Als es zum zweiten Mal passierte, war auch die Leipziger Stadtverwaltung richtig sauer. Denn das war in den ganzen 29 Jahren zuvor so nicht passiert: Da hatte man in einem bewährten Auswahlverfahren endlich eine kompetente Besetzung für die verwaiste Amtsleiterstelle in der Stadtplanung gefunden, hatte es auch schon öffentlich vermeldet. Und dann zog die Bewerberin zurück, weil sie beim Gang durch die Fraktionen etwas erlebte, was so auch für Leipzig neu ist.

Am 8. März – stimmt schon: Es war der Frauentag – meldeten das Baudezernat und das Verwaltungsdezernat gemeinsam: „Die designierte Leiterin für das Stadtplanungsamt, Frau Barbara Brakenhoff, hat die Stadt Leipzig heute darüber informiert, dass Sie ihre Bewerbung zurückzieht. Im Ergebnis des Personalauswahlverfahrens hätte Barbara Brakenhoff dem Stadtrat zur Bestätigung vorgeschlagen werden sollen.“

Und besonders sauer zeigte sich Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau: „Als Grund für ihren Rückzug teilte mir Frau Brakenhoff mit, dass Sie aus den persönlichen Vorstellungsterminen in den Stadtratsfraktionen keine ausreichenden Unterstützungssignale für ihre Bewerbung erhalten habe. Ich habe Frau Brakenhoff als hochkompetente, integre und starke Expertin mit hervorragenden Leipzig-Kenntnissen kennengelernt. Deshalb bedauere ich diese Entwicklung und wünsche Frau Brakenhoff für Ihren weiteren Berufsweg alles Gute.“

Das Leipziger Auswahlverfahren ist eigentlich sehr belastbar: Nachdem die kompetenten Bewerbungen auf freie Amtsleiterstellen eingegangen sind, sucht eine Auswahlkommission aus Mitgliedern aller Fraktionen des Stadtrates sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung die beste Kandidatin oder den geeignetsten Kandidaten für die Stelle aus. Normalerweise genügt das: Die Ausgewählten haben den Rückhalt des Stadtrates und brauchen sich nur noch in den Fraktionen vorstellen, damit beide Seiten wissen, wer jetzt für das Aufgabenfeld der Ansprechpartner ist. Im Auswahlgremium hatte sich auch für Barbara Brakenhoff eine breite Mehrheit der vertretenen Stadtratsfraktionen für den Vorschlag ausgesprochen.

Auf die Ausschreibung, welche in unterschiedlichen Medien bundesweit veröffentlicht wurde, waren 16 Bewerbungen eingegangen. Davon wurden sieben Bewerberinnen bzw. Bewerber in das Auswahlverfahren einbezogen. Der endgültige Beschluss über die Besetzung von Amtsleiterstellen obliegt entsprechend der Vorgaben der Sächsischen Gemeindeordnung dem Stadtrat, daher sind Vertreter der Fraktionen in der Auswahlkommission im Vorfeld beteiligt.

Am 13. März hätte der Stadtrat über die Stellenbesetzung abstimmen sollen. Am 1. April wäre Amtsantritt gewesen. Aber beim Besuch der Fraktionen muss auch Barbara Brakenhoff einen Gegenwind erlebt haben, der es ihr angeraten sein ließ, in der Stadt Leipzig lieber kein solches Amt anzutreten.

„Das Bewerbungsverfahren wird nunmehr abgebrochen. Die Leitung des Stadtplanungsamtes wird bis auf Weiteres durch die amtierende Amtsleitung sichergestellt“, teilte die Verwaltung mit.

Aber das war eben nicht zum ersten Mal passiert in letzter Zeit. Es fällt langsam auf, erst recht, weil derzeit gleich mehrere wichtige Amtsleiterstellen neu besetzt werden müssen. Der erste große Generationenwechsel seit 1990 ist in vollem Gang. Aber mindestens eine Fraktion nutzt diese Gelegenheit schamlos dafür aus, an den Bewerbern für diese Stellen ihre Kraft zu erproben und sie regelrecht einzuschüchtern. Denn anders kann man das nicht bezeichnen, was die Kandidat/-innen da erleben.

Die Grünen-Fraktion greift das Thema jetzt auf. Denn es scheint symptomatisch zu sein für den Zustand der Verwaltung unter OBM Burkhard Jung: Sie hat ihre Souveränität verloren und einige Parteien nutzen die Gelegenheit, um ihren Einfluss auch bei der Stellenbesetzung durchzudrücken. Als hätten sie 1990 nichts gelernt, als die Zeit der parteilich besetzten Führungspositionen glücklicherweise zu Ende ging.

Die Grünen zu dieser durchaus beängstigenden Entwicklung: „Die Fraktionen haben mit dem Oberbürgermeister ein Verfahren vereinbart, wie für leitende Positionen in der Stadtverwaltung die Personalbesetzung erfolgen soll. Dafür wird jeweils eine Arbeitsgruppe aus Vertreter*innen der Fraktionen mit der Stadtverwaltung, dem Personalrat und der städtischen Gleichstellungsbeauftragten gebildet. Auch wenn natürlich die grundgesetzlich garantierte freie Ausübung des Mandates nicht eingeschränkt werden soll, sollen doch die Vertreter*Innen der Fraktionen eine gewisse Rückbindung in ihre Fraktionen haben. Jetzt ist es bereits zum zweiten Mal – nach dem Amt für Wirtschaftsförderung nun beim Stadtplanungsamt – zu registrieren, dass eine Bewerberin durch die öffentliche Beschädigung ihres Rufes ihre Bewerbung zurückgezogen hat.“

Und nicht nur bei diesen beiden Stellenbesetzungen gibt es Probleme. „Die Verfahren zur Besetzung des Umweltamtes, des Brandschutzamtes und des Amtes für Statistik und Wahlen wurden z. Zt. bereits ergebnislos abgebrochen“, stellen die Grünen fest. Und es scheint immer wieder insbesondere weibliche Führungskräfte zu betreffen, als müssten ein paar Männer in den Fraktionen unbedingt zeigen, dass sie im Kopf immer noch im Kaiserreich feststecken und Frauen in verantwortlichen Positionen geradezu verachten. „Die Herabwürdigung als Frau, unverhohlene Altersdiskriminierung und die Verhinderung politisch offenbar missliebiger Kandidat*innen, sind dabei zu registrieren“, so die Grünen.

Die Grünen fassen ihr Unbehagen in mehrere Fragen an den Oberbürgermeister, denn wenn einige Fraktionen den Konsens im Ältestenrat immer wieder aufkündigen und meinen, ihre eigenen Interessen mit Rücksichtslosigkeit durchdrücken zu können, dann bekommt Leipzig ein gewaltiges Problem. Wenn es das noch nicht hat, denn die eine oder andere Fraktion hat ja schon vor mehreren Monaten auf Streit und Konfrontation umgeschaltet. Man ringt nicht mehr mit den anderen demokratischen Fraktionen um gemeinsame Lösungen, sondern verwandelt den öffentlichen Raum in einen pöbelnden Stammtisch, männerdominiert natürlich.

Und so fragen die Grünen:

„Wie schätzt der Oberbürgermeister die Verlässlichkeit und Ergebnisorientiertheit des im Einvernehmen mit dem Ältestenrat etablierten Verfahrens ein?

Wie hoch bewertet der Oberbürgermeister den Imageschaden, der durch die abgebrochenen Verfahren und die öffentliche Diskussion um die Namen der Bewerberinnen entstanden ist?

Wie gedenkt der Oberbürgermeister auch zukünftig hochqualifizierte und fähige Kandidat*innen für Führungspositionen in der Stadtverwaltung Leipzig zu begeistern?“

Allein die schon verzeichneten Vorgänge reichen eigentlich schon aus, um Leipzig einen miserablen Ruf zu bescheren. Denn wer damit rechnen muss, als kompetenter Bewerber oder kompetente Bewerberin auf Abneigung und Missachtung zu treffen, der bewirbt sich natürlich nicht mehr in Leipzig, das bislang immer noch von seinem weltoffenen Ruf zehren konnte. Aber einige Parteigranden sind augenscheinlich nur zu bereit, auch den zu zerstören, um ihr kleines bisschen Macht zu beweisen.

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