Wunderbare wendige Politiker waren am Dienstag, 1. November, wieder in LVZ und DNN anzutreffen: ein Innenminister, der jahrelang behauptete, die Polizei müsse verschlankt werden, und der nun das Gegenteil für richtig hält. Und ein CDU-Generalsekretär, dem die Kehrtwende gar nicht schnell genug gehen kann. Denn beide haben mittlerweile mitgekriegt, dass man 1.000 zusätzliche Polizisten nicht einfach mal so aus dem Hut zaubert.

Im Interview mit der LVZ hatte Ulbig nun erstaunlicherweise festgestellt, dass er gar nicht bis 2026 Zeit hat, die Polizei um mindestens 1.000 Beamte aufzustocken. Wobei das nur eine vorsichtige Schätzung ist. Eine detaillierte Personalplanung liegt auch für die Polizei noch nicht vor. Und dann stellte CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer etwas Verblüffendes fest: „Wir können den Menschen nicht sagen, dass es tausend Polizisten mehr geben wird, das Ganze dann aber zehn Jahre dauert. Wir brauchen die zusätzlichen Stellen viel schneller und müssen deshalb die Ausbildungskapazitäten vergrößern.“

Ausbildungskapazitäten? Hat sich nicht gerade der Innenminister seit Jahren gewehrt, den Einstellungskorridor für Polizisten deutlich zu erhöhen. Auf 500, 600 – die Grünen fordern jetzt sogar 800 Neueinstellungen jährlich im Angesicht der Zahlen, die nun so langsam wohl auch den Innenminister in Verlegenheit bringen.

Aber er will das Loch lieber mit Wachpolizisten stopfen. 50 bis 100 pro Jahr, verkürzte Ausbildungszeit, schnelle Übernahme in den Streifendienst.

Das klappt so nie und nimmer, konstatiert Enrico Stange, Sprecher für Innenpolitik der Linksfraktion: „Verantwortung und Larmoyanz passen nicht zusammen. Das Attribut des ‚Prügelknaben‘ hat sich Markus Ulbig doch redlich verdient! Er bedauert sich selbst, ohne zu erkennen, dass er seit 2009 als Innenminister sowohl für das Personal als auch für die politische Führung der sächsischen Sicherheitsbehörden verantwortlich ist – auch für die Jahre des massiven Stellenabbaus. Das Kaputtsparen der Polizei aus rein finanzpolitischen Erwägungen führte absehbar in die heutige Krise der öffentlichen Sicherheit. Die Wachpolizei ist und bleibt nicht mehr als eine strukturelle Notlösung, auch um das politische Überleben des Ministers zu sichern.“

Nur als Zwischenbemerkung: Die „Polizeireform 2020“ ist ganz allein in Ulbigs Verantwortung entstanden und 2010 erst verkündet worden, als die Verschleißerscheinungen bei der Polizei schon unübersehbar waren. Erst mit Eintritt der SPD Ende 2014 in die Regierung wurde das Projekt gestoppt, was trotzdem noch bis Ende 2016 einen Stellenabbau bedeutet.

„Ulbig will es als neue Idee verkaufen, Wachpolizistinnen und -polizisten per verkürzter Ausbildung in den regulären Polizeivollzugsdienst zu überführen. Dieser Ansatz liegt dem Wachdienstpolizeigesetz schon zugrunde. Es ist schlichtweg die Pflicht und Schuldigkeit des obersten Dienstherren, den schlechter ausgebildeten und bezahlten Wachpolizeibediensteten, die mit der Aussicht auf Aufnahme in den Polizeidienst geködert wurden, diesen Weg tatsächlich zu ebnen!“, sagt Enrico Stange. Nur: Das Ganze wird keineswegs so flott vonstatten gehen, wie es Ulbig schon bei der ersten Vorstellung seiner Idee einer „Wachpolizei“ suggerierte.

Denn bis 2020 gehe die sächsische Polizei noch durch ein Tal der Tränen, stellt Enrico Stange fest: „Denn auch nach dem Wachpolizeidienst von zwei Jahren steht die verkürzte reguläre Ausbildung von zwei Jahren an. Damit kommen unter Berücksichtigung eines erfahrungsgemäßen Schwundes erst im Jahr 2020 die ersten 180 ehemaligen Wachpolizistinnen im Polizeivollzugsdienst als Beamte an, 2021 weitere 315. Für diese muss der Ausbildungskorridor aber ab 2018 um zusätzliche 150 bis 200 Anwärterstellen ausgeweitet werden und ab 2019 um weitere 350. Dann könnte das Ziel, 1.000 zusätzliche Polizeistellen zu besetzen, auf 2022 vorgezogen werden. Ein Kraftakt bliebe das dennoch. Ulbig wirft eine Nebelkerze, wenn er nun suggeriert, die Krise der Polizei ließe sich durch die Übernahme von Wachpolizistinnen und -polizisten zügig lösen.“

Und weil es der Minister so ungern hört, wiederholt Stange die Linke-Forderung nach einer Erhöhung des Einstellungskorridors: „Wir fordern die Ausweitung des Einstellungskorridors ab 2018 auf mindestens 750 Anwärter. Dies kann und sollte dann auch den Wachpolizisten zur Ausbildung als Beamte zugute kommen.“

Die Grünen fordern sogar einen Einstellungskorridor von mindestens 800 Neuzugängen pro Jahr. Und zwar richtigen Neuzugängen. Das Spiel mit den „Wachpolizisten“ halten sie für ein nicht belastbares Hilfskonstrukt.

„Offensichtlich soll die Wachpolizei von einer Übergangslösung zur Dauerlösung werden. Dass die 550 Wachpolizistinnen und -polizisten überhaupt in die Berechnung der 1.000 neuen Polizeikräfte eingerechnet werden, ist eine Unverschämtheit. Das Projekt Wachpolizei ist von vornherein bis 2020 begrenzt. Zwar können die Angehörigen der Wachpolizei nach einem Jahr Dienstzeit grundsätzlich in die Ausbildung zum Polizeivollzugsdienst übernommen werden, fraglich ist nur, inwieweit das funktioniert und ob dies wirklich eine Entlastung bringt“, kommentiert Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, das Ulbig-Interview. „Das Hilfskonstrukt der Wachpolizei lehne ich nach wie vor ab. Mir erschließt sich auch nicht, warum der Innenminister nicht gleich den Einstellungskorridor für Polizeianwärterinnen und -anwärter deutlich erhöht hat, wenn die Wachpolizeikräfte schnell in den regulären Polizeidienst wechseln sollen. Wir Grünen fordern daher einen Einstellungskorridor von mindestens 800 Neuzugängen pro Jahr. Für eine Entspannung könnte zudem die Umsetzung von Personal vom Verfassungsschutz zur Polizei sorgen.“

Bereits im August hatte die Grünen-Fraktion nach der Antwort auf eine Kleine Anfrage darauf hingewiesen, dass die geplanten 1.000 neuen Polizistinnen und Polizisten nicht vor 2026 zur Verfügung stehen. Irgendwie scheint die Botschaft nun auch beim Minister angekommen zu sein. Was zwar hektische Betriebsamkeit auslöst, aber sichtlich noch nicht die nötigen Weichenstellungen.

Antwort von Innenminister Markus Ulbig auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann (Grüne) „1.000 zusätzliche Polizeibedienstete im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/5635).

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