Die Polizei hält vier Gegenden in Leipzig für so gefährlich, dass sie dort ohne Anlass Personen kontrollieren darf. Aus der Beantwortung einer Landtagsanfrage der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz geht hervor, dass es sich dabei um das Gebiet rund um die Eisenbahnstraße, dem Bereich um den Schwanenteich und den Bürgermeister-Müller-Park, am Kleinen Willy-Brandt-Platz sowie um Teile der Fußgängerzone in der Stuttgarter Allee handelt. Zahlreich durchgeführten Kontrollen bestätigen dieses Bild nicht uneingeschränkt. Trotzdem möchte die Polizei an der bisherigen Praxis festhalten.

Das Polizeivollzugsdienstgesetz bestimmt in Paragraf 15 Absatz 1 Nummer 2, dass die Beamten anlasslos die Identitäten von Personen überprüfen dürfen, die sich an Orten aufhalten, von denen aufgrund von Tatsachen anzunehmen ist, dass dort regelmäßig Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich unter Verstoß gegen Aufenthaltsanordnungen oder Kontaktverbote treffen oder sich dort Straftäter verbergen.

Welche Örtlichkeiten diese Voraussetzungen erfüllen, bestimmt die Polizei in eigener Verantwortung. „Eine Abstimmung diesbezüglich ist mit dem Sächsischen Staatsministerium des Innern gemäß der Ermächtigungsnorm nicht notwendig und erfolgt auch nicht“, erläutert Polizeisprecher Olaf Hoppe.

Ob es sich bei den drei Arealen tatsächlich um Kriminalitätsschwerpunkte handelt, sei einmal dahingestellt. Unstreitig werden diese Gegenden regelmäßig im Kontext mit organisierter Betäubungsmittelkriminalität, im Volksmund „Drogenhandel“ genannt.

Zur Bekämpfung des Drogenhandels und der Beschaffungskriminalität führte die Polizeidirektion in Zusammenarbeit mit der Bereitschaftspolizei im vergangenen Jahr wieder zahlreiche Komplexkontrollen durch.

Dabei errichten Polizisten innerhalb eines abgesteckten Gebiets Kontrollstellen und überprüfen Passanten ihrer Wahl.

Kerstin Köditz (Die Linke, MdL) 2019 vor dem Rathaus Grimma. Foto: L-IZ.de
Kerstin Köditz (Die Linke, MdL) 2019 vor dem Rathaus Grimma. Foto: Michael Freitag

Landtagsabgeordnete Köditz (Linke) hatte sich auch nach den Ergebnissen dieser umstrittenen Praxis erkundigt. Allein von Juli bis Oktober 2020 fanden erneut 89 Komplexkontrollen statt. Betäubungsmittel stellten die Beamten dabei in den allermeisten Einsätzen nur um niedrigen Gramm-Bereich sicher.

Mutmaßliches Diebesgut fanden die Ordnungshüter so gut wie nie, sieht man einmal von ein paar sichergestellten Fahrrädern ab.

Leipzigs neuer Polizeipräsident René Demmler im Gespräch. Foto: Michael Freitag
Leipzigs neuer Polizeipräsident René Demmler möchte an den Komplexkontrollen festhalten, um das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu stärken. Foto: Michael Freitag

Trotz des hohen Personalaufwands und der bescheidenen Erfolge möchte die Polizei an den Komplexkontrollen festhalten. „An uns bekannten Schwerpunkten, an denen es vermehrt zu strafbarem Handeln kommt, sind wir mit Einsatzkräften und durch Kontrollen präsent“, sagt der Leipziger Polizeipräsident René Demmler.

„Diese dämmen die Kriminalität ein und stärken so das Sicherheitsgefühl der Leipziger Bevölkerung. Erfolgskriterium sind hier nicht nur tatsächlich festgestellte Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder vollstreckte Haftbefehle, sondern schon allein die polizeiliche sichtbare Präsenz.“

Stadtrat Thomas Köhler (Piraten, Freibeuter). Foto: L-IZ.de
Stadtrat Thomas Köhler (Freibeuter) kritisiert die Einstufung von gefährlichen Orten. Foto:Michael Freitag

Kritik kommt dazu aus den Reihen der Lokalpolitik. „Es ergeben sich aus den Statistiken keine wirklichen Häufungen von schweren Delikten an gefährlichen Orten, die als solche eng abgegrenzt werden können“, findet Thomas Köhler (Piraten).

Der Freibeuter-Stadtrat weist auf die bescheiden wirkenden Erfolge hin. „Es gibt fast ausschließlich mindere Delikte, besonders im Bereich der Betäubungsmittel.“

Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek kritisiert die mangelnde Überprüfbarkeit der Einstufung einer Gegend als gefährlich. „Die Zahlen machen jedenfalls deutlich, dass die gefährlichen Orte jedenfalls anhand der Kontrollen nicht ohne weiteres als solche zu klassifizieren sind.“

Jürgen Kasek (B90 / Die Grünen). Foto: L-IZ.de
Stadtrat Jürgen Kasek (Grüne) bemängelt die fehlende Überprüfbarkeit der Einstufungen. Foto: Michael Freitag

Im Einzelfall sei davon auszugehen, dass die Einschätzung eines gefährlichen Ortes immer etwas mit der politischen Lage zu tun hat.

Betrachtet man nur die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik müsste etwa die komplette Innenstadt als gefährlicher Ort gelten, da dort die Kriminalitätsbelastung überdurchschnittlich hoch sei, gerade im Bereich Diebstahl und Körperverletzungsdelikten.

„Tatsächlich ist die Ausweisung von gefährlichen Orte willkürlich und nicht durch Zahlen zu erklären. Die Kontrollen machen zudem deutlich, dass auch willkürliche Kontrollen nicht zu einer höheren Fundquote führen“, meint Kasek.

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