Eigentlich hat Prof. Dr. Karl-Heinz Binus, Präsident des Sächsischen Rechnungshofes, die Sache mit den Sozialausgaben der sächsischen Kommunen nicht ganz so gemeint, wie es Franziska Schubert, die finanzpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Landtag, jetzt verstanden haben will. Aber sie ist ja schon glücklich, dass der CDU-Mann die Sozialausgaben wenigstens erwähnt hat.

Das kommt ja in Statements von Präsentanten sächsischer Staatsorgane eher selten vor. Für sie ist der Umgang mit den ausufernden Sozialkosten eher ein Problem, das die Kommunen allein lösen sollen. Irgendwie. Nur nicht die Staatspolitik damit behelligen.

Dass Binus eigentlich genauso denkt, wurde bei seiner Stellungnahme zum zweiten Band des Jahresberichtes aus seinem Haus eigentlich deutlich. Da denkt er genauso wie seine Parteikollegen Schäuble und Unland: Wenn die Kommunen nicht besser haushalten, sind sie wohl selber schuld.

Originalton Binus: „Vor diesem Hintergrund weisen wir zum wiederholten Mal darauf hin, dass die Kommunen ihre finanzielle Situation weiter optimieren sollten. Die Sozialausgaben waren im Jahr 2015 so hoch wie nie zuvor und sind damit wieder vor den Personalausgaben die größte Ausgabeposition der sächsischen Kommunen: Mehr als ein Viertel aller Ausgaben wurden für soziale Leistungen aufgewendet und die Belastungen steigen weiter.“

Optimieren. Als hätten sie nicht durch die Bank 20 Jahre Konsolidierungspolitik hinter sich. Irgendwann gibt es einfach keinen Puffer mehr zum Konsolidieren. Dann beginnt das, was im eigentlichen Kern die berühmte Austeritätspolitik ist, die Strukturen der Gesellschaft und die Handlungsfähigkeit zu zerfressen.

Aber schön, dass Binus das wenigstens erwähnt hat.

„Der Rechnungshof weist zum wiederholten Mal in seinem Bericht auf die Handlungsfelder hin, die wir seit Langem immer wieder anmahnen. Mit besonderer Sorge beobachte ich die wachsenden Sozialausgaben in den Haushalten der Landkreise, aber auch in den Kreisfreien Städten. Ein Schwerpunkt der Rechnungshofprüfung waren eben jene Sozialausgaben und wir sehen uns durch den Rechnungshof bestätigt. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben der Kommunen ist auffällig hoch und tendenziell steigend. Das betrifft die Landkreise, aber auch die Stadt Leipzig“, sagt Franziska Schubert.

Denn in Wirklichkeit leiden alle sächsischen Kommunen unter der falschen Geldverteilung im Land – die einen können es nur besser abfedern als die anderen. Aber egal, ob es Schulen, Kitas, ÖPNV, Ärzte, Polizei oder Sozialbetreuung betrifft: Überall ist die Decke zu kurz. Und das in einem Land, das Jahr für Jahr Überschüsse einfährt.

Fast die Hälfte der Haushaltsetats ist mittlerweile auf kommunaler Ebene im Bereich Soziales gebunden.

„Das gibt Grund zur Sorge. Denn: Die Landkreise und Kommunen sind nicht in der Lage, aus eigenen Kräften Sozialausgaben in dieser Höhe dauerhaft zu tragen“, stellt Franziska Schubert fest. „Es ist bereits seit Jahren zu sehen, welche Konsequenzen diese Entwicklung hat: Freiwillige Leistungen und Angebote in den Kommunen wurden und werden gestrichen. Das betrifft die präventive Sozialarbeit, Jugendarbeit, kulturelle Angebote, aber auch die Unterstützung von Vereinen und ehrenamtlichem Engagement.“

Da entwickele sich ganz folgerichtig ein Teufelskreis: Kürzt man bei den präventiven Leistungen, dann fallen diese später erneut als Soziallasten an. Nämlich bei der Suchtbetreuung, der „Hilfe zur Erziehung“, den Straffallzahlen, der unabgeschlossenen Schulbildung, Schulden- und Obdachlosenproblematik usw.

„Kürze ich etwa bei der Jugendarbeit und fange die Kinder und Jugendlichen aus sozial schwächeren Verhältnissen nicht auf, dann landen sie mit großer Wahrscheinlichkeit später wieder im Sozialhilfesystem. Das halte ich für gefährlich und hier muss dringend gehandelt werden“, sagt Schubert etwas ganz Selbstverständliches, das nur in einer Welt nicht selbstverständlich ist, in der Finanzminister das „Neuverschuldungsverbot“ in die Verfassung gehoben haben und lieber Milliarden für künftige Zeiten auf die hohe Kante legen.

„Wir Grünen waren bei den laufenden Haushaltsverhandlungen die einzigen, die mittels einer Sachverständigenanhörung genau dieses Problem besprechen wollten: unsere Forderung nach einem Soziallastenansatz im kommunalen Finanzausgleich war gerechtfertigt“, betont die Landtagsabgeordnete. Der Finanzminister kann es ja jetzt auch im Jahresbericht des Rechnungshofes nachlesen. Auch wenn Binus mal wieder die Kommunen aufgefordert hat, den Gürtel noch enger zu schnellen. Denn nichts anderes steckt ja hinter seinem „optimieren“.

Tatsächlich ist die Kommunalfinanzierung auf Landesebene längst wieder Thema. Die Landesregierung ruht sich nämlich seit Jahren auf einem Verteilungsschlüssel aus, der noch aus den Zeiten vor „Hartz IV“ und „Agenda 21“ stammt. Und alle anderen Beteiligten ebenso. Sie vertrauen gutgläubig auf ein paar festgeschriebene Prozente. Aber das ist ja der Normalzustand in diesem Land. Um tatsächliche Finanzlasten kümmert man sich lieber nicht. Das könnte ja zum Umdenken zwingen.

Franziska Schubert: „Weder die CDU-geführte Staatsregierung noch die kommunalen Spitzenverbände haben in den vergangenen 25 Jahren analysiert, ob die finanzielle Ausstattung der Kommunen ausreichend ist, damit diese ihre Aufgaben erfüllen können. Wir haben das mehrfach kritisiert. Jetzt hat der Rechnungshof endlich auf dieses strukturelle Problem nachdrücklich hingewiesen. Hier ist dringend eine Bedarfsanalyse notwendig und ich wiederhole daher meine Forderung, diese endlich sachsenweit durchzuführen.“

Zuletzt lässt Franziska Schubert auch noch durchblicken, dass sie den Rechnungshofbericht eher für eine schwache Nummer hält. Immerhin kämpfen alle sächsischen Kommunen irgendwie mit der Einführung der Doppik und seit drei Jahren müssten eigentlich immer neue Zahlen dazu aus den Kommunen eintrudeln und ein Bild zeichnen, wie sie damit zurechtkommen – oder ob die Einführung sie völlig überfordert.

Aber selbst die Landesregierung schaut eher nur gleichgültig zu, wie sich die Kommunen mit dem Thema quälen – und der Rechnungshof schafft es nicht, die Misere mit Zahlen zu untermauern.

„Noch etwas fehlt: nämlich eine solide Zahlenbasis, was das kommunale Vermögen angeht; auch darauf weist der Rechnungshof erneut hin“, betont Schubert. „Das hängt mit der Umstellung auf die doppelte Buchführung – kurz: Doppik – zusammen. So haben nach wie vor die Hälfte der Kommunen keine geprüfte Eröffnungsbilanz, die ein klares Bild zeigen würde, wie hoch das Vermögen der Kommunen ist und welche Aufwendungen es braucht, um dieses zu erhalten. Auch eine Aussage über dringend notwendige Investitionen ist ohne Eröffnungsbilanz und Jahresabschlüsse nicht möglich. Für 2014 haben über 90 Prozent der Kommunen auch keinen Jahresabschluss und für 2013 stehen über 80 Prozent der kommunalen Jahresabschlüsse noch aus. Ohne Jahresabschlüsse fehlen wichtige Informationen, welche die Planungs- und Entscheidungsgrundlage für die aktuellen kommunalen Haushaltsverhandlungen für 2017 hätten darstellen müssen. So agiert man eigentlich ins Blaue hinein – und macht damit mittelfristig nichts besser. Das ist keine solide Haushaltspolitik und wir Grünen im Sächsischen Landtag mahnen erneut an, keine weiteren Schüsse ins Blaue hinein abzugeben, sondern mit einer ordentlichen Grundlage zu arbeiten.“

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