die Varianz der Produktivität zwischen den 400 Kreisen stieg seit 2014 um mehr als 70 Prozent – und dies liegt vor allem an den zunehmenden Unterschieden zwischen wohlhabenden Metropolen und ländlichen Regionen. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind heute eher Ausdruck dieses Stadt-Land-Gefälles.
„Um ein weiteres Auseinanderdriften zu verhindern, muss die Regionalpolitik stärker auf strukturschwache Regionen ausgerichtet werden – und zwar gleichermaßen im Osten und im Westen“, empfiehlt Gornig, Forschungsdirektor Industriepolitik im DIW Berlin.
Dazu gehören gezielte Finanzausgleichsmechanismen auf kleinräumiger Ebene, Investitionen in die digitale Infrastruktur, eine Fachkräftesicherung im ländlichen Raum sowie eine regionale Industriepolitik, um kleine und mittlere Unternehmen außerhalb der Metropolen zu stärken.
Die Studie findet man im DIW Wochenbericht 40/2025.
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