Die Stadtratsdebatte im Herbst zur Ausrufung des Klimanotstands hat Oberbürgermeister Burkhard Jung dann doch beeindruckt. Sie war ja nur der nächste Wendepunkt, an dem der Stadtrat die Regie übernommen hat und mit bis dahin unerwarteten Beschlüssen der Stadtpolitik den Stempel aufgedrückt hat. Vorher gab es die großen Entscheidungen zum Kohleausstieg, zum Nachhaltigkeitsszenario, zum 365-Euro-Ticket.

Auf einmal hat sich am alten Leipziger Schneckentempo spürbar etwas verändert. Die Stadtwerke bauen ein neues Gaskraftwerk, um Leipzig aus den Fernwärmeverträgen mit dem Kohlekraftwerk Lippendorf zu lösen, die LVB müssen sich mit neuen Linien und neuen Tarifmodellen beschäftigen.

Und die Stadt?

Augenscheinlich hat Burkhard Jung schon gleich nach dem Stadtratsbeschluss zur Ausrufung des Klimanotstands seine Verwaltungsspitze zusammengerufen, um zu überlegen, was die Stadt über die schon existierenden Klima- und Umweltschutzpläne hinaus noch machen kann. Und das möglichst gleich, noch in den Jahren 2020 und 2021.

„Wir waren schon ziemlich weit“, sagte Burkhard Jung am Mittwoch, 10. Juni, bei der Vorstellung dieses Sofortprogramms, „aber dann kam Corona.“

Das habe doch wieder für ein paar Wochen Verzögerung gesorgt, so Jung. Aber am 8. Juni habe man das Sofortmaßnahmenprogramm im Nachhaltigkeitsbeirat vorgestellt. Dort sei es gut aufgenommen worden. Ein paar Fachausschüsse muss es noch durchlaufen, bevor es zur Beschlussfassung in den Stadtrat geht, denn es geht um einige nicht ganz unerhebliche Beträge – rund 20 Millionen Euro in den Jahren 2020, 2021 und 2022.

Darin sind auch wichtige Förderprogramme wie die Aufstockung des Lastenradprogramms um 250.000 Euro oder die Fortführung des Gründachprogramms mit 500.000 Euro jedes Jahr, aber auch der massive Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur in Leipzig. Allein in diesem Jahr wollen die Stadtwerke Leipzig 71 neue Ladesäulen errichten, bis 2025 sogar bis zu 500. Was im Programmzeitraum allein 6,8 Millionen Euro kostet, aber – so Jung – endlich den Ladeengpass für Elektrofahrzeuge beenden soll.

Bei einigen Punkten geht es nicht ohne die Kommunalbetriebe. Über die Gründung der Westsächsischen Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG, in der die Stadtwerke Leipzig und die WEV zusammenarbeiten, um neue Anlagen der erneuerbaren Energie zu bauen, haben wir ja am 26. Mai berichtet.

Der Bau der 20-MW-Photovoltaikanlage auf der Deponie Seehausen wird ihr erstes Pilotprojekt.

Die Kosten für diese Anlage (12,6 Millionen Euro) sind natürlich nicht enthalten in den Geldern, die die Stadt jetzt im Sofortprogramm gebündelt hat, betont Jung. Genauso wenig wie die Beschaffungskosten der LVB für neue Elektro-Busse und Straßenbahnen.

Das Programm umfasst 24 kurzfristige Handlungsschritte im kommunalen Verantwortungsbereich, mit denen die Treibhausgasemissionen wirkungsvoll gesenkt werden sollen.

Oberbürgermeister Burkhard Jung erklärt dazu: „Internationale Klimaschutzabkommen sind richtig und wichtig. Umgesetzt werden müssen sie in den Kommunen. Wir wollen als Leipzig hier mit einem guten Beispiel vorangehen und zeigen mit unserem Sofortprogramm: Leipzig setzt sich für Klimaschutz ein. Die Kommunen dürfen mit der Umsetzung aber nicht alleine gelassen werden, keine Gemeinde kann Klimaschutz allein aus ihrem Budget finanzieren. Wir brauchen Unterstützung von Bund und Land – und wir brauchen auch bundes- und landesweit eine abgestimmte Strategie.“

„Gerade in der jetzigen Zeit ist es wichtig, die Weichen für eine nachhaltige Zukunft zu stellen“, betont Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal. „Die gehäuften Hitzeperioden mit verdorrten Straßenbäumen und angespannten Grundwasserverhältnissen sowie vermehrt auftretende Starkregenereignisse führen vor Augen, dass auch Leipzig schon jetzt spürbar vom Klimawandel betroffen ist. Ziel der Stadt ist es deshalb, gemeinsam den Zustand der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Mit dem Sofortmaßnahmenprogramm nehmen wir auch in finanziell schwierigen Zeiten viel Geld in die Hand, um Leipzig krisenfester aufzustellen und ein klimagerechtes Wirtschaftswachstum zu fördern.“

Das Sofortmaßnahmenprogramm greift die für die kommunale Klimaschutzarbeit sechs wichtigsten Handlungsfelder auf. Die 24 Maßnahmen verteilen sich damit auf die klassischen Aufgaben kommunaler Klimaschutzaktivitäten, wie Stadtentwicklung, Strom- und Wärmeversorgung, Mobilität, Kommunikation, Ernährung und Konsum sowie interne Organisation der Stadtverwaltung ein. In diesen Bereichen wiederum bilden Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel eine Querschnittsaufgabe.

„Kneipenmeile“ Gottschedstraße. Foto: Ralf Julke
„Kneipenmeile“ Gottschedstraße. Foto: Ralf Julke

Aber Corona hat die Stadt auch auf neue Ideen gebracht: So soll die Gottschedstraße als Pilotprojekt für den Verkehr gesperrt und zur Freisitzstraße werden. Und wenn das funktioniert, so Jung, wolle man das auch an anderen Stellen in der Stadt prüfen.

Ein zentraler Arbeitsbereich wird die Quartiersentwicklung. Denn dort entscheidet sich, ob das Treibhausgasaufkommen aus Privathaushalten deutlich sinken kann, weil die Quartiere klimagerechter, wassersensibler und energieeffizienter werden. Das betrifft zentral die Vorgaben zu Strom und Wärme aus erneuerbaren Quellen.

Zudem ist die Stadtverwaltung bestrebt, die Emissionen ihres eigenen Immobilienbestandes bis zum Jahr 2035 auf ein klimaneutrales Niveau zu senken. Hierzu werde sie fortan alle Gebäude, die künftig errichtet werden, mit einer Solaranlage ausrüsten.

Außerdem wird ein Baustandard festgeschrieben, der über den gesetzlichen Anforderungen des Bundes liegt und anspruchsvolle Kriterien an die Wärmeversorgung der Objekte anlegt. Durch eine Anpassung der Beschaffungsgrundlagen und die Förderung des Klimaschutzes werden zudem wichtige Bausteine für eine klimaneutrale Stadtverwaltung gelegt.

Mithilfe der Errichtung von 30 Solaranlagen auf Gebäuden der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft durch die Leipziger Stadtwerke werden im Handlungsfeld Strom- und Wärmeversorgung sehr wichtige Impulse gesetzt, um Leipzigs Dächer für die Erzeugung von erneuerbarem Strom zu nutzen, betont Jung. Dafür werden 500.000 Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt, ausreichend für zehn neue Anlagen.

Außerdem will Jung ein 100-Dächer-Solarprogramm animieren und die anderer Wohnungsgesellschaften mit ins Boot holen.

Stadtwerke Leipzig und Abfallverband gründen neue Projektentwicklungsgesellschaft für erneuerbare Energieerzeugung

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