Es ist nur einer von vielen Faktoren, die am 24. September für das deftige sächsische Ergebnis zur Bundestagswahl gesorgt haben: Der Frust vieler Sachsen über eine völlig vergeigte Regionalpolitik hat sich als Stimmenzuwachs bei der Frustpartei AfD ausgezahlt. Mittlerweile haben Landkreise und Bürgermeister endlich Alarm gemeldet. Die SPD nutzte die Gelegenheit, um mit den Landkreisen endlich ins Gespräch zukommen.

Denn dass gerade in Sachsen der Unmut sich so verbreitet hat, hat auch damit zu tun, dass es im Freistaat seit 26 Jahren keinen ernsthaften Anwärter gegeben hat, die Dauermacht der CDU zu beenden und zu zeigen, wie wichtig auch einmal ein Regierungswechsel in einer Demokratie ist. Denn Demokratie ist – anders als von den Liebhabern von diktatorischen Herrschaftsmodellen gern behauptet – eine kämpferische Angelegenheit.

Die Macht wird in einer Demokratie normalerweise immer wieder neu ausgehandelt – und zwar im Wettstreit um Stimmen und Wähler. Es war schon erbärmlich genug, dass man sich jahrelang darauf ausgeruht hat, dass die Zahl der Nichtwähler immer größer wurde. Das schien der Demokratie nicht zu schaden. Eher den jeweils siegreichen Parteien zu nutzen, die sich immer mehr auch darauf versteiften, ihre Politik nur noch auf die eigene Klientel zuzuschneiden.

Sie redeten zwar gern vom „Wählerauftrag“, aber die Mehrheit der Wähler war ihnen völlig egal. Ihre Lebensbedingungen erst recht. Von Kommunikation mit den Wählern ganz zu schweigen. In Sachsen funktionieren die Beruhigungspillen nicht mehr. Es knirscht. Und zwar vor allem da, wo die Menschen wirklich leben: in den Kommunen.

Dort sehen sie tagtäglich, was alles nicht mehr funktioniert, wie Dienstleistungen und Infrastrukturen zurückgebaut werden und die simpelsten Dinge am Fehlen von Geld scheitern. Oder wie es die Bürgermeister aus dem Erzgebirge formulierten: „Eine Politik an den Menschen vorbei, mit nur mangelhafter Einbeziehung der Handelnden vor Ort, vorbei an der Basis, kann nicht Ziel unserer gemeinsamen Arbeit sein. Mehrausgaben seitens der Kommunen, die aus gesetzlichen Auflagen resultieren, müssen kompensiert werden.“

Werden sie aber nicht. Denn der Finanzminister predigt ja dem Land jahraus, jahrein das, was auch seine Parteikollegen so gern eine „solide Haushaltsführung“ nennen.

Mit desaströsen Folgen nicht nur in Schulen und Polizeiapparat.

Auch die Landkreise können politisch eigentlich nichts mehr gestalten, weil ihnen die finanziellen Spielräume genommen sind.

Aber was hat die SPD damit zu tun?

Irgendwie schien es ja so, als hätten sich gerade die so scharf befehdeten linken Parteien (SPD, Linke und Grüne) nur noch auf die Großstädte fokussiert, als spielten sie in den Landkreisen gar keine Rolle mehr. Das ist ein Manko, das neben den anderen mittlerweile auch der SPD-Fraktion im Landtag immer klarer wird.

Am Freitag, 24. November, kamen Vertreter der SPD-Landtagsfraktion und des Sächsischen Landkreistages im Landtag in Dresden zu einem Gespräch zusammen, um die aktuelle politische Lage im Freistaat, die Situation der Kommunen und die wichtigsten Herausforderungen der kommenden Monate und Jahre zu diskutieren, meldet die Fraktion nun.

Und man sprach über den ganzen Katalog sächsischer Versäumnisse, die der Humus für das Frustergebnis zur Bundestagswahl wurden: Lehrermangel, Straßenbau, ÖPNV, Breitbandausbau, Sicherheit, demographische Entwicklung, Wirtschaft und gesellschaftlicher Zusammenhalt.

„SPD-Fraktion und Landkreistag sind sich darüber einig, dass die drängenden Herausforderungen im Freistaat nur von Land und Kommunen gemeinsam gelöst werden können“, formuliert die Fraktion im Nachhinein das Ergebnis dieser Gesprächsrunde. „Es wurde vereinbart, dass man noch intensiver als bisher den Austausch zwischen den Ebenen pflegen wird. Ziel muss es sein, das Vertrauen zwischen Kommunen und Land zu stärken.“

Das ist sehr diplomatisch formuliert.

Frank Vogel, Präsident des Sächsischen Landkreistages, sagte: „Spätestens die Bundestagswahl hat allen politischen Akteuren in Sachsen mehr als deutlich vor Augen geführt, dass sich im Freistaat etwas ändern muss. Ein ‚Weiter so‘ kann und darf es nicht geben. Das kann nun gemeinsam gelingen. Ich bin froh, dass die SPD-Landtagsfraktion das genauso sieht. Wir haben große Herausforderungen zu lösen. Den Menschen ist es reichlich egal, ob nun die Gemeinde, der Kreis, das Land oder Bund verantwortlich ist, wenn etwas nicht ordentlich funktioniert. Sie haben aber ein Recht darauf, dass der Freistaat mit seinen Kommunen funktioniert.“

Oder mal so formuliert: Sämtliche „Reformen“ seit 2008 haben die Distanz der Bürger zu Verwaltung und Regierung vergrößert, während die ländlichen Räume – durch diese „Reformen“ befeuert – sich immer schneller entleeren. Es sind die jungen Leute, die in Scharen abwandern. Kein Wunder, dass gerade die zunehmend überalterten Regionen ihren Frust in besonders hohen AfD-Ergebnissen auslebten. Was übrigens auch in benachbarten Bundesländern so ist. Jahrelang nahmen es Bundes- und Landespolitik für selbstverständlich, dass die ländlichen Regionen sich entvölkerten und dort (gern aus Effizienzgründen) eine Schule nach der anderen dichtgemacht wurde, eine Zuglinie nach der anderen, eine Busverbindung nach der anderen. Sparen, Kürzen und Knapphalten waren am Ende alles, was noch an Landespolitik in den Provinzen zu erleben war.

Gute Frage: Wohin mit dem Frust?

„Viele ernsthafte Sorgen und Missstände wurden von Seiten des Landes zu lange ignoriert“, sagt denn auch Dirk Panter, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. „Die SPD hat entscheidend dafür gesorgt, dass die Kürzungspolitik endlich ein Ende hat. Leider lässt sich aber vieles nicht von heute auf Morgen reparieren. Und leider ist auch verlorenes Vertrauen nicht sofort wiederherzustellen. Wir arbeiten daran, dass sich das ändert. Klar ist aber auch: Nicht alles, was gewünscht ist, wird auch immer so kommen können. Das liegt in der Natur der Demokratie und der Gewaltenteilung. Uns ist aber wichtig, dass die verschiedenen Akteure auf Augenhöhe gemeinsam an neuen, innovativen Ideen und Lösungen arbeiten und diese dann umsetzen. Das geht, davon bin ich überzeugt, auch in Sachsen und ohne Schwarzen Peter.“

Das klingt nach einem ersten Beschnuppern. Dabei sind es bis zur Landtagswahl in Sachsen nur noch zwei Jahre. Das ist nicht viel Zeit, um wirklich überzeugende Konzepte für ein Land zu erarbeiten, in dem das Vertrauen der meisten Wähler in die Regierungspolitik so zermürbt ist.

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