Traditionell demonstrieren viele Linke am 1. Mai gegen Neonazis. Doch weil deren Demos wegen der Coronakrise ausfallen, können die Linken diesmal selbst in die Offensive gehen. Auf dem Augustusplatz folgten mehrere hundert Menschen dem Aufruf eines breiten Bündnisses. Später kam es auf dem Simsonplatz zu Wortgefechten mit Gegner/-innen der Corona-Schutzverordnung.

Der 1. Mai ist traditionell der internationale Kampftag der Arbeiterklasse. Doch viele Linke waren in den vergangenen Jahren am 1. Mai vor allem damit beschäftigt, Abwehrkämpfe gegen Neonazis zu führen. Diese nutzten den Feiertag regelmäßig für Großdemonstrationen – viele davon in Ostdeutschland.

In diesem Jahr hatte beispielsweise die neonazistische Kleinstpartei „Der 3. Weg“ einen Aufmarsch in Erfurt geplant. Wegen der Coronakrise und der damit verbundenen Auflagen für Versammlungen sagte die Partei die Demonstration jedoch ab.

Kundgebung auf dem Augustusplatz. Foto: René Loch
Kundgebung auf dem Augustusplatz. Foto: René Loch

Viele Personen, die am diesjährigen 1. Mai auf den Leipziger Augustusplatz kamen, wären wohl normalerweise zum Gegenprotest nach Erfurt gefahren. Ein breites linkes Bündnis – bestehend aus „Aufbruch Ost“, „Ende Gelände“, „Leipzig nimmt Platz“, „Prisma“, „Seebrücke“ und sieben weiteren Organisationen – hatte zur Kundgebung unter dem Motto „‚Danke‘ heißt: mehr Lohn, mehr Schutz, mehr Mitbestimmung!“ aufgerufen.

Nur Beifall ist zu wenig

Im Fokus stand unter anderem die Situation der Arbeiter/-innen in der Coronakrise. Für diese hat es aus Sicht des Bündnisses zwar viel Lob und Beifall gegeben, aber wenig tatsächliche Hilfe. Konkret ging es beispielsweise um die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte, den übergangsweise eingeführten Zwölf-Stunden-Tag für „systemrelevante“ Beschäftigte und die ausländischen Erntehelfer/-innen, die nicht ausreichend geschützt seien.

Thematisiert wurde auch die „unsichtbare Sorgearbeit“, die zunehme, wenn sich Eltern neben der Lohnarbeit auch noch um Kinder kümmern müssen. Betroffen vom zusätzlichen Stress in allen Bereichen seien vor allem „Flint“; also Frauen, Lesben sowie inter, non-binäre und trans Personen. Diese seien beispielsweise in den „systemrelevanten“ Berufen in der Überzahl. Auch das vorübergehende Verbot der Sexarbeit gehe vor allem auf Kosten der Frauen.

Kundgebung auf dem Augustusplatz. Foto: René Loch
Kundgebung auf dem Augustusplatz. Foto: René Loch

Außerdem thematisierten die Redner/-innen auf der Kundgebung unter anderem häusliche Gewalt und die Situation der Geflüchteten. Diese müssten in Griechenland aus den Lagern evakuiert und in Deutschland aus den Massenunterkünften entlassen werden.

Orgateam kritisiert Ordnungsamt

Wie derzeit üblich hatte das Ordnungsamt lediglich 25 Personen für die Kundgebung vor der Oper zugelassen. Diese mussten ihre Kontaktdaten angeben und sich auf einer markierten Stelle innerhalb eines abgegrenzten Bereichs aufhalten.

Rund um diese eigentliche Kundgebung herum demonstrierten jedoch hunderte weitere Personen – teilweise ohne Sicherheitsabstand. Die Organisator/-innen kritisierten das Ordnungsamt, weil dieses eine größere Kundgebung mit klaren Abstandsregeln abgelehnt habe. Die Situation, die nun entstanden war, hätte sich dadurch vermeiden lassen.

Kundgebung auf dem Augustusplatz. Foto: René Loch
Kundgebung auf dem Augustusplatz. Foto: René Loch

Neben dem linken Bündnis hatten sich vor der Oper auch einige Personen eingefunden, die gegen die Einschränkungen durch die Corona-Schutzverordnung protestierten, indem sie gemeinsam meditierten.

Protest gegen Coronaregeln

Eine ähnliche Klientel kam auf dem Simsonplatz zusammen. Dort lautete das Motto der Versammlung: „Demonstration für die unbeschränkte Wiederherstellung der Versammlungsfreiheit“. Etwa 100 Personen waren anwesend, wobei sich gut die Hälfte wohl nicht zu den Teilnehmenden zählte und das Geschehen kritisch beobachtete. Einige dieser „Beobachter/-innen“ waren zuvor bei der linken Demo auf dem Augustusplatz gewesen.

Über die Hintergründe der Organisator/-innen auf dem Simsonplatz ist bislang wenig bekannt. Nach eigenen Angaben handelt es sich um die Leipziger Regionalgruppe von „Nicht ohne uns“. Unter diesem Slogan waren auch in anderen Städten schon Menschen gegen die Corona-Regeln auf die Straße gegangen.

Kundgebung gegen Einschränkungen durch die Corona-Schutzverordnung. Foto: René Loch
Kundgebung gegen Einschränkungen durch die Corona-Schutzverordnung. Foto: René Loch

In den Reden ging es um Themen wie Nachhaltigkeit, Ungleichheit und Rechtspopulismus. Dass das Coronavirus existiert und eine Gefahr darstellt, wurde nicht bestritten. Allerdings seien die Maßnahmen zum Schutz der Bürger/-innen überzogen und würden teils rechtswidrige Eingriffe in die Grundrechte darstellen. In einigen Reden klang durch, dass viele Medien manipulativ berichten würden.

Wen schützt der Mundschutz?

Aus dem Lager der „Beobachter/-innen“ meldeten sich gegen Ende der rund einstündigen Veranstaltung ebenfalls zwei Personen zu Wort. Einer von ihnen bezeichnete die Demoteilnehmer/-innen als „egoistische Arschlöcher“, weil diese den Mundschutz ablehnten beziehungsweise nicht verstehen würden, dass dieser nicht dem eigenen Schutz, sondern dem Schutz anderer Menschen diene. Teilweise kam es zu hitzigen Wortgefechten.

In Leipzig hatte es in den vergangenen Tagen mehrere Demonstrationen gegen die Corona-Schutzverordnung gegeben. Teilweise wurden dort rechtsradikale Verschwörungstheorien verbreitet. So etwas war heute nicht zu hören. In den kommenden Tagen wollen verschiedene Organisationen weitere Veranstaltungen durchführen.

1. Mai in Leipzig (1): Ein politischer Spaziergang auf der Karli + Video

1. Mai in Leipzig (1): Ein politischer Spaziergang auf der Karli + Video

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