Aufgefallen war das schon länger, dass Sachsens Polizei im Umgang mit Demonstrationen oft völlig verschieden vorgeht – geradezu rücksichtsvoll mit rechten und Querdenker-Demonstrationen, oft sehr hart und drakonisch mit linken Demonstrationen und Gegenprotesten. Aber am 29. November 2020 fiel es richtig auf. Im Nachgang der Kundgebung „Weg mit dem PKK-Verbot“ mit etwa 200 Teilnehmenden kam es in der Leipziger Innenstadt zu einem offensichtlich überharten Polizeieinsatz.

Wobei der Umgang der Polizei mit kurdischen Demonstrationen ein eigenes Kapitel für sich ist. Als hätte die deutsche Polizei konsequent die Sichtweise der Erdogan-Regierung übernommen. Spätestens, wenn dann auch noch die PKK ins Spiel kommt, reagiert auch die deutsche Polizei sehr drastisch.Als sich an diesem 29. November einzelne Teilnehmer/-innen der Kundgebung in kleinen Gruppen in Bewegung setzten, um zu einer anderen Kundgebung unter dem Motto „Freiheit für Öcalan“ (dem seit 1998 inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan) auf den Markt der Stadt zu gelangen, kesselte die Polizei über 70 Personen kurz vor deren Ankunft am Marktplatz ein.

Die zusammengetriebenen Menschen, darunter Minderjährige und auswärtige Gäste kurdischer Organisationen, führte die Polizei anschließend einzeln aus dem Kessel. Alle Personen hatten sich anschließend Identitätsfeststellungsmaßnahmen und Durchsuchungen zu unterziehen.

Gegenüber der Leipziger Volkszeitung hatte die Polizei ihr Vorgehen am 9. Dezember 2020 vehement verteidigt.

Und auch in seiner Antwort an die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel war sich Innenminister Roland Wöller am 23. Dezember 2020 noch felsenfest sicher, dass die Polizei vor Ort richtig reagiert hatte.

„Nach Beendigung der Versammlung zum Thema ‚Weg mit dem PKK-Verbot‘ begaben sich Versammlungsteilnehmer in zwei geschlossenen Personengruppen mit jeweils ca. 35 Personen zum Leipziger Markt in Richtung der bevorstehenden Versammlung zum Thema ‚Freiheit für Öcalan‘. Eine Gruppierung lief über die Reichsstraße, die andere über die Nikolaistraße. Dabei wurden jeweils die erforderlichen Mindestabstände nicht beachtet. Trotz mehrfachen Ansprechens der Gruppierungen durch die Einsatzkräfte, mit der Aufforderung, Abstände zwischen den Personen zu wahren, verblieben die Gruppierungen in ihrer geschlossenen Form“, schildert sein Ministerium den Vorgang und übernimmt damit die Darstellung der Polizei.

„Auf Höhe des Steigenberger Hotels schlossen sich die beiden Gruppierungen zu einer Personengruppe zusammen. Die erforderlichen Mindestabstände wurden nicht beachtet. Wegen des Verstoßes gegen die Sächsische Corona-Schutzverordnung wurden 77 Personen auf Höhe des Steigenberger Hotels gegen 14:33 Uhr angehalten. Um 16:34 Uhr wurden die Maßnahmen zur Verfolgung der Verstöße gegen die Sächsische Corona-Schutzverordnung sowie eines festgestellten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vor Ort beendet und die Personen aus der polizeilichen Maßnahme entlassen.“

Die so gern von der sächsischen Polizei gemeldeten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) darf man auch in diesem Fall für Aufbauschung der Tatsachen nehmen, denn meist handelt es sich bei den aufgefundenen Mengen um Größenordnungen, die auch in Sachsen nicht strafbar sind. Wäre es anders, wäre zumindest dieser BtM-Fall übrig geblieben. Aber auch den musste die Polizei fallenlassen, wie Juliane Nagel jetzt nach erneuter Nachfrage erfuhr.

Alles nur eine Machtdemonstration?

Denn auf ihre Anfrage hin erfuhr die Abgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) nun, dass alle Verfahren eingestellt wurden (Drs 7/ 7828).

„Das Vorgehen der Polizei im Kontext des Versammlungsgeschehens war reine Schikane. Die ehemaligen Versammlungsteilnehmer/-innen bewegten sich außerordentlich verantwortungsvoll und beachteten konsequent die Hygieneregeln. Der Polizei ging es wohl vor allem darum, Daten zu sammeln und insbesondere junge Menschen einzuschüchtern. Doch dieses Kalkül ist nicht aufgegangen. Die Einstellungen sind überaus erfreulich“, kommentiert Nagel die neue Auskunft aus dem Innenministerium. Immerhin hatte sie 2020 die Demonstration selbst mit begleitet.

Sämtliche Verfahren gegen die Teilnehmer/-innen der Kundgebung am 29. November in Leipzig sind mittlerweile eingestellt worden. Die Polizei hatte nach der störungsfrei verlaufenen Versammlung insgesamt 77 Personen, darunter 14 Minderjährige, festgesetzt, durchsucht, zum Teil entkleidet und fotografiert.

Nach zwei Stunden war die Maßnahme beendet. Gegen alle Betroffenen wurden Verfahren wegen des Verstoßes gegen die Corona-Schutzverordnung eingeleitet. Und nun – sang- und klanglos – wieder eingestellt. Wobei völlig offen ist, was mit den gesammelten Daten geschehen ist.

Aber Nagel ärgert sich auch über das sichtbar gewordene zweierlei Maß, mit dem Sachsens Polizei Corona-Verstöße bei Demonstrationen in Sachsen ahndet. Denn erst eine Woche vor diesem Vorfall waren am 21. November mehr als 1.000-Corona-Leugner/-innen ohne Versammlungsanmeldung durch die Leipziger Innenstadt marschiert und hatten massenhaft gegen Hygieneauflagen verstoßen.

Die Polizei hatte diese zwar festgesetzt, aber auf Identitätsfeststellungen und Ordnungswidrigkeitenverfahren hat sie damals verzichtet. Das hat sich erst in diesem Herbst bei jüngeren Corona-Protesten spürbar geändert.

Juliane Nagel hatte der Polizei seinerzeit vorgeworfen, politisch zu agieren: duldsam nach rechts, repressiv nach links.

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