Es war eigentlich zu erwarten: Das Thema ist komplex. Das lässt sich in einer Verhandlungsrunde nicht unbedingt bewältigen. Am Donnerstag, 22. Februar, gab das Bundesverwaltungsgericht noch kein Urteil in der Verhandlung um mögliche Fahrverbote in deutschen Städten bekannt. Das soll es jetzt erst in der nächsten Woche geben. Die lokale Zeitung war ja bekanntlich wieder zu hysterischer Glanzform aufgefahren.

Sie hatte wieder das Bild drohender Fahrverbote in Leipzigs Innenstadt gemalt und finstere Zeiten für Handwerker und Gewerbetreibende beschworen. Worum es in der Verhandlung gar nicht ging. Da ging es nur um die Frage, ob Städte überhaupt berechtigt sind, tageweise Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge zu verhängen, wenn die Luftbelastung hoch ist und es noch keine bundesweite Regelung gibt.

Aber um eine solche Regelung drückt sich ja die Bundesregierung seit zehn Jahren und hat das Dilemma in den Städten damit überhaupt erst ermöglicht. Und noch heute drückt sie sich bei der Frage, ob die Autokonzerne die Trickserei bei den Dieselfahrzeugen technisch selbst beheben müssen – oder am Ende wieder der Steuerzahler zahlt.

Aber wenn eine Autozeitung das Thema anreißt, dann ist sofort großes Drama, auf das am Donnerstag auch der Landtagsabgeordnete Ronald Pohle (CDU) ansprang.

„Es handelt sich tatsächlich um eine Form der kalten Enteignung von Betriebsvermögen“, so der MIT-Kreisvorsitzende, Ronald Pohle. Insbesondere Handwerksbetriebe haben in den letzten Jahren in Euro-5-Fahrzeuge investiert. Diese werden für die Betriebe dann faktisch wertlos. Zudem stehen für größere Fahrzeuge häufig gar keine Antriebsalternativen zur Verfügung“, meinte er. Und ging natürlich auf den eigentlichen Vertrauensbruch ein: Im Vertrauen auf die Angaben von Herstellern und der Betriebsgenehmigungen des Kraftfahr-Bundesamtes haben Mittelständler Investitionsentscheidungen getroffen, die sich nun im Nachhinein als falsch herausstellen könnten.

Und dann meint er, nicht nachvollziehbar für den unternehmerischen Mittelstand sei die Tatsache, dass Fahrverbote nur für Kraftfahrzeuge diskutiert würden. „Sollte der Dieselmotor die alleinige Schuld an Grenzwertüberschreitungen haben, müssten von Fahrverboten auch Dieselloks betroffen sein. Der Hauptbahnhof steht schließlich in der Innenstadt“, sagt Pohle. Allein daran sei der Aberwitz von Fahrverboten erkennbar. „Ich werde darauf drängen, dass die Politik nicht der Versuchung erliegt, die Versäumnisse von Industrie und Verwaltung auf dem Rücken des Mittelstandes abzuladen. Gebraucht werden innovative Lösungen und keine Verbote.“

Na ja. Alles sehr überzogen. Halt so, wie die Zeitung das Thema aufgekocht hat.

Obwohl es darum tatsächlich nicht ging.

„Die Bundesregierung hat viel zu wenig unternommen, um uns alle vor giftigen Stickoxiden zu schützen. Es ist ein Armutszeugnis für die Politik, dass nun Gerichte über Maßnahmen für saubere Luft entscheiden. Egal wie das Urteil in Leipzig ausfällt, um endlich die EU-Vorgaben für saubere Luft einhalten zu können, werden insbesondere hochbelastete Städte nicht um Dieselfahrverbote herumkommen. Die große Koalition muss endlich aktiv werden und die blaue Plakette einführen. Diese bundeseinheitliche Regelung ist überfällig, damit Städte gezielt dreckigen Fahrzeugen die Zufahrt verwehren und die Einhaltung der Fahrverbote kontrollieren können“, erklärt Wasilis von Rauch, Bundesvorsitzender des VCD, den Hintergrund.

Er forderte am Donnerstag die schnelle Hardware-Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen. Die Autohersteller wehren sich aus Kostengründen, die von ihnen produzierten, dreckigen Diesel nachzurüsten und bestreiten auch die technische Machbarkeit. Tests zeigen eindeutig, dass Nachrüstungen funktionieren.

Und wenn zuallererst Gewerbetreibende ein Anrecht auf solche Nachrüstungen haben, wäre auch Ronald Pohles Befürchtung vom Tisch.

„Weil die Bundesregierung die Abgasprobleme der Städte seit Jahren aussitzt, müssen heute Richter entscheiden, wie Stadtbewohner vor schlechter Luft geschützt werden“, sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. „Ob künftig Bürgermeister oder der Bund Fahrverbote verhängen, ist egal. Wichtig ist, dass die Zahl schmutziger Diesel in den Städten bald sinkt – und die Politik den Menschen schnell saubere Alternativen für das eigene Auto bietet.“

Etwa 70 deutsche Städte überschritten auch im vergangenen Jahr den seit 2010 geltenden EU-Grenzwert für NO2, wie vorläufige Daten des Umweltbundesamts zeigen. Weil die Bundesregierung wirksame Maßnahmen wie eine blaue Plakette blockiert, mit der nur saubere Autos in Städte fahren dürften, droht die EU-Kommission Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.

Beim Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geht es nur um die Frage, ob Städte mit besonders schlechter Luft Fahrverbote für Diesel-Pkw aussprechen dürfen. Ob sie es dann tun oder andere Lösungen finden – wie zum Beispiel den heiß diskutierten „kostenlosen ÖPNV“ – ist eine andere Frage.

Es geht nur um das Recht, solche Fahrverbote zu verhängen. Und die Gerichte in Stuttgart und Köln sahen dieses Recht bei den Städten.

Nur die Bundesländer NRW und Baden-Württemberg nicht. Deswegen riefen sie die höchste Instanz an.

Genehmigt das Gericht solche Verbote, droht ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen. Schließt es sie für Städte aus, steht der Bund in der Verantwortung, die Luftprobleme zu lösen. Fahrverbote bleiben dann weiter das einzig wirksame Mittel, um die NO2-Belastung schnell zu senken, benennt Greenpeace die Zwickmühle.

Das Problem: NO2 reizt und schädigt die Lunge, besonders bei Kindern. Bereits eine um 10 Mikrogramm erhöhte NO2-Konzentration steigert das Risiko eines Kinds an Asthma zu erkranken um 15 Prozent, zeigt eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie des Schweizer Gesundheitsinstituts Swiss TPH. An vielen städtischen Messstationen wird der Jahresmittelwert um deutlich mehr als 10 Mikrogramm überschritten. NO2 führt nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur alleine in Deutschland zu knapp 13.000 vorzeitigen Todesfällen jährlich.

Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD: „Die körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht und eindeutig höher zu bewerten als die Gewinninteressen der Autoindustrie. Das Verursacherprinzip verlangt, dass die Autohersteller die Kosten der Nachrüstung übernehmen. Die Autobauer haben den Kunden umwelttechnischen Murks angedreht und müssen nun dafür geradestehen.“

Entsprechend unzufrieden äußert er sich zur Verschiebung der Urteilsverkündung: „Wir sind enttäuscht, dass heute kein Urteil für saubere Luft gefallen ist. Für die Menschen, die tagein, tagaus unter hohen Stickoxidwerten leiden, tut schnelle Hilfe not. Den Rechtsanwälten von NRW und Baden-Württemberg ging es in der Verhandlung um juristische Spitzfindigkeiten, die völlig an der Lebensrealität der Menschen in den belasteten Städten vorbeigeht. Bemerkenswert ist, dass alle Prozessbeteiligten die Bundesregierung scharf für ihre Untätigkeit in Sachen Luftreinhaltung kritisierten. Im Gerichtssaal herrschte Konsens darüber, dass eine bundeseinheitliche Regelung wie die blaue Plakette schon vor Jahren einen klaren Rechtsrahmen für die Schadstoffproblematik geschaffen hätte. Dieser Verhandlungstag ist auch ohne Urteil eine schallende Ohrfeige für die untätige Bundesregierung.“

Allen Autofahrern, die jetzt über den Neukauf eines Pkw nachdenken, empfiehlt der VCD, sich einen gebrauchten Benziner, ein Erdgasauto oder einen Benzinhybriden zu kaufen. Diese sind bereits ab der Abgasnorm Euro 3 sauber. Fahrverbote ohne blaue Plakette könnten für alle Dieselfahrzeuge gelten, auch die neuen Euro 6d-Diesel wären also betroffen. Daher rät der VCD derzeit grundsätzlich vom Dieselkauf ab.

Das Urteil soll nun am 27. Februar gesprochen werden.

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