Für FreikäuferNatürlich passieren keine Zeichen und Wunder. Auch wenn ganz zufällig am 24. Oktober der Artikel „Wagt Sachsen tatsächlich ein großes Gesamtkonzept für das Leipziger Auensystem?“ erschien und gleichzeitig das Amt für Stadtgrün und Gewässer „zum nächstmöglichen Zeitpunkt befristet bis zum 31. Dezember 2019 eine Stelle als Koordinator/-in langfristige Auenentwicklung in Leipzig und Region mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden“ ausschreibt.

Vorher hatten wir ja angefragt und Angelika Freifrau von Fritsch, die Leiterin des Umweltschutzamtes, bestätigte: „Das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) bearbeitet aktuell das Vorhaben ‚Naturschutzfachliches Leitbild/Gesamtkonzept für das Leipziger Auensystem‘ (Bezugsfläche Landschaftsschutzgebiet ‚Leipziger Auwald‘). Ein zentraler Betrachtungsgegenstand ist hierbei der FFH-Lebensraumtyp (LRT) Hartholzauwald. Teile dieses LRT befinden sich in der Kategorie ‚schlechter Erhaltungszustand‘.“

Die unteren Naturschutzbehörden sind eingebunden.

Und ein paar Arbeitsschwerpunkte, an denen Leipzig schon arbeitet, zählte sie auch auf. Darunter das Projekt „Lebendige Luppe“.

Aber wenn man genau hinschaut, gibt es mehr als diese Einzelprojekte auf Leipziger Ebene nicht.

Zwar ist – wie uns fachkundige Leser bestätigten – tatsächlich der Freistaat in der dominierenden Rolle, weil große Teile des SPA-Schutzgebietes „Leipziger Auwald“ im Einzugsgebiet der Flüsse Pleiße und Weiße Elster liegen – und damit im Hochwasser-Hoheitsbereich des Freistaats. Und das LfULG kann immer wieder auflisten, welche Tier- und Pflanzenarten und Biotope im Schutzgebiet existieren, sich entwickeln oder in Gefahr sind. Aber das Amt hat keine Visionen. Es kann nur den Ist-Zustand feststellen und sich einen Kann-Zustand wünschen.

Ein Leitbild aber, was aus dem 4.952 Hektar großen Schutzgebiet werden kann und werden soll, kann es nur gemeinsam mit der Stadt Leipzig entwickeln. Denn Leipzig muss es ja am Ende bewirtschaften, renaturieren, in Schuss halten. Nicht nur mit forstwirtschaftlichen Maßnahmen, die sich da einordnen müssen.

Da ging ja der Dissens schon los. Die forstwirtschaftlichen Pläne der Stadt sind ambitioniert. Und auch im Detail qualifiziert. Aber sie ordnen sich in kein Gesamtbild ein. Eines, in dem definiert ist, wie die kulturhistorische Auenlandschaft weitgehend wieder repariert werden kann und sich vor allem ohne permanente große Eingriffe wieder stabilisiert.

Dieses Leitbild hat Leipzig bislang noch nicht.

Und das soll – zumindest liest sich die Stellenanzeige so – nun von einem extra eingestellten Fachmann oder einer versierten Fachfrau entwickelt werden.

Ganz obenan steht als Aufgabe die „Entwicklung eines Konzeptes ‚Auenvision 2030 – 2050‘ mit Leitbild und Zielprogramm für die künftige Auenentwicklung“. Genau das, was wir in unserem Beitrag angefragt hatten, auch wenn wir uns so eine Konzeption nicht erst ab 2030 wünschen, sondern schon ab 2020. Aus vielen Gründen, nicht nur, weil es auch die jetzt lebenden Leipziger verdient haben mitzuerleben, wie sich weite Teile der Elsteraue wieder in ein natürliches und artenreiches Refugium verwandeln und die vielen öden technischen Einbauten, die den Auwald derzeit zerstören, verschwinden. Sondern weil auch OBM Burkhard Jung in seinem Arbeitspapier betont hatte, dass Biodiversität bis 2020 ein Arbeitsschwerpunkt in seiner Arbeit sein soll. Bis jetzt ist es das nämlich nicht. Aber auch die Luftreinhaltung spielt hinein, die eminent wichtige Rolle des Auwalds zur Kühlung der Stadt und – ganz wichtig – der Bildungsaspekt: Wenn junge Menschen nicht erleben können, dass eine intakte Flusslandschaft in der Lage ist, sich selbst zu regenerieren, dann fehlt ein Teil simpler Naturbildung.

Was das umfasst, wird auch in der Arbeitsbeschreibung für die ausgeschriebene Stelle deutlich: „Bearbeitung einer mittel- bis langfristigen Perspektive zur Revitalisierung dynamischer Prozesse und Stärkung der Ökosystemleistungen der Leipziger Auenlandschaft im Rahmen des Projektes ‚Lebendige Luppe‘.“

Mit der Einschränkung: Wenn das Projekt „Lebendige Luppe“ so umgesetzt wird, wie augenblicklich geplant, erfüllt es nicht wirklich die Voraussetzungen für die „Revitalisierung dynamischer Prozesse und Stärkung der Ökosystemleistungen der Leipziger Auenlandschaft“.

Schönes Wort: Ökosystemleistung.

Trifft aber zu. Gesunde Ökosysteme leisten richtig Arbeit und sind die natürlichen „Maschinen!“, die uns ein Leben in einer (leidlich) gesunden Umgebung ermöglichen. Da wäre was zu lernen. Auch mit einem Auwald, dessen (alte) Flussläufe wieder regelmäßig Teil haben an der natürlichen Flussdynamik.

Alles, was ich aus den Leipziger Naturschutzverbänden höre, plädiert für die Wiederherstellung einer natürlichen Auendynamik. Das sind große Visionen. Aber nur, wenn man die kleine „Lebendige Luppe“ als Maßstab nimmt. Wenn man an Renaturierungsprojekte am Oberrhein oder an der Lippe denkt, ist das alles gar nicht groß, sondern sinnvoll und machbar.

Und irgendwie scheint man nun auch erkannt zu haben, dass die Kommunikation mit den Naturschutzverbänden doch nicht so optimal läuft, wie man immer dachte. Denn der neue Koordinator/die neue Koordinatorin soll sich auch um die „Koordination der fachlichen Kooperation mit regionalen und überregionalen Akteuren“ kümmern und um die „Erarbeitung und Aufbereitung von fachlichen Inhalten zur Unterstützung des Beteiligungsformates der ‚Leipziger Auengespräche‘“.

Und das Lockmittel für diese anspruchsvolle Aufgabe: ein „Arbeitsplatz im Herzen einer von hoher Lebensqualität, sozialer und kultureller Vielfalt geprägten Stadt mit mehr als 580.000 Einwohnern/ Einwohnerinnen, die über ein attraktives Wohnraumangebot zu vergleichsweise günstigen Preisen verfügt.“

Wenn das nichts ist. Ausschreibungsschluss ist der 17. November 2017.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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