Die LVZ hat ein bisschen länger gebraucht, das Thema des geduldeten Falschparkens in Leipzig aufzugreifen. „Warum das Leipziger Ordnungsamt in manchen Straßen auf Knöllchen verzichtet“, titelte die autofahrerfreundliche Zeitung dieser Tage, nachdem die Stadt überraschenderweise einen Anstieg der eingenommenen Bußgelder um ein Drittel festgestellt hatte. Aber ein Ende der Duldungen bedeutet das eben noch nicht.

Wie auch Kurt Hinkefuß feststellen durfte, der im September eine entsprechende Anfrage an die Verwaltung gestellte hatte.

„In den letzten Monaten und Wochen wurde das Akzeptieren unrechtmäßig auf dem Gehweg parkender PKW durch das Ordnungsamt in verschiedenen Leipziger Straßen zunehmend zum Thema. (…) Dabei hat sich die Redeweise von Duldung von Gehwegparkenden durch das Ordnungsamt scheinbar etabliert.

Sowohl Mitarbeitende direkt auf der Straße erklärten mir dieses Nicht-Ahnden von Parkverstößen auf Gehwegen in der Vergangenheit als Duldung, als auch beschreibt die Stadtverwaltung selbst in der Kommunikation nach außen diesen Begriff und diese Praxis [so etwa im Eutritzscher Rundblick, Ausgabe Nr. 238 – 3/2022, Seite 11 http://www.tele-tommi.de/BVE/Archiv/ERB_06_2022.pdf]. Meines Wissens wird das Thema auch in einzelnen Stadtratsfraktionen mit diesem Begriff und als dieser Sachverhalt diskutiert.“

Das Phänomen ist in vielen Ortsteilen schon älter. Aber deshalb noch lange kein Gewohnheitsrecht, wie Hinkefuß feststellte:

„Hierbei muss festgehalten werden, dass es sich dabei um eine eigenwillige und unrechtmäßige Praxis durch das Ordnungsamt handeln würde. Einfach ausgedrückt: Das Ordnungsamt käme an diesen Stellen seinen Aufgaben nicht nach und würde meinem Laienverständnis nach gesetzeswidrig handeln. Oft verweist die Stadtverwaltung darauf, dass die Mitarbeitenden vor Ort nach ‚pflichtgemäßen Ermessen‘ handeln. Dies scheint ja aber nicht der Fall zu sein, wenn in etlichen Straßenzügen jahr(zehnte)lang weder Bußgelder verhängt noch Abschleppmaßnahmen durchgeführt werden. Das Nichthandeln ist hier offenbar die Regel.“

Aber doch nicht schriftlich!

Das Dementi aus dem Ordnungsamt war dann ein Musterbeispiel für ein Eingeständnis, das in der Einwohneranfrage so gar nicht verlangt war.

Kurt Hinkefuß hatte gefragt: „Gab es in den letzten Jahren Anweisungen vom Leitungspersonal innerhalb des zuständigen Ordnungsamtes an die Mitarbeitenden im Straßendienst solche Duldungen zu praktizieren, d. h. in bestimmten Straßenzügen im Stadtgebiet weder Bußgelder zu erheben noch PKWs abschleppen zu lassen, wo PKW auf dem Gehweg parken, obwohl dies rechtlich angezeigt wäre?“

Und das Ordnungsamt formulierte als Antwort: „Es gibt keine schriftlichen Anweisungen, wonach Verkehrsverstöße pauschal, sachgrundlos und ohne die erforderliche Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nicht zur Anzeige gebracht werden sollen.“

Deutlicher kann man kaum formulieren, dass es tatsächlich Anweisungen gibt, „wonach Verkehrsverstöße pauschal, sachgrundlos und ohne die erforderliche Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nicht zur Anzeige gebracht werden sollen.“

Nur halt nicht schriftlich. Denn natürlich wissen die leitenden Ordnungsamtsmitarbeiter/-innen, dass solche Anweisungen rechtswidrig sind. Da wäre es schon ziemlich riskant, diese zu verschriftlichen.

Nennen Sie es bitte nicht Duldung

Nur was passiert eigentlich, wenn die Mitarbeiter/-innen draußen auf der Straße von Bürgern angesprochen werden darauf, warum sie das Falschparken nicht ahnden und dann auf Weisungen verweisen, die hier das falsche Parken als zu dulden klassifizieren? Natürlich fragen die Bürger dann nach, wo diese Duldung eigentlich herkommt und wo sie schriftlich nachzulesen ist.

Und dann wurde das im Juni Thema in einer Dienstberatung.

Zu der Kurt Hinkefuß dann Genaueres wissen wollte: „Wurden konkret in der Dienstberatung am 28.06.2022 durch die in 1) erwähnten Personen oder durch anderes Leitungspersonal des Ordnungsamtes die Mitarbeitenden angewiesen, lediglich den Wortlaut ‚Duldung‘ von Gehwegparkenden nicht mehr zu verwenden oder diese Praxis der Duldung einzustellen?“

Die Antwort auf die Frage spricht ihrerseits wieder Bände: „Es gibt keine ‚Praxis der Duldung‘. Im Gegenteil wurde in der Dienstberatung vom 28.06.2022 noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung vor Ort immer der Bedienstete trifft. Konsequent dazu erging zusätzlich der Hinweis an die Teilnehmer, auf eine so weit exakte Formulierung innerhalb von Antworten gegenüber den Bürgern zu achten.“

Das klingt logisch, ist aber genau die alte Verhaltensweise: Die Leitung habe keinerlei Verantwortung, die Entscheidung treffe der Bedienstete vor Ort. Als wenn die Bediensteten des Ordnungsamtes quasi in Alleinverantwortung entscheiden dürften, ganze Straßenzüge regelrecht zu ignorieren.

Keine Antwort vom Bürgermeister

Logisch, dass dann auch die nächste Frage von Kurt Hinkefuß eine verbale Pirouette zur Folge hatte.

Gefragt hatte er: „Ist dem zuständigen Bürgermeister Rosenthal die Praxis der Duldung von Gehwegparkenden innerhalb des ihm unterstellten Ordnungsamtes bekannt und welche (auch personellen) Konsequenzen zieht er hieraus?“

Statt einer Antwort bekam Hinkefuß aber etwas völlig anderes: „Die vorstehenden Antworten widerlegen den Ausgangspunkt der Fragestellung an den zuständigen Bürgermeister und sind insoweit gegenstandslos. Eine Stellungnahme erübrigt sich.“

Eben das tut sie aber nicht, denn an der Stelle hätte der zuständige Bürgermeister selbst Stellung nehmen müssen. Und natürlich auch Auskunft geben müssen, ob es nun auch personelle Konsequenzen gibt. Und so wird auch keine und keiner der Verantwortlichen aus dem Ordnungsamt im Stadtrat unter Eid aussagen müssen. Das Versteckspiel geht munter weiter.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 6 Kommentare

Ha, @EarlGrey, so ein Spaziergang wird wunderbar.
Die in Marienbrunn und anderen Vierteln vorhandenen Garagen sind größtenteils für Kraftfahrzeuge dimensioniert, die zu Zeiten der Entstehung der jeweiligen Viertel Standard waren. Heute sind die Autos wesentlich größer und breiter. Das soll keine Entschuldigung sein, denn als HausbesitzerIn weiß ich um die Dimensionen meiner Garage und könnte ein entsprechendes Produkt wählen, das auch in diese hinein passt. Aber ach, vielleicht ist mir das dann nicht repräsentativ genug? Also stelle ich mein Statussymbol doch einfach auf die Straße.
Mal abgesehen davon, dass laut Garagenverordnung eine Garage nicht zweckentfremdet genutzt werden darf.

@Thomas_2
Stellplätze sind nicht überall in diesem großen Maße da, das muss man schon einräumen.
Wenngleich die Zustände, welche Sie beschreiben, teils korrekt sind.

Aber Sie treffen einen sehr richtigen wunden Punkt.
Wir haben uns als Gesellschaft Gesetze und Regeln geschaffen, um gut und fair miteinander zusammenzuleben.
Wenn nun aber diese missachtet werden, und sogar die dafür zuständigen Organe machen, was sie wollen – wo kommen wir da hin?
Sicher kann man den einen oder anderen mal darauf hinweisen, wenn er irgendetwas unpassendes tut. Also im guten Miteinander klären, was besser sein kann.

Aber hier geht es ja nicht um Einzelfälle, sondern um täglich massenhafte “Vergehen”.
Sollen die Mieter einer Durchgangsstraße jeden Tag sämtliche PKW-Halter aus den Wohnungen klingeln, weil diese falsch parken und der Rettungsdienst dann nicht mehr passieren kann?
Genau dafür gibt es ja Regeln!

Hier hat sich grobe Missachtung, Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Vollkasko-Denken und teils Naivität breitgemacht.
Daran krankt unsere Gesellschaft und wird eines Tages sämtliche Vorteile und Vorsprünge, welche Kluge und Altvordere verdient und vorgedacht haben, verspielen.

Ich bin da hin- und hergerissen.
Einerseits: Wenn es keine Durchgangsstraße ist, dann ist es eigentlich egal. Wenn dann keine Rettungsdienste durchkommen, schädigen sich die Anwohner nur selbst.
Andererseits: Im Prinzip hat doch jedes Haus einen Stellplatz oder Garage, die Bewohner sind nur zu faul, die Autos entsprechend zu parken bzw. wird die Garage als Abstellraum missbraucht. Das passiert auch gern in den neuen Stadthäuser: Am Garagentor “Ausfahrt freihalten”, damit das eigene Auto davor auf der Straße parken kann. In der Garage ist dann gar kein Platz fürs Auto.

Hier könnte man eine Lanze für die Straßenausbaugebühren brechen, wenn diese nicht schon ad acta gelegt wären…
Fußwege sind garantiert nur für entsprechende Lasten ausgelegt – und was tun die Hausbesitzer: Sie zerrammeln mit ihren Autos auch noch diese.

Wenn ich das Foto sehe, sehe ich das wie EarlGrey:
Kein Platz für Autos, dann kein Auto.
Oder Garage nutzen.
Oder woanders entfernt parken.

Immer wieder bemüht: die Stadt muss gefälligst Platz für das private Auto zur Verfügung stellen.
Wie wärs denn damit: Vorgärten auf jeder Seite 1m kürzen und Straße verbreitern?

Und noch 2 Zahlen:
Seit 2001 (216.275) hat bis Ende 2021 (271.218) die Anzahl an allen Kraftfahrzeugen in Leipzig um 55.000 zugenommen! In Worten: fünfundfünfzigtausend.
Die KfZ-Besitzer verschärf(t)en also selber den Zustand, den sie jetzt bemängeln.

Zum Thema:
Einerseits wundert man sich, dass geltende Regeln und Gesetze nicht eingehalten werden.
Andererseits sorgt gerade das Leipziger Ordnungsamt nachweislich mit seinem Verhalten dafür, dass sie nicht eingehalten werden; indem Gesetze also Auslegungssache der Bediensteten vor Ort wären.
Wenn das Vor-Ort-Ermessen also bedeutet, dass Fußwege beschädigt und Rettungswege verstellt werden, müsste man das Ordnungsamt auch im Nachhinein dafür zur Verantwortung ziehen.
Einen Nachweis, was das Ordnungsamt wann und wo für Leistungen erbracht hat, wird es ja wohl geben, oder?

Na, @cx, ich hoffe doch sehr, dass die Bediensteten einer Verwaltung nicht nach “persönlicher individueller Abwägung” arbeiten, sondern sich an das geltende Recht halten.
Und mit: ” In der Regel ist in solchen Straßen weit und breit keine andere Abstellmöglichkeit für Autos”, sollten die Siedlungsbewohnenden halt ihre Konsequenzen ziehen – Gentrifizierung mal anders rum.
Aber wir können uns mal einen Termin in Marienbrunn machen und schauen dann in die auf den Grundstücken gelegenen Gargagen, was da alles so drin steht.

Das Foto bringt das Problem doch auf den Punkt.

Solange Rettungs- und Entsorgungsfahrzeuge noch durchkommen, ist es so zumindest erträglich – Fusgänger laufen eben auf der Straße, und Gegenstände (Mülltonnne, Autos, E-Lastenräder usw) stehen auf dem “Gehweg”.

Welche Alternative gäbe es denn? In der Regel ist in solchen Straßen weit und breit keine andere Abstellmöglichkeit für Autos (z.B. Garagenkolonie oder Quartiersparkplatz) – dazu sind diese Siedlungen zu eng (Sternsiedlung Möckern, Marienbrunn, usw.).

Entweder werden die Vorgärten als Abstellplatz gepflastert – auch nicht schön.

Oder die Straße wird “verkehrsberuhigt” oder “Spielstraße”, und wird von links nach rechts durchgepflastert und einige Stellpülätze werden markiert – wodurch der Strasßenquerschnitt seinen Charakter vollends verliert und keine zusätzliche Aufenthaltsqualität veschaffen wird, nur Kosten (habe mal an so einer Straße in Kassel gewohnt).

Ob da nun Hilfspolizist*innen eine mündliche Anweisung erhalten haben oder nicht, wen interessiert das? Die sind doch auch keine Automaten, die alles aufschreiben was ihnen vor das Handy kommt.
Die entscheiden immer nach persönlicher individueller Abwägung – z.B. wenn einsam in einem LSG ein Auto am Straßenrand steht, gibt es IMMER ein Ticket, weil das regt ja nur einen einzelnen Autobesitzer auf ;)…stehen aber viele Autos an der Brucknerallee im LSG, werden die nicht aufgeschrieben, weil es könnten sich ja viele aufregen.

Schreiben Sie einen Kommentar