Beim Ökolöwen hört man nicht auf, über den LVZ-Beitrag zu grübeln, in dem die „Stadt“ scheinbar einen „Sinneswandel“ in der Verkehrspolitik verkündete. Nach kaum vier Jahren Orientierung auf eine umweltfreundliche Verkehrspolitik schien man schwuppdiwupps wieder eine Rolle rückwärts zu machen in die alte, von Straßengroßprojekten geprägte Politik der 1990er Jahre. Bereit auch, wertvolle Naturschutzgebiete wieder zu opfern.

Dabei sind die meisten Teile dessen, was die Stadt einst unter Baudezernent Engelbert Lütke-Daldrup als Mittlerer Ring und Tangentenviereck aufgelegt hatte, nicht eingestellt worden, weil jemand eine irgendwie grüne Idee von Verkehr hatte, sondern weil die Baustücke entweder gegen jedes Naturschutzrecht verstießen, in Wirtschaftlichkeitsberechnungen durchfielen oder schlicht nicht den Entlastungseffekt hätten, der stets behauptet wurde.

Wenn das Verkehrs- und Tiefbauamt jetzt solche Teilstücke wieder „prüft“, wie Amtsleiter Michael Jana laut LVZ sagte, wird man auf genau dieselben Ergebnisse stoßen.

Aber trotzdem ist der Ökolöwe alarmiert, weil die im Bündnis „Mobilität Leipzig 700plus“ zusammengeschlossenen Kammern zuvor gefordert hatten, bis zum Jahr 2030 Teile des sogenannten Mittleren Rings und des Tangentenvierecks nun doch noch zu bauen, die sensible Naturräume beeinträchtigen würden.

„Diese alten Straßenbauvorhaben wurden bisher nicht weiterverfolgt und das völlig zu Recht. Sie widersprechen so ziemlich allen übergeordneten Planungszielen, die sich unter anderem aus der Leipzig Charta und dem integrierten Stadtentwicklungskonzept ableiten“, erklärt Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Ökolöwen, zu diesen Bauvorhaben.

Es geht dabei unter anderem um den Neubau einer Straße durch das streng geschützte Naturschutzgebiet im Nördlichen Auwald neben dem Auensee zwischen Gustav-Esche-Straße und Pittlerstraße. In der Auenseestraße in Wahren müssten zudem die Vorgärten der Mietshäuser weichen, so der Ökolöwe.

Wobei gerade dieses Projekt zeigt, warum in Leipzig nicht weiter in solche Strecken investiert wird: Es fehlt am Geld. Im Investitionsplan der Stadt stauen sich Straßen- und Brückenbauvorhaben von über 1 Milliarde Euro, das meiste davon erst weit nach 2020 umsetzbar. Darunter wichtige Brücken wie die Brücken im Verlauf der Georg-Schwarz-Straße, für die ab 2020 eine Vollsperrung droht. Das heißt selbst für die Gustav-Esche-Straße, die jetzt noch lange kein ausgebautes „Ring“-Stück ist, dass vor 2021 nicht mal für die Instandsetzung Gelder eingestellt sind.

„Im Leipziger Nordosten wollen die Straßenbaubefürworter, ausgehend von der Essener Straße, das Landschaftsschutzgebiet der Partheaue durchschneiden sowie einen Teil einer Kleingartensiedlung opfern“, kritisiert der Ökolöwe. „Im Leipziger Südosten steht laut Jana, die Entscheidung für einen Straßenneubau auf einem naturbelassenen Grünzug neben der Bahnanlage zwischen Stötteritz und Paunsdorf an. Dabei soll u. a. der Stünzer Park durchschnitten, sowie der Güntzpark, der Wilhelm-Külz-Park, mehrere Kleingartenanlagen und Grundstücke von Mietshäusern u. a. in der Karl-Härting-Straße in Mitleidenschaft gezogen werden.“

Beides Projekte, gegen die Bürgerinitiativen im Leipziger Osten bislang erfolgreich angekämpft haben, denn eine echte Entlastung würde dieser Ringabschnitt nicht bringen. Die wirklich belastenden Verkehrsströme laufen im Osten anders.

„Mit der Ankündigung, wieder neue Straßen durch Leipziger Parks zu planen, macht das Verkehrsamt eine Rolle rückwärts und untergräbt die Arbeit jener, die die Grünversorgung in der wachsenden Stadt sichern und ausbauen wollen. Viele betroffene Menschen müssen nun wieder um ihre Grundstücke und ihre Lebensqualität fürchten. Das ist unverantwortlich“, sagt Supplies.

Der Ökolöwe empfiehlt stattdessen, die Hausaufgaben endlich zu erledigen, die mit bestehenden Stadtratsbeschlüssen aufgetragen worden sind. Dazu gehöre, den Anteil des öffentlichen Nahverkehrs sowie des Rad- und Fußverkehrs an den Wegen der Leipziger auf 70 Prozent zu steigern. Das Verkehrs- und Tiefbauamt schiebe hingegen aus Geldmangel dringend notwendige Straßensanierungen vor sich her.

Woran übrigens auch die Studie erinnert, die dem Aktionsplan der Kammern zugrunde liegt.

Deren prioritäre Forderung lautet eben nicht, wie das Aktionsbündnis gefordert hat, das Ringsystem auszubauen.

Nicht die Bohne.

Dort liest man etwas völlig anderes: „Die Entwicklung der verkehrlichen Infrastrukturen gemäß den Herausforderungen der aufgezeigten Verkehrsentwicklung stellt das wichtigste Handlungsfeld dar. Der STEP Verkehr und öffentlicher Raum stellt hierfür eine geeignete Grundlage dar, reflektiert die aktuellen Entwicklungen dabei jedoch nur unzureichend. Insbesondere ist aus derzeitiger Sicht unklar, mit welchen Maßnahmen das avisierte Ziel einer Reduktion des Individualverkehrs um 10 % unter den Bedingungen des Bevölkerungswachstums erreicht werden könnte. Hierzu sind weitreichende Maßnahmen vor allem für den ÖPNV zu entwickeln und die Wirkungen/Zielerfüllung nach anerkannten Methoden nachzuweisen. Auch die Förderung des Radverkehrs spielt dabei eine maßgebliche Rolle, darf aber die Randbedingungen für den Wirtschaftsverkehr nicht unnötig beschränken.“

Leipzigs Problem ist, dass die Investitionsgelder nicht mal für den Erhalt bestehender Strukturen reichen.

„Magistralen, wie die Bornaische oder die Dieskaustraße bröseln weiter vor sich hin; von sanierungsbedürftigen Brücken ganz zu schweigen. Bei der Radverkehrsinfrastruktur reicht es meist nur für weiße Farbe. Der Zustand vieler Fußwege ist katastrophal. Im Nahverkehr ist kein Geld für stabile Ticketpreise vorhanden. Es werden Straßenbahnstrecken stillgelegt statt neu gebaut“, zählt Supplies nur einige der Versäumnisse auf. „Solange das so ist, verbieten sich millionenschwere Straßenneubauten, die allein den Autoverkehr befördern, von selbst. IHK, Verkehrsamt und so mancher Stadtrat sollten sich an dieser Stelle ehrlich machen.“

Das, was jetzt via LVZ als „neue Verkehrspolitik“ promotet wird, hält man beim Ökolöwen für einen Frontalangriff vor allem auf das immer härter umkämpfte Grün in der Stadt.

Für den Schutz des Auwalds und der Leipziger Parks als grüne Lungen Leipzigs hat der Ökolöwe deshalb eine Petition gestartet. Der Umweltbund ruft die Leipziger dazu auf, sich schützend vor ihre Parkanlagen zu stellen. Über 8.800 Menschen tun dies bereits und haben den Appell „Mehr Grün für Leipzig“ unterzeichnet.

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