Auch Daniele Kolbe, Bundestagsabgeordnete der SPD, tritt im September nicht noch einmal zur Wahl an. So hat sie es sich schon vor der aktuellen Wahlperiode vorgenommen. Denn Abgeordnete, so sagt sie, sollten sich nicht abhängig machen – auch nicht vom Mandat. Unsere zehn Fragen an Daniela Kolbe und ihre Antworten.

Seit 2009 waren Sie jetzt Mitglied im Bundestag. Fällt Ihnen der Abschied schwer? Oder sind sie erleichtert, dass jetzt eine Last von Ihnen genommen ist?Ich habe schon 2016 fest beschlossen, dass diese Legislaturperiode meine letzte sein würde. Und dieser Entschluss fühlt sich nach wie vor für mich absolut richtig an.

Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus? Haben Sie schon ein neues Lebensprojekt für sich gefunden?

Erstmal freue ich mich auf ein wenig Zeit mit meiner Familie und auch die Suche nach neuen Herausforderungen lässt sich gut an.

Welches war der wesentliche Grund für Sie, auf eine weitere Kandidatur zu verzichten?

Es ist meine ganz grundsätzliche Haltung, dass das Abgeordnetendasein auf Zeit ist. Volksvertreter/-innen sollten unabhängig sein und dazu gehört für mich auch, dass sie aufpassen sollten, sich nicht vom Mandat abhängig zu machen.

Haben Sie das Gefühl, in diesen zwölf Jahren wenigstens einige Ihrer Ziele in der politischen Arbeit erreicht zu haben? Und wenn ja, welche? Worauf sind Sie besonders stolz?

Tatsächlich habe ich an vielen Stellen den Eindruck, dass sich etwas in die richtige Richtung bewegt. Der schönste Moment war für mich die Einführung des Mindestlohnes, aber auch die Grundrente, das Starke-Familien-Gesetz und die Tatsache, dass wir in der Pandemie den Sozialstaat aus- und nicht abgebaut haben, machen mich ein wenig stolz. Und ich finde es gut, dass mittlerweile differenzierter und wertschätzender über Ostdeutschland gesprochen wird.

Und was fanden Sie besonders zäh und frustrierend? Wo hatten Sie sogar das Gefühl, dass Sie und Ihre Partei eine schmerzliche Niederlage, einen schmerzlichen Rückschlag erleben mussten?

Regieren mit der Union ist wirklich kein Zuckerschlecken. Die Konservativen wollen ja im Kern nichts ändern, sie stemmen sich mit den Füßen in den Boden und sagen zu jeder gesellschaftlichen Verbesserung „Nein“. Man muss sie sprichwörtlich zum Jagen tragen. Und wenn sie doch mal was wollen, geht es in keine schöne Richtung: Stichwort Migration.
Den Konservativen geht es häufig um Abschiebung um jeden Preis.

Wenigstens ein paar unbegleitete Minderjährige aus Lagern wie Moria in Griechenland zu holen, war dagegen ein harter Kampf. Manchmal fragt man sich wirklich wofür das C bei der Union steht …

Wie gut empfanden Sie die Vereinbarkeit von Politik und Familie? Oder würden Sie jungen Familienmüttern bzw. -vätern lieber nicht empfehlen, in die große Politik zu gehen?

Ich finde: Jede Fraktion braucht ein Fraktionsbaby. Denn so ein kleines Kind in der Fraktionssitzung führt ja ganz bildlich vor Augen, für wen wir Politik machen sollten – für unsere Zukunft, für unsere Kinder. Die Vereinbarkeit von Politik und Familie ist etwas besser geworden, leicht ist es aber immer noch nicht. Aber was ist schon leicht.

Bei welchem Thema haben Sie besonders das Gefühl, dass es liegengeblieben ist und sich die nächsten Bundestage dringend drum kümmern müssen?

Es gibt ein paar Sachen, die hatten wir uns als SPD vorgenommen, die aber am Widerstand der Union gescheitert sind. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung etwa, eine menschenfreundliche Reform von Hartz IV, aber auch gesellschaftspolitische Fragen, wie die Abschaffung des Transsexuellengesetzes.

Bei anderen Themen wünsche ich mir noch mehr drive: etwa beim Klimaschutz. Dort haben wir zwar trotz Union eine Menge erreicht, es bleibt aber noch eine Menge zu tun, etwa beim Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Was hätten Sie sich in der Arbeit im Bundestag lieber anders gewünscht? Immerhin bekommt man ja von außen nur die vielen Sitzungen und Tagungen mit und die oft 20-Stunden-Arbeitstage. Kann ein derart mit Arbeit ausgelastetes Parlament eigentlich noch den Draht zum Wähler halten?

Tatsächlich sollte der neue Bundestag noch mal darüber sprechen, welche Debatten wirklich sinnvoll sind. Mitunter sitzt man dort bis mitten in der Nacht und fragt sich: Weshalb ist dieses Mini-Thema denn jetzt so wichtig, dass sich 709 hochbezahlte Abgeordnete damit befassen müssen.

Vielleicht kann man dann auch wieder dazu kommen, die Anzahl der Sitzungswochen etwas zu reduzieren, damit die Abgeordneten wieder mehr in den Wahlkreisen sind und mitbekommen, was den Menschen unter den Nägeln brennt.

Und wie schätzen Sie genau diese Verbindung zum realen Leben der Wähler/-innen ein? Sind die Debatten und Entscheidungen des Bundestages nicht viel zu oft abgehoben und berücksichtigen gar nicht die Lebenslagen der Bürger? Oder ist das auch wieder nur ein medial vermittelter Trugschluss?

Na ja, die meisten Beschlüsse versuchen ja definitiv reale Probleme zu lösen. Aber auch ich habe manchmal den Eindruck, dass es gut gewesen wäre mal mit den Praktiker/-innen vor Ort zu sprechen. Ich fand in meiner Zeit als Abgeordnete jedenfalls die Praktika am besten. Im JobCenter, Krankenhaus, Pflegeheim oder der Rentenversicherung mal mit den Menschen sprechen, die umsetzten, was wir in Berlin beschließen. Das ist sehr spannend und lehrreich.

Was empfehlen Sie all jenen, die nach Ihnen im Bundestag tätig werden? Welchen Rat würden Sie ihnen besonders ans Herz legen?

Nehmt euch was vor, versucht das Leben der Menschen vor Ort konkret zu verbessern und seid geduldig und beharrlich bei der Umsetzung. Es sind dicke Bretter, die da zu bohren sind, aber es lohnt sich sehr!

Zur Website von Daniela Kolbe.

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