Eigentlich ist es schon lange ein viel kleineres Problem als noch vor zehn oder gar 20 Jahren: das Problem der kostenlos in Briefkästen und Hausfluren verteilten Werbeflut. Und es wäre wohl auch schon längst keines mehr, wenn sich nicht tausende Leipzigerinnen und Leipziger jedes Wochenende diese Stapel schnappen würden, um sie nach Billigangeboten zu durchforsten. Aber der Linksfraktion war das Thema so wichtig, dass sie jetzt für Leipzig ein Amsterdamer Modell vorschlägt.

„Die Stadtverwaltung prüft bis zum Ende des I. Quartals 2021, ob und wie die Stadt Leipzig durch eine Satzung eine sogenannte ,Opt-in-Lösung‘ für Werbepost einführen kann“, lautet der Beschlussvorschlag der Linksfraktion.

„Trotz Digitalisierung ist sie noch immer ein bekanntes Phänomen im Briefkasten: die Papierwerbung“, versucht die Linksfraktion ihren Antrag zu begründen.

„Wer keinen ,Werbung, nein danke!‘-Aufkleber angebracht hat, pendelt regelmäßig zwischen Briefkasten und Papiertonne, um die Masse an Werbeprospekten zu entsorgen. Auch diejenigen, die dachten, sich durch einen entsprechenden Aufkleber davon befreien zu können, stolpern häufig trotzdem im Hausflur über stapelweise abgelegte ,Einkauf aktuell‘ und ähnliche Lektüre. Dabei leiden aber nicht nur die Empfänger/-innen der unerwünschten Werbung darunter, viel mehr leidet die Umwelt: 35 kg Werbepost landen jährlich in jedem Briefkasten in Deutschland, das entspricht 14 % des privaten Papiermülls. Um diesen zu produzieren, werden pro Briefkasten 1.400 Liter Wasser und 54 kg Holz benötigt.“

So zumindest die Zahlen, mit denen die Initiative „Letzte Werbung“ arbeitet.

„Einkauf aktuell“ ist ein Werbeprospekt der Deutschen Post, die diesen jahrelang nicht nur in Papierform in die Haushalte verteilte, sondern auch noch eingeschweißt in eine Plastefolie, auch in Leipzig. Dafür sind heimische Anzeigenblätter in den letzten Jahren eins nach dem anderen vom Markt verschwunden – Wochenkurier, hallo! und Leipziger Rundschau. Vom gegenseitigen Preisdumping ausgeknockt und vom Abwandern auch der lokalen Werbekundschaft in die amerikanischen Netzwerke letztlich ausgeblutet.

Aber es landen nach wie vor durchaus seltsame Werbeblätter in den Hausfluren – und zwar meist nur noch in den Fluren selbst, weil die Verteiler durchaus meistens ernst nehmen, wenn am Briefkasten ein Aufkleber „Keine Werbung“ klebt. Oder ein hübscher L-IZ-Aufkleber „Keine Werbung aus Papier“.

„Um diesem Problem zu begegnen, hat Amsterdam 2018 den Spieß umgedreht: Werbung darf ab sofort nur in Briefkästen eingeworfen werden, wo ein ,Werbung, ja bitte!‘-Aufkleber angebracht ist. Dadurch spart Amsterdam 6 Millionen kg Papier und etwa 600 bis 750 Müllabfuhren im Jahr“, betont die Linksfraktion.

„Der Verein ,Letzte Werbung‘ geht davon aus, dass so ein System in Deutschland auch kommunal per Satzung umgesetzt werden kann und erarbeitet mit einigen Städten bereits entsprechende Satzungen. Besonders vor dem Hintergrund des Klimanotstands wäre es sinnvoll, wenn auch in Leipzig ein solches System eingeführt würde (solange der Bundesgesetzgeber nicht entsprechend handelt). Die Verwaltung soll mögliche Umsetzungsvarianten prüfen, sinnvoll wäre es, dabei auch externe Fachexpertisen, z. B. beim Verein ,Letzte Werbung‘, in die Prüfung mit einzubeziehen.“

Das eigentliche Problem findet man dann auf der Seite von „Letzte Werbung“. Denn die papierwerbungstreibenden Unternehmen arbeiten noch immer – wie im letzten Jahrhundert – mit der Gießkanne und verteilen ihre Prospekte nach Auflagenhöhe, egal, ob die dann gleich in die Blaue Tonne wandern oder vor den Haustüren im Regen liegen.

„Einer aktuellen YouGov-Studie zufolge erhalten nur 17 % der Deutschen gern Briefkastenwerbung. Und trotzdem folgt das Gesetz immer noch dem Willen der werbenden Unternehmen. Es erlaubt, dass Ressourcen sinnlos verschwendet werden. Woche für Woche“, so „Letzte Werbung“, was eben auch bedeutet, dass die Druckauflage all dieser Werbeblätter auf 17 Prozent gedrückt werden könnte.

Was freilich auch weitere Druckereiinsolvenzen und schwindende Einnahmen der Prospektverteiler zur Folge hätte. Jede ökologisch schädliche Gewohnheit aus der Vergangenheit hat logischerweise auch Folgen für andere Wirtschaftszweige, wenn sie abgeschafft wird. Das macht ja den ökologischen Richtungswechsel heute so schwer.

Und es sorgt gleichzeitig dafür, dass Nutzer von Internetangeboten mittlerweile mit Werbung zugeschmissen werden, freilich auch eher in dem, was man die Hausflure und Bolzplätze des Internets nennen könnte. Halt da, wo am meisten gerauft und geschrien wird.

Aber die Analyse stimmt: Gerade jetzt, wo auch die europäischen Wälder immer mehr Leidtragende des menschgemachten Klimawandels werden, ist Holz viel zu wertvoll, um es für bunte Werbeprospekte zu verbrauchen.

Der Dreck muss weg: Das „Projekt Stadtsauberkeit“ ist eine Antwort auf Leipzigs Müll-Problem

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