Es war die ganze Zeit Theaterpolitik. Statt gemeinsam den absehbaren Strukturwandel in den Braunkohlegebieten anzugehen und die Zukunft vorzubereiten, haben sich die Regierungen aller Braunkohleländer seit Jahren im gemeinsamen Gejammer geübt und mit großen Reden suggeriert, man könne die Kohlekraftwerke auch noch weit nach 2040 laufen lassen. Jetzt versuchen diese Landesregierungen mit demselben Tenor, die Kohleausstiegskommission auf ihren Kurs zu bringen.

Am Freitag, 19. Oktober, richteten die Ministerpräsidenten der Kohleländer in Berlin ihre Forderungen an die Kohlekommission. Zeitgleich hat Greenpeace ein Rechtsgutachten zur nicht vorhandenen Absicherung der Finanzierung der Braunkohle-Folgekosten veröffentlicht.

„Die drei ‚Kohle-MPs‘ machen Dinosaurier-Politik und haben nicht begriffen, dass längst ein neues Energie-Zeitalter begonnen hat“, kommentiert Dr. Jana Pinka, umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion, diesen seltsamen Vorgang.

„Das Hauptrisiko ist nicht die Kohlekommission, sondern ein Tagebaubetreiber, der sich womöglich schon bald vom Acker macht, weil einfach mit der Kohle nicht mehr genug Kohle zu machen ist. Deshalb haben wir als Linke als erste gefordert, ausreichende Sicherheitsleistungen zu verlangen, damit nicht die Allgemeinheit auf horrenden Folgekosten sitzenbleibt. Das ist bis heute nicht geschehen.“

Und auch Dr. Gerd Lippold von den Grünen hält dieses seltsame Handeln für unverantwortlich.

„Sachsens Staatsregierung muss sich im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Kohleausstieg unverantwortliche Handlungsverweigerung vorwerfen lassen. Weder hat sie sich rechtzeitig um Perspektiven für die Kohleregionen gekümmert, noch hat sie die öffentlichen Haushalte gegen Milliardenrisiken des Braunkohletagebaus abgesichert“, erklärt Dr. Gerd Lippold, energie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag.

„Wenn Ministerpräsident Michael Kretschmer jetzt bei der Suche nach Perspektiven für die Kohleregionen mit dem Finger auf die Kohlekommission zeigt, so weist er gleichzeitig mit mehreren Fingern auf seine Regierung zurück. Denn sie selbst hat durch eigenes Nichthandeln erhebliche Risiken für den Freistaat produziert und lenkt davon ab, indem sie jetzt vollmundig Forderungen an Bund und Kohlekommission richtet.“

Die Grünen würden seit Jahren von Bund und Land Unterstützung für die regionale Strukturentwicklung fordern, betont der Landtagsabgeordnete. „Denn die Menschen in den Kohleregionen brauchen diesen Anschub für die Hilfe zur Selbsthilfe. Doch die Ministerpräsidenten fordern heute nicht nur Unterstützung. Sie fordern von der Kohlekommission die Entwicklung von Perspektiven, weil sie selbst keine entwickelt haben. Stattdessen propagierten sie ein ‚Weiter-so!“ und ließen zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort, die frühzeitig Konzepte entwickeln wollten, allein.“

Aber gegen die Vorbereitung des Strukturwandels haben sich auch die Regierungen von Brandenburg und Sachsen gewehrt. Sie haben den Bürgern lieber – völlig wider besseres Wissen – erklärt, ohne Kohle gäbe es keine Versorgungssicherheit.

„Perspektiven für die Zeit nach der Kohle werden nicht von außen geliefert. Verantwortung für die Zukunft ihrer Länder tragen die Regierenden selbst“, redet Lippold den Regierenden ins Gewissen. „Ich fordere Ministerpräsident Kretschmer und Wirtschaftsminister Martin Dulig auf: ziehen Sie endlich Konsequenzen aus ihrer gescheiterten Kohlestrategie der letzten Jahre! Konzentrieren Sie endlich die ganze Kraft auf die Entwicklung von Zukunftsperspektiven, statt sie weiter beim Bremsen und Festklammern am Gestern zu vergeuden!“

Sie haben mit künstlicher Angstmacherei die Vorbereitung der Zukunft regelrecht verhindert.

„Jahrelang haben die Ministerpräsidenten der Kohleländer mit verantwortungslosen Strukturbruch-Drohungen in den Kohleregionen Ängste geschürt, um breite Unterstützung für Druck gegen den klimapolitisch unumgänglichen Kohleausstieg zu organisieren. Die erzeugte Zukunftsangst ernten jetzt Populisten“, kritisiert Lippold.

„Ein politisches Spiel mit dem Feuer wäre es, nun in Berlin auch noch mit den Rechtspopulisten zu drohen, um die Debatte über den Kohleausstieg zu stoppen. Ich fordere Ehrlichkeit in Bezug auf die Fehler der Vergangenheit und gemeinsames Anpacken der Zukunftschancen, die heute dank neuer Förderimpulse besser sind als je zuvor seit 1990!“

Und in Bezug auf die Absicherung der Finanzierung der Braunkohlefolgekosten fordert der Abgeordnete Dr. Lippold: „Kommen Sie im Interesse der öffentlichen Haushalte umgehend ihrer Pflicht nach, die längst möglichen Sicherheitsleistungen für die Braunkohlefolgekosten sofort und vollumfänglich einzufordern!

Das neue Greenpeace-Rechtsgutachten belegt klar die Untauglichkeit aller bisherigen Sicherungskonstruktionen. Bislang wurde vor allem im finanziellen Interesse der Kohleaktionäre gehandelt. Es gilt nun, die Interessen des Freistaates durchzusetzen, denn auch das nimmt Ihnen keine Kohlekommission ab.“

„Natürlich muss sich der Bund beim Strukturwandel in den Braunkohlerevieren finanziell weit mehr als bisher beteiligen. Doch es bringt nichts, mit Milliarden-Forderungen um sich zu werfen, solange den ‚Kohle-MPs‘ selbst nicht mehr einfällt als der hilflose Schlachtruf, es müsse erstmal möglichst unbefristet weitergebaggert werden. Das hilft nicht zuletzt den Beschäftigten in der Braunkohle überhaupt nichts“, betont auch Dr. Jana Pinka, die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

„Alle unsere parlamentarischen Initiativen für eigene Fonds zur Förderung innovativer Impulse in Wirtschaft und Forschung für die Lausitz wurden von der CDU/SPD-Mehrheit im Sächsischen Landtag abgeblockt. Menschen vor Ort, die sich seit Jahren für eine Zukunft nach der Kohle engagieren, wurden an den Rand gedrängt. Mit dieser Orientierungslosigkeit wurde einer Panik Vorschub geleistet, von der nun nur die Rechtspopulisten profitieren. Wir bieten eine sachorientierte Kooperation im Interesse der betroffenen Regionen an – das bringt mehr als Schaulaufen vor der Bundespressekonferenz!“

Was man auch Placebo-Politik nennen kann. Oder Petitions-Politik. Denn es ist nichts anderes: regierende Politiker reichen in aller Öffentlichkeit eine Petition ein. Kein Wunder, dass ihre Wähler in Scharen davonlaufen. Denn eigentlich wählt man Regierungen ja, damit sie regieren und Zukunft gestalten. Wenn sie das nicht tun, sind sie wirklich überflüssig.

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

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