Mit der ersten Antwort auf ihre Anfrage zu den „Auswirkungen der Aufstockung des Stadtordnungsdienstes“ war die Freibeuter-Fraktion überhaupt nicht einverstanden. Immerhin hat der Stadtrat ja gerade zwei Mal für eine weitere Aufstockung des Stadtordnungsdienstes gestimmt. Aber wie passt die Personalaufstockung nun zu den Fallzahlen? Also fragten die Freibeuter noch einmal nach. Und bekamen am Mittwoch, 19. September, umfassend Antwort.

Auch aufklärend. Denn während ganz Sachsen – auch im Zusammenhang mit dem neuen Polizeigesetz – immer nur über die neuen Polizeibefugnisse der Behörde debattiert, die jetzt als „Polizeibehörde“ fungiert, ist die Arbeit des Amtes deutlich komplexer, wie Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal erklärt: „Eingangs ist festzuhalten, dass die Fragestellung widersprüchlich ist, da ausdrücklich Bezug auf die Auswirkungen der Aufstockung des Stadtordnungsdienstes in der Bußgeldsachbearbeitung genommen wird.

Feststellungen zu den nunmehr ergänzend nachgefragten Verkehrsordnungswidrigkeiten treffen im kommunalen Bereich jedoch die Mitarbeiter/innen der Abteilung Verkehrsüberwachung. Zudem gestalten sich die Abläufe und der Aufwand in der Sachbearbeitung bei Verkehrs- bzw. allgemeinen Ordnungswidrigkeiten unterschiedlich. Insofern ist eine gesonderte Betrachtung beider Aufgabenbereiche angezeigt.“

Es ist eine andere Abteilung, die draußen sichtbar mit blau-weißen Fahrzeugen unterwegs ist und Ordnungstatbestände aufnimmt, als jene, die drinnen im (lauschigen) Büro versucht, die ganzen aufgenommenen Ordnungswidrigkeiten in ordentliche Bußgeldbescheide umzuwandeln. Und während etliche Stadträte und sensibilisierte Bürger hoffen, dass endlich mehr Ordnungswidrigkeiten erfasst werden, geht es den Innendienstmitarbeiter/-innen wie jenen auch im Innendienst von Polizei und Justiz: Sie schaffen es gar nicht, alle Fälle abzuarbeiten.

Was Heiko Rosenthal dann auch klar benennt: „Treten hinsichtlich der oben genannten Einstellungsgründe keine signifikanten Abweichungen von den jahrelangen Erfahrungswerten ein, so ist ein Ansteigen der Einstellungsquote ein Indikator dafür, dass die Leistungsgrenze des vorhandenen Personals erreicht bzw. überschritten ist und eine Überlastungssituation vorliegt.

Eine dauerhafte Überschreitung der jährlich zu bearbeitenden Fallzahl pro VZÄ von

– mehr als 2.000 Vorgängen bei allgemeinen Ordnungswidrigkeiten

– mehr als 14.000 Vorgängen bei Verkehrsordnungswidrigkeiten

führt zu einer Dauerbelastung, die nicht mehr kompensiert werden kann, was wiederum zu einer qualitätsgeminderten Bearbeitung (mit nachteiligen Rechtsfolgen für die Stadt Leipzig), Einnahmeverlusten oder eben zum Anstieg verjährter Fälle führt. Die o. g. Angaben sind Standards und bereits Maximalwerte. Bearbeitungsrückstände der Sachbearbeiter der Bußgeldbehörde sind in der Tat ein häufiger Grund, aus dem Fälle verjähren. Für Verkehrsordnungswidrigkeiten wurde ein Standard von 14.000 Fällen pro Mitarbeiter von externen Gutachtern ermittelt.“

Bei den Verkehrsordnungswidrigkeiten lagen die Fallzahlen pro Mitarbeiter/-in im Jahr 2016 bei 15.302 und im Folgejahr bei 15.867, also deutlich über den als Maximum benannten 14.000 Fällen. 2018 deutet sich zum Halbjahr ein Schnitt von 15.999 Fällen an. Wobei hier – trotz steigender Fallzahl – die Zahl der besetzten Vollzeitstellen sogar leicht zurückging. Da muss nur ein Mitarbeiter länger krank werden oder eine Mitarbeiterin in Babypause gehen, schon haben die anderen 15.000 Fälle mehr zu beackern. Ohne Aufstockung wird es hier nicht gehen.

Leicht aufgestockt wurde die Zahl der Mitarbeiter/-innen im Bereich „Allgemeine Ordnungswidrigkeiten“ von sechs auf inzwischen acht. Aber hier steigen die Fallzahlen ebenfalls an. Sodass die Fallzahl pro Mitarbeiter doch wieder um die 2.000 pendelt.

Ein Thema, das OBM Burkhard Jung auch im Zusammenhang mit dem neuen Doppelhaushalt 2019/2020 benannte. Zwar geben er, Finanzbürgermeister Torsten Bonew und Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning sich alle Mühe, den Zuwachs beim städtischen Personal möglichst zu dämpfen.

Aber beim Ordnungsamt will Jung im neuen Doppelhaushalt weitere zehn Stellen schaffen – zusätzlich zu den schon vom Stadtrat beantragten. Denn augenscheinlich beobachten nicht nur viele Leipziger, dass das Klima auf den Straßen immer rauer wird und sich nicht nur die Verkehrsteilnehmer (oder zumindest ein Teil derselben) immer rücksichtsloser gegen andere verhalten, sondern auch Polizei und Ordnungsbehörde bekommen es immer öfter mit rücksichtslosen Zeitgenossen zu tun.

Die zunehmende Aggression in der politischen Diskussion korrespondiert augenscheinlich mit einer zunehmenden Rücksichtslosigkeit einiger Mitbürger gegen andere. Die allgemeinen Ordnungswidrigkeiten nehmen zu und es sieht ganz so aus, dass die Mitarbeiter der Polizeibehörde tatsächlich auch immer öfter zu Schlichtungen einschreiten müssen.

Und natürlich hat auch das Ordnungsamt mit denselben Problemen zu kämpfen wie die Polizei und begegnet auch etlichen Bürgern, die sich jeder Kooperation verweigern, was dann in vielen Fällen zur Verjährung führt und ungesühnt bleibt.

Als Gründe zählt Rosenthal auf:

„zu späte Anzeige der Ordnungswidrigkeit gegenüber der Verfolgungsbehörde
– fehlende Mitwirkung des Betroffenen bzw. der Zeugen
– Betroffener kann nicht ermittelt werden
– ergebnislose/ langwierige Aufenthaltsermittlungen
– Verjährung bei Gericht oder Staatsanwaltschaft
– Abgabe des Verfahren von der Staatsanwaltschaft an die BuĂźgeldbehörde ohne AbgabeverfĂĽgung nach § 43 OWiG
– durch Ăśberlastung/ Personalausfall bedingter Zeitverzug in der Fallbearbeitung bei anderen beteiligten Ă„mtern und Behörden
– Zustellungsmängel u. a.“

Und beim Verkehr gehe es auch längst nicht mehr nur um rücksichtslose Autofahrer, meinte Burkhard Jung noch. Vom neuen Polizeigesetz erhofft er sich deutlich klarere Eingriffsrechte für die kommunale Polizeibehörde und eventuell auch eine Klärung, ob der Ordnungsdienst auch Radfahrer anhalten kann, wenn sie sichtlich gegen Verkehrsregeln verstoßen.

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 59 ist da: Zwischen Überalterung und verschärftem Polizeigesetz: Der Ostdeutsche, das völlig unbegreifliche Wesen

Zwischen Überalterung und verschärftem Polizeigesetz: Der Ostdeutsche, das völlig unbegreifliche Wesen

 

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