Oha, sagte sich Wolfgang Stoiber, Vorsitzender des NuKla e.V., als er das in sächsischen Zeitungen las: "Klage zur Waldschlösschenbrücke: Gericht muss EU-Naturschutz beachten", berichtete die "Freie Presse" zum Beispiel am 14. Januar. An diesem Tag hatte der Gerichtshof der EU seine Entscheidung zu einem Rechtsstreit aus Sachsen veröffentlicht: zur Waldschlösschenbrücke in Dresden.

Die wurde ja bekanntlich nicht nur im Ensemble des UNESCO-Weltkulturerbes gebaut, was dem Dresdner Elbtal nach Fertigstellung der Brücke 2013 den Weltkulturerbe-Status kostete, sie wurde auch in einen nach europäischem Recht definierten Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH) gebaut. Solche Naturschutzgebiete nach europäischem Recht wurden 2004 in ganz Sachsen eingerichtet. Im Grunde schon am 12. Mai 2003 mit Erlass des Sächsischen Umweltministeriums. Endgültig dann im Dezember 2004 mit der Aufnahme in die Liste von Gebieten mit gemeinschaftlicher Bedeutung.

Das Besondere am Fall Waldschlösschenbrücke: Die Genehmigung für den Planfeststellungsbeschluss durch das Regierungspräsidium Dresden lag mit dem 5. Februar 2004 genau zwischen den beiden Terminen. Sie berief sich auf eine Flora-Fauna-Habitat-Verträglichkeitsuntersuchung von Januar 2003, die eine erhebliche Beeinträchtigung des FFH-Gebietes “Elbtal zwischen Schöna und Mühlberg” verneinte. Die Grüne Liga ging damals in Widerspruch. Und wahrscheinlich zu Recht, wie das Bundesverwaltungsgericht am 6. März 2014 feststellte, nachdem die Klage der Grünen Liga bei sächsischen Gerichten abgeschmettert worden war.

“Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts (also dem Bundesverwaltungsgericht. d. Red.) genügte das Gutachten diesen Anforderungen jedoch nicht, sondern stellte nur eine Gefährdungsvorabschätzung dar”, kommentiert der EU-Gerichtshof diesen Fakt. Für das Bundesverwaltungsgericht war eigentlich die Frage nur: Hätten die sächsischen Gerichte das Vorgehen der Behörden so behandeln müssen, als wäre das FFH-Gebiet schon in die Liste von Gebieten mit gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen worden oder galt so eine Art Übergangszeitraum?

Und genau das verneint der europäische Gerichtshof jetzt: Auch wenn das FFH-Gebiet noch nicht in die Liste aufgenommen war, hätten trotzdem die strengen Schutzrichtlinien für europäische “Natura 2000”-Gebiete angewandt werden müssen. Heißt im Klartext: Das Dresdner Verwaltungsgericht hätte die Klage der Grünen Liga annehmen müssen. Das Planungsverfahren für die Brücke hätte gestoppt werden müssen und es hätte eine gründliche Verträglichkeitsuntersuchung stattfinden müssen, ob der Brückenneubau im Schutzgebiet erhebliche Störungen verursacht oder nicht.

Das ist nicht passiert. Die Brücke wurde in gewohnt kaltschnäuziger sächsischer Art gebaut. Die Folgen, die diese Kaltschnäuzigkeit haben könnte, hatte die Generalstaatsanwältin E. Sharpston in Luxemburg schon einmal angedeutet: Ein Abriss der Brücke liegt zumindest im Rahmen der Erwägungen, nämlich dann, wenn sich bei der Verträglichkeitsuntersuchung herausstellen sollte, dass der Bau schon zu erheblichen Beeinträchtigungen im FFH-Gebiet geführt hat und der Weiterbetrieb weitere beträchtliche Störungen verursacht.

So weit muss es nicht kommen, denn das Gericht gibt bei solchen schon geschehenen Verstößen durchaus Spielräume – zum Beispiel durch Ausgleichsmaßnahmen, die die massiven Einriffe in das FFH-Gebiet auch wirklich kompensieren.

“Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 14. Januar diesen Jahres bezogen auf den Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden hat die Grüne Liga gerade ein phänomenales Urteil erhalten, das im Bereich des Naturschutzes im Zusammenhang mit Baumaßnahmen Geschichte schreiben wird”, schätzt Wolfgang Stoiber ein. In der Materie kennt er sich aus, denn das Gebiet, um dessen Erhalt der NuKla e.V. kämpft, ist ja ebenfalls ein seit 2004 ausgewiesenes europäisches Schutzgebiet: das Leipziger Auensystem. Und es ist nicht nur der Floßgraben, der hier nach Ausweisung des Schutzgebietes ab 2005 ausgebaut wurde und für dessen Fall von den Umweltverbänden kritisiert wird, dass keine nachvollziehbare Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgte.

Dasselbe gilt auch für die Rolle des Flughafens und den Bau der Start- und Landebahn Süd und die unangekündigte Einführung einer sogenannten “kurzen Südabkurvung”. Die beeinträchtigt nicht nur Schlaf und Gesundheit der Bewohner im überflogenen Gebiet, ohne dass sie im Planfeststellungsverfahren zur Startbahn Süd je ein Recht auf Mitsprache hatten, die beeinträchtigt auch das überflogene SPA-Gebiet Leipziger Auenwald. Und weil hier ein europäisches Schutzgebiet überflogen wird, stellt sich auf einmal die Frage: Warum war das im Planfeststellungsverfahren nicht erwähnt? Sollten hier die Einspruchsrechte der anerkannten Naturschutzvereine einfach ausgehebelt werden?

Die Grüne Liga ist also auch mit diesem Thema vor Gericht gezogen, wurde genauso wie im Fall Waldschlösschenbrücke von sächsischen Verwaltungsgerichte einfach abgewiesen, erhielt aber am Ende vorm Bundesverwaltungsgericht Recht: Die kurze Südabkurvung darf gerichtlich geklärt werden.

Wobei natürlich offen ist, ob die sächsischen Verwaltungsgerichte nicht wieder so reagieren, wie im Fall der Waldschlösschenbrücke. Wobei mit der Entscheidung des europäischen Gerichtshofes jetzt ein deutlicher Hinweis vorliegt, dass sächsische Behörden die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht einfach dadurch aushebeln können, dass sie einfach Verfahren nach ihrem Gusto wählen und das Klagerecht der Umweltverbände aushebeln.

Während eine Waldschlösschenbrücke wohl nicht einfach wieder abgerissen werden wird, ist es mit den ganzen vom Flughafen Leipzig / Halle praktizierten Südabkurvungen so, dass sie durchaus vom Gericht untersagt werden können. Denn sie stellen eindeutig eine massive Störung im Schutzgebiet dar.

Dass es für Menschen keine vergleichbaren Schutzrechte gibt, fällt dabei natürlich auf. Aber die Herstellung der Ruhe überm Auenwald wäre ja mal ein Anfang. Denn dort gilt nun einmal, “dass eine Tätigkeit nur dann im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie steht, wenn gewährleistet ist, dass sie keine Störung verursacht, die die Ziele dieser Richtlinie, insbesondere die mit ihr verfolgten Erhaltungsziele, erheblich beeinträchtigen kann.”

Und für die behördliche Untersuchung gilt, dass sie sich nicht einfach nur die positiven Effekte einer Untersuchung herauspicken darf, sondern alle möglichen Störungen im Schutzgebiet untersuchen muss. Oder wie es der europäische Gerichtshof formuliert: “Die Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie darf nicht lückenhaft sein und muss vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der in dem betreffenden Schutzgebiet geplanten Arbeiten auszuräumen.”

Und das gilt auch für den Floßgraben oder die jetzt anliegenden Pläne zur Pleiße.

Die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes.

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