Sie hat tatsächlich ein dickes "Wow!" drüber geschrieben über ihren Bericht vom Seenlandkongress, der am Donnerstag, 14. Februar, wieder parallel zur Wassersportmesse "beach & boat" stattfand. Julia Rauschenbach, die Pressesprecherin der "beach & boat": "Seenland-Kongress: Wow-Effekte für die neuen Reviere". Hinter dem "Wow!" versteckt sich ein ungeklärtes Problem. Die Leute, die gern in den sächsischen Seenländern mitmischen wollen, zerren in verschiedene Richtungen.

Das liegt auch daran, dass sich die Akteure nicht wirklich einig sind. Wohin soll die Reise gehen? Und wohin kann sie gehen? Man arbeitet im Leipziger Neuseenland zwar mittlerweile an einem Leitbild, das Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit verankern soll, wenn es dann aber um die grundsätzlichen Beschlüsse geht, weicht man aus, tut gern so, als sei alles offen und miteinander vereinbar.

“Mit attraktiven Alleinstellungsmerkmalen möchten Leipziger Neuseenland und Lausitzer Seenland im Wettbewerb der Tourismusgebiete punkten. Wegweisende Investitionsvorhaben und Projektideen standen deshalb im Mittelpunkt des 5. Seenland-Kongresses am 14. Februar 2013 auf dem Leipziger Messegelände. Die rund 130 Teilnehmer der Fachveranstaltung im Rahmen der Wassersportmesse beach & boat informierten sich über aktuelle Entwicklungsschwerpunkte genauso wie über Zukunftsvisionen. Dabei reichten die präsentierten Konzepte vom Kanusport als Vorreiter eines sanften Tourismus bis zum Schiffshebewerk für den Elster-Saale-Kanal als internationales Architektur-Highlight”, fasst Julia Rauschenbach das Unvereinbare zusammen.

Warum es unvereinbar ist, das sprach Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), an: “Kanutouristen sind eine immer wichtiger werdende Zielgruppe im deutschen Tourismussegment. Wir denken verstärkt über die ökologischen Folgen unserer Freizeitaktivitäten nach, wählen bewusster aus. Zudem gewinnen ein aktives Leben und Fitness an Bedeutung. Kanusportler sind Vorreiter eines ökologisch sensiblen, aktiven Tourismus.”

Außerdem wachse durch den Klimawandel und die steigenden Preise für Sprit und Flugreisen die Nachfrage nach den Tourismusangeboten “vor der Haustür”. Gerade Kanufahren sei zudem eine relativ preiswerte Möglichkeit der Freizeitgestaltung: “Bereits für 2.000 Euro ist ein gutes Familienkanu plus Ausrüstung zu haben.”

“Kanusport ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor”, so Thomas Konietzko. Eine Million Menschen in Deutschland seien regelmäßig und bis zu drei Millionen gelegentlich paddeln. Zwischen 57 und 74 Euro gebe ein Wassertourist pro Tag in seiner Reiseregion aus. Durchschnittlich 12,7 Millionen Personentage seien die deutschen Freizeit-Kanusportler jährlich auf dem Wasser unterwegs. “Am Bodensee zum Beispiel werden fast 3.700 Vollzeitarbeitsplätze von Wassersport und Wassertourismus generiert. In Mecklenburg-Vorpommern sind es rund 7.000.”
Doch die Konkurrenz der Wassersportgebiete sei hart. In Mitteldeutschland habe der Verdrängungswettbewerb zwischen den neu entstehenden Revieren bereits begonnen. “Wer mithalten will, muss mit Qualität und Preis-Leistungsverhältnis punkten, denn diese rangieren bei den Kanutouristen ganz oben auf der Wunschliste.” Künftig stärker gefragt seien zielgruppenspezifische Angebote für Familien oder für die komfortbewusste Generation 50+ sowie Kombiangebote mit zusätzlichen Kultur- und Freizeitofferten. “Nicht zuletzt steigert der ökologisch sensible Ausbau einer Region deren Attraktivität für Kanuten und Wassertouristen”, unterstrich der DKV-Präsident.

Das waren gebündelt alle Stichworte, die darüber entscheiden, ob ein Projekt wie das Neuseenland Erfolg hat und auch als touristischer Magnet funktioniert. Und auch darüber, ob die eingesetzten Steuermittel tatsächlich nachhaltig und sinnvoll eingesetzt sind.

Und eigentlich ohne Bruch präsentierte sich auf diesem Kongress das komplette Gegenteil – der alte Glaube daran, man könne mit großen Investitionen zusätzliche Touristenströme und Einnahmen generieren.

Wie angekündigt stellte Michael Witfer, 1. Vorsitzender des Saale-Elster-Kanal Fördervereins, auf dem Seenland-Kongress den “grandiosen Plan” eines Schiffshebewerks für den Elster-Saale-Kanal vor.

“Ein Schiffshebewerk als “architektonischer Leuchtturm” bei Anbindung des Elster-Saale-Kanals an die Saale könne international Aufsehen erregen”, erzählte er dem lauschenden Publikum.

Mit Kosten von knapp 38 Millionen Euro zählte es zu den zentralen Visionen der ‘Potenzialanalyse Elster-Saale-Kanal’, die bis heute nicht öffentlich zugänglich ist. Die Analyse, welche die Gesamtinvestition für die Umsetzung des Kanal-Projekts mit rund 106 Millionen Euro bezifferte, wurde im vergangenen Jahr auf dem Seenland-Kongress exklusiv vorgestellt.

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Mit Hilfe des aufsehenerregenden Bauwerks soll der Höhenunterschied von 22 Metern überwunden werden, der bei Anbindung des Leipziger Neuseenlands über den Elster-Saale-Kanal an die Saale besteht. Anhand weltweiter Beispiele wurden Machbarkeit und Potenzial einer solchen aufsehenerregenden Konstruktion verdeutlicht.

Nein. Wurden sie nicht. Auch wenn die “Potenzialanalyse” 93.000 Euro gekostet hat. Schon aus den 2012 vorgelegten Zahlen ergaben sich eine ganze Reihe von Fragezeichen zur Wirtschaftlichkeit dieses Projekts.

So würden sich rund 8,8 Millionen Euro Bruttoumsätze laut Potenzialanalyse pro Jahr zum Beispiel aus “regionalen Neuverkehren” ergeben. Die Studie rechnet mit 3.762 neu verkehrenden Motorbooten aus der Region, die dann zirka 188.000 Nutzungen/Bootstouren ergäben.

Und dass es die Leute, die hier nun das zweite Mal ihr Schiffshebewerk für 38 Millionen Euro anpreisen, ernst meinen, zeigten schon mal die beiden ersten Entwürfe für dieses “grandiose Bauwerk”.

Studenten der Fakultät Ingenieurbauwesen der Technischen Universität Dresden, Institut für Stahl- und Holzbau, entwickelten seit Herbst vergangenen Jahres zwei Entwürfe für das Schiffshebewerk. Diese Konzeptionen von Alexander Fuchs und André Freitag wurden auf dem Seenland-Kongress vorgestellt – ebenso wie ein dritter Modellvorschlag vom Saale-Elster-Kanal Förderverein. Zur Zeit seien in Europa und den USA 22 Schiffshebewerke in Betrieb, informierte Lothar Tölle von der Deutschen Wasserhistorischen Gesellschaft auf dem Seenland-Kongress. Allein das Schiffshebewerk im brandenburgischen Niederfinow ziehe 200.000 zahlende Besucher pro Jahr an. Bis 2030, so schätzte Tölle, könne das mitteldeutsche Schiffshebewerk Realität sein.

Das hat mit einer nachhaltigen und umweltschonenden Entwicklung des Wassertourismus im Neuseenland nichts mehr zu tun. Es gehört eher ins Reich der Spekulation. Auch aus dem oben genannten Grund: Die neu entstehenden Gewässerlandschaften profilieren sich jetzt. Jetzt entscheidet sich, ob sie sich als Marke bei den Wassertouristen etablieren können und vor allem – mit welchem Profil. Nicht in 20 Jahren.

Und jeder neue Baustein passt nur, wenn er sich in ein funktionierendes Konzept einreiht.

Aber obwohl man den Bewohnern des Neuseenlandes gern den naturnahen und nachhaltigen Tourismus an den Seen offeriert, zeigen genau solche Vorträge, dass man sich auf dieses grundsätzliche Profil nicht festlegen will. Mit diesem Anpreisen immer neuer unbezahlbarer Luftschlösser gewinnen die Akteure, die die Entwicklung im Neuseenland steuern, nicht wirklich das Vertrauen der Öffentlichkeit. Das der Investoren übrigens auch nicht. Denn ein Gutachten zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit der vorgelegten “Potenzialanalyse” steht noch aus. Das hat die Steuerungsgruppe Neuseenland erst einmal nur geplant.

Die “beach & boat” bietet noch bis zum 17. Februar zahlreiche Angebote rund um Motor- und Segelboote, Kanufahren, Tauchen oder Surfen. Rund 140 Aussteller bilden in den drei Angebotsbereichen classic, nature und fun die ganze Bandbreite der Wassererlebniswelt ab.

www.beach-and-boat.de

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