Man hört zwar die Nachtigall trapsen, wenn die AfD im Sächsischen Landtag ihre Anfragen stellt. Aber selbst wenn die fragenden Abgeordneten versuchen, schon mit der Fragestellung Vorurteile zu schüren, kann am Ende ein Stück Humanität aus der Antwort hervorschauen. So geschehen bei einer Antwort des Innenministers auf eine Anfrage von André Wendt (AfD).

Der Berufssoldat und IT-Spezialist wollte wissen: „Wie viele Personen kamen im Rahmen des Familienasyls im Jahr 2016 nach Sachsen?“ – Eine Frage, auf die Innenminister Ulbig tatsächlich nicht hätte antworten müssen, denn einen Begriff wie Familienasyl gibt es in der deutschen Gesetzgebung nicht, auch nicht im Asylrecht. Was einem André Wendt nicht entgangen sein dürfte, denn mehrfach hat auch der Sächsische Landtag über den Familiennachzug der in Sachsen heimisch gewordenen Flüchtlinge debattiert.

Die Frage war eindeutig eine Provokation. Innenminister Markus Ulbig aber tat lieber so, als habe er die Frechheit übersehen und schickte seiner Antwort noch die Aufklärung vorneweg: „Aufgrund der unklaren Formulierung der Frage 1 bezieht sich die Beantwortung nicht auf das im Bundesgebiet zu beantragende Familienasyl nach § 26 des Asylgesetzes (AsylG), sondern unter Berücksichtigung des Themas dieser Kleinen Anfrage nur auf den Familiennachzug nach §§ 27 ff. des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).“

Wohin Wendts Anfrage zielte, wird in Frage 3 recht deutlich: „Bei wie vielen zusammengeführten Eheleuten war im Jahr 2016 mindestens eines minderjährig?“

„Kinderehen verbieten“ ist ein Slogan, den die AfD immer wieder aus dem Köcher holt. Stets mit Spitze gegen Muslime, so wie es Wendt im Juli 2016 selbst formuliert hat: „Die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Religionsausübung darf nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Das islamische Scharia-Recht widerspricht in vielen Punkten unserer christlich geprägten, abendländischen Kultur, aus der unser Rechtsverständnis hervorgegangen ist. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie die Freiheit der Eheschließung sind feste Bestandteile unserer Rechtsordnung.“

Und am 18. November 2016 hatte Wendt selbst finsterste Erwartungen an die Wand gemalt: „Es ist gut, dass auf Initiative der AfD endlich dieses wichtige Thema angegangen wird, nachdem die AfD-Fraktion in Anfragen die massiv steigende Zahl an Kinderehen aufdeckte und in einem Antrag (Drs. 6/6502) ein Verbot von Ehen mit Minderjährigen forderte. Nur bleiben die Konsens-Parteien weit hinter den Forderungen der AfD-Fraktion zurück, dass alle Kinderehen unter 18 Jahren aufgelöst werden müssen.“

Massiv steigende Zahl? – Der von Wendt zitierte Antrag hatte auch schon auf den Putz gehauen: „In Deutschland werden immer häufiger ‚Kinderehen‘ festgestellt. Die Antwort auf die Kleine Anfrage mit der Drs.-Nr. 6/5735 ergab, dass 23 weibliche minderjährige verheiratete Personen zum Stichtag 30. Juni 2016 in Sachsen gemeldet waren. Im gesamten Bundesgebiet lebten Ende Juli 2016 1.475 verheiratete minderjährige Ausländer.“

Die Zahl 23 ergab sich aus der Anfrage, aber wer die aufruft, sieht, dass es alle zum Stichtag in Sachsen lebenden minderjährigen verheirateten Personen sind, darunter übrigens auch zwei deutsche jungen Frauen zwischen 16 und 18 Jahren. Wobei die Staatsregierung nur sagen kann, dass diese Personen als verheiratet gelten, aber nicht, wo sie geheiratet haben und meist auch nicht, ob nur nach religiösem oder Zivilrecht.

Man könnte natürlich vermuten, die Heiraten seien schon vor der Flucht arrangiert worden, um hinterher eine Zusammenführung zu ermöglichen. Also doch irgendwie Massen von Kinderehen – so gesehen sogar als „Missbrauch“ des deutschen Asylrechts?

Pustekuchen. Von den per Familiennachzug zusammengeführten Eheleuten war „eine Person minderjährig nach deutschem Recht“, teilt Innenminister Markus Ulbig mit.

Mit Betonung „nach deutschen Recht“. Denn hier gilt man bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als minderjährig, in vielen der Herkunftsstaaten der Flüchtlinge ist man es schon mit 16 oder sogar noch früher.

Was Wendts Anfrage aber noch ans Licht bringt, ist die Tatsache, dass die Familienzusammenführung tatsächlich greift und es vielen der in Sachsen Angekommenen gelingt, ihre engsten Verwandten aus den Bürgerkriegsregionen nachzuholen. 1.102 Personen konnten im Jahr 2016 aufgrund des Familiennachzugs nach Sachsen kommen, darunter 220 Ehefrauen und 450 Kinder. Und die meisten dieser Menschen kamen aus dem Bürgerkriegsland Syrien: 968.

Die Angstmache der AfD vor „massenhaften Kinderehen“ ist also ziemlich abwegig und tut vor allem so, als könne man einfach kraft Dekret festlegen, wie in den Herkunftsländern der geflüchteten Menschen bitteschön geheiratet werden soll. Das ist schon Bevormundung vom Feinsten und erinnert schon sehr an die Gängelei einer jüngst erst glücklich entsorgten Kleindiktatur. Aber manche Leute werden die Obrigkeit in sich einfach nicht los.

Die Anfrage von André Wendt (AfD) zum Familiennachzug. Drs. 7998

Die Anfrage von Kirsten Muster (AfD) zu „Kinderehen“. Drs. 5735

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