Nicht nur im direkten Leipziger Umland machen Bürgermeister ihre eigene Politik und stimmen sich nicht mit Land, Landkreis oder Nachbarn ab. Manchmal stellen sie sich dann auch wie Davids dar, die gegen Goliaths kämpfen, auch wenn ihre Argumente nicht stimmen. So wie bei Matthias Berger, Oberbürgermeister von Grimma, der seit Jahren für den Abriss der denkmalgeschützten Papiermühle Golzern kämpft. Wegen Hochwassergefahr.

Einig ist er sich darin mit der Landestalsperrenverwaltung (LTV), die am liebsten alles aus Flussnähe räumen würde, was irgendwie ein Hindernis darstellt. Wenn auch nur hypothetisch. In Grimma setzt sie auf hohe Sperrwände, die im Hochwasserfall die Stadt gegen die Fluten schützen sollen. 2013, zur letzten Flut, waren die Sperrwände noch nicht fertig und Grimma wurde nach 2002 zum zweiten Mal überschwemmt. Die Frage, ob sie sich bewährt hätten, ist völlig offen. In Meißen wurden im Juni 2013 die Sperrwände überflutet. Denn sie wirken zwar technisch solide – aber sie unterstützen das Prinzip der in engen Flussbetten aufgestauten Flüsse. Wenn Hochwasser durch engere Kanäle müssen, werden sie nicht nur schneller, sondern der Flutpegel steigt zusätzlich.

Das können die teuren und viel gepriesenen Sperrwände nicht ändern. Das können nur zusätzliche Freiräume für die Flüsse oberhalb der Engpässe entspannen. Und gerade die Papierfabrik Golzern ist ein Beispiel dafür, dass hier die einfachen Mittel vorhanden sind, die Dramatik für Grimma etwas zu entspannen.

Nur argumentiert die Grimmaer Stadtverwaltung nicht so und erhöht von Monat zu Monat den Druck, die denkmalgeschützte Fabrik an der Mulde abzureißen.

Doch das Landratsamt führt sich an die Vorgaben der Denkmalschutzbehörde gebunden, die gar nicht einsieht, dass die technisch engstirnigen Vorstellungen der Landestalsperrenverwaltung hier einfach wie ein Rasierer angewendet werden. Das “Medienportal Grimma” hat im September 2014 mal nachgefragt, warum der Landkreis dem Abrissbegehren des Grimmaer OBM nicht nachgibt.

Denkmalschutz ist mit LTV-PLänen nicht vereinbar

Die Antwort des Landratsamtes war deutlich: “Der Landkreis ist untere Denkmalbehörde. Die Entscheidung zum Abriss der Papierfabrik Golzern muss der Landkreis im Einvernehmen mit dem Landesamt für Denkmalschutz treffen. Nach der Einschätzung des Landesamtes ist der Abriss wegen der Bedeutung dieses Industriedenkmals nicht genehmigungsfähig. Der Landkreis müsste nach geltendem Recht den Abriss derzeit ablehnen. Um eine Lösung zu finden wurde abgestimmt, dass die beteiligten Ministerien (Inneres und Umwelt) eine gesetzliche Regelung initiieren, die es erlaubt bei einer sog. ‘Nichtverteidigbarkeit’ eines Denkmals bei Hochwasser einen Abriss zu ermöglichen. In dieser Situation macht es keinen Sinn einen ablehnenden Bescheid zu erlassen. Daher wurde die Entscheidung zum Abriss bis zum 31.10.2014 ausgesetzt. Diese Hintergründe sind der Stadt Grimma auch bekannt.”

Was natürlich wieder die übliche Masche ist: Statt die Gegebenheiten zu akzeptieren und auch mit den Befürwortern einer Rettung der Papierfabrik eine Lösung zu finden, wünscht man sich ein “Sondergesetz Golzern”, um die Mühle trotzdem einfach abreißen zu können.

Das ist dann reine Machtpolitik.

Die Bürgerinitiative gegen den Abriss der Papierfabrik in Grimma Golzern fasst sich bei so viel Ignoranz nur noch an den Kopf. Denn Grimma würde durch den Abriss ein kultur-historisches Industriedenkmal verlieren.

Wie die Initiativsprecher Martin Koenitz und Uwe Bucher auf dem Schlossgelände Döben mitteilten, wird nicht nur das Gebäude vom Landesdenkmalamt als besonders wertvoll angesehen. Vielmehr sei es auch die hohe soziale Verantwortung, die der Besitzer Max Schroeder bereits Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber seinen Angestellten zeigte. Neben der schon bestehenden Krankenversicherung, führte er die Familienkrankenversicherung für Angehörige und eine Pensionskasse für Mitarbeiter und deren Angehörige ein. Ein absolutes Novum in einer Zeit, als die Arbeiter kaum eigene Rechte hatten. Zudem konnten Mitarbeiter in werkseigenen Wohnungen preiswert leben, und sich über einen firmeneigenen Konsum günstig mit Lebensmitteln versorgen. Schroeder war einer der bedeutenden Vorreiter der sozialen Marktwirtschaft, die die Grundlagen für unser heutiges Sozialnetz schufen.

Mit der Papiermühle wurde Grimma erst reich

“Grimma konnte sich nur durch das Geld aus der Papierfabrik so entwickeln, wie es heute dasteht”, stellen Martin Koenitz und Uwe Bucher fest. “Die Gattersburg und der Wanderweg zum Kloster Nimbschen sind nur zwei der Sehenswürdigkeiten, die auf Schroeders Engagement für Grimma  zurückgehen.  Auch die Hochdruckwasserleitung wurde von Schroeder maßgeblich mitfinanziert und so erst ermöglicht. Zudem sei die Papierfabrik das letzte zusammenhängende Industrieensemble, das die frühindustrielle Entwicklung zeigt. Sie verdeutlicht zudem die Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Sachsens. Beginnend bei einer Getreidemühle Mitte des 12. Jahrhunderts bis hin zur weltweit agierenden Maschinen und Anlagenbau Gesellschaft (MAG). Die Arbeitersiedlung in Grimma Kamerun wird heute ebenso noch genutzt, wie die Lehrlingsunterkünfte in Grimma Bahren, die heute als Asylunterkunft zu trauriger Berühmtheit gelangt sind.”

Schon beim Bau war der Hochwasserschutz maßgeblich

Uwe Bucher führt weiter aus, dass ein Abriss keine Pluspunkte bei der Senkung des Hochwasserpegels in Grimma und Dorna bringen würde, da die Fabrik als Wasserbauwerk konzipiert wurde. Schon bei der Planung und beim Bau war der Hochwasserschutz maßgeblich. So wurden Flutungsräume, unterirdische Wasserumleitungen angelegt. Der historische Mühlgraben war ein wesentlicher Bestandteil bei den Durchflussberechnungen der Mulde und diente bis zu seiner Verfüllung in den 1950er Jahren als natürlicher Muldeabfluss.

Die Experten betonen, dass der Hochwasserpegel in Grimma und Dorna um mehr als einen Meter gesenkt wird, wenn die Wehranlage stellbar und der Mühlgraben wieder in den Urzustand versetzt werden.

Bucher: “Ein Abriss senkt den Hochwasserpegel in Grimma um null Zentimeter und in Dorna lediglich um 6 Zentimeter.”

Auch in der Wertigkeitsskala des sächsischen Hochwasserschutzplanes hat ein Abriss des Gebäudes einen eher geringen Stellenwert. Von den insgesamt 150 gelisteten Hochwasserschutzmaßnahmen erlangt die Papierfabrik gerade mal Platz 140, so Bucher.

Bedauerlich ist nach Buchers Ansicht auch, dass die Stadt die Demontage der historischen Maschinen und Einrichtungen schon begonnen haben soll, ohne Alternativen zu einer weiteren Nutzung in Erwägung zu ziehen. Einen Investor gibt es bereits.

Und auch junge Forscher aus Leipzig beschäftigen sich mit dem Thema. Mit Strömungen und Wassermodellierungen kennen sie sich aus. Was in den Darstellungen der LTV und regionaler Politiker immer ganz simpel aussieht, ist tatsächlich hochkomplex.

Marius Zwingart verteidigt seine Masterthesis zur Papiermühle Golzern. Foto: Detlef Rohde
Marius Zwingart verteidigt seine Masterthesis zur Papiermühle Golzern. Foto: Detlef Rohde

Es dürfte Wasser auf die Mühlen der Initiative zur Erhaltung der Papierfabrik in Golzern sein: In der vergangenen Woche verteidigte der Architekturstudent Marius Zwigart vor den Professoren der HTWK Leipzig seine Masterthesis mit großem Erfolg. Zwigart sieht in dem Industrie- und kulturhistorischem Bauwerk eine Chance, die Geschichte der Frühindustrialisierung Sachsens und Deutschlands einzubinden und damit zu erhalten.

Der Mühlgraben müsste wieder geöffnet werden

In seiner These widerlegt Zwigart die Behauptung, dass ein Abriss der Papierfabrik in Golzern auch nur eine annähernde Entlastung eines möglichen Hochwasserpegels für Grimma und Dorna bringen würde. Mit Fachleuten der Uni Leipzig gelingt ihm der Nachweis, dass eine Öffnung des Wehrs und des in den 1950er Jahren mit Braunkohleasche verfüllten Mühlgrabens, den Hochwasserpegel in Golzern um wesentlich mehr als einen Meter senken würde.

Damit unterstützt er die Vermutung der Initiativvertreter, dass die von Oberbürgermeister Matthias Berger zitierten Berechnungen aus Dresden doch eher ins Reich der Märchen und Fabeln gehören.

Zwigart hat als optimale Nachnutzung der historischen Bausubstanz die Umwidmung zu einem Messe- und Tagungshotel als die optimalste von vielen anderen Lösungen vorgeschlagen. Dieses biete sich nach Ansicht des frischgebackenen „Masters of Arts (architecture)” wegen seiner Nähe zu den Städten Berlin, Leipzig und Dresden, sowie seiner optimalen Verkehrsanbindungen an.

Das mögliche Hotel müsste in den flutsicheren Etagen errichtet werden, während das Erdgeschoss – so wie bei seiner Erbauung der Papiermühle auch geplant – flutdurchlässig bleibt und für kulturelle Veranstaltungen nur temporär nutzbar gemacht wird. Auch das Außenareal ließe sich vielfältig nutzen.

Marius Zwigart bekam starken Rückenwind von seinen Prüfern, die seine Arbeit als eine gelungene Symbiose von Geschichtsbewusstsein und einer zukunftsorientierten wirtschaftlichen Nachnutzung bezeichneten. Innenarchitektonisch würde Marius Zwigart einen Bogen zwischen Vergangenheit und Moderne spannen, der die Thematiken Papier und Raumgestaltung aus eben diesen Materialien aufgreift.

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Keine Kommentare bisher

Hat sich die LTV eigentlich vorgenommen, als Natur- (Leipziger Auenwald) und (Industrie-)Kulturzerstörer (Papiermühle Golzern) in die Geschichte einzugehen!?
Oder ist bei denen der Name Programm: “Alle Flusstäler absperren”!?

Genndsch mich offrechn!

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