Die miesen Wahlergebnisse in Bayern und Hessen waren nun auch für die Bundes-SPD so eine Art Wecksignal. Zumindest für die Genossen, die noch nicht ganz vergessen haben, wie die Welt außerhalb der Parlamente aussieht. Und auf einmal wird bei der alten Tante ernsthaft darüber diskutiert, „Hartz IV“ endlich durch eine soziale Sicherung zu ersetzen, die Menschen nicht diskriminiert und abwertet. Und auch der sächsische SPD-Vorsitzende Martin Dulig findet die Diskussion gut.

Er ist ja auch noch Ostbeauftragter der SPD. Er muss das Thema aufnehmen. Denn gerade die Diskussionen, die Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) in Gang gebracht hat, haben ja gezeigt, dass das ostdeutsche Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, sehr viel mit miesen Jobs, mieser Bezahlung, miesen Renten, fehlender Belohnung und ständiger (Sanktions-)Drohung durchs Jobcenter zu tun hat.

Dadurch werden viele Ostdeutsche auch für billige Lösungen und rechtsradikale Parolen empfänglich. Auch weil gerade die SPD für „Hartz IV“ verantwortlich gemacht wird und die sich seit Jahren sträubte, über ein moderneres Solidaritätsprinzip überhaupt nur nachzudenken.

Zwar sperrt sich der marktliberale Flügel der SPD nach wie vor, über eine Abschaffung der Sanktionen überhaupt nachzudenken.

Aber das kommt im Osten nicht wirklich gut an.

„Die Vorschläge von Andrea Nahles sind deswegen richtig, weil sie das Leistungsprinzip der hart arbeitenden Bevölkerung berücksichtigen, gleichzeitig überflüssige Härten beseitigen. Hartz IV hat gerade im Osten zu tiefen Verletzungen geführt, wie die SPD-Vorsitzende richtig festhält“, betonte nun am Sonntag, 18. November, Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen und Ostbeauftragter der SPD.

„Durch Hartz IV wurden viele zu Sozialstaatsempfängern erklärt, obwohl es einfach keine Arbeit im Osten gab oder die Leute nur zu Niedriglöhnen arbeiteten konnten. Die Hartz-IV-Sanktionen hat zugleich gerade bei Langzeitarbeitslosen das schon hohe Misstrauen aufgrund der Nachwendezeit gegenüber dem demokratischen Rechts- und Sozialstaat noch mehr erhöht.“

Und er begründet auch, warum eine solche Reform notwendig ist.

„Es ist richtig, alle Menschen aus der Grundsicherung zu holen, die da nichts zu suchen haben: Kinder gehören nicht in Hartz IV. Genauso wenig alle, die täglich zum Arbeiten gehen, deren Lohn aber zu niedrig oder deren Miete zu teuer ist, und nur so faktisch zu Hartz IV-Beziehern werden. Die Lösungen sind vernünftig radikal:

Ein höheres Wohngeld, eine eigenständige Kindergrundsicherung als elternunabhängiger Grundbetrag, ein sehr viel höherer Mindestlohn, die Einführung eines Bürgergelds und das Arbeitslosengeld. Genauso richtig ist es, einmalige Bedarfe zum Beispiel für einen Kühlschrank oder eine Winterjacke wieder einzuführen sowie erwerbslosen Beziehern ein freiwilliges Angebot zu geben einen sozialversicherten Job anzunehmen“, so Dulig.

Allerdings kommt ihm aus ostdeutscher Sicht ein Punkt zu kurz.

„Die Erhöhung des Schonvermögens bringt für viele Ostdeutsche wenig, denn sie haben kaum Vermögen. Es geht eben auch um Respekt vor der Lebensleistung, dass jemand nicht genauso in Hartz IV fällt wie jemand, er nie eingezahlt hat“, sagt Dulig.

„Ich will daher zusätzlich, dass für Arbeitnehmer, die 30 Beitragsjahre eingezahlt haben, Hartz IV abgeschafft wird. Es sollte eine Leistung ähnlich der alten Arbeitslosenhilfe eingeführt werden, die aber gedeckelt wird wie beim Elterngeld. Sie muss zudem in ihrer Höhe einen Abstand zur späteren Rente einhalten, um eine Frühverrentung zu verhindern, gleichzeitig ist eine Mindesthöhe nötig.“

Und dann schaut er auf die überbordende Bürokratie, die auch längst das ganze Kontrollsystem der Jobcenter überwuchert hat. Bürokratie schafft sich ihre Legitimation schon selbst, wenn sie nur immer neue Formblätter, Anforderungen, Gewährleistungspflichten und Berichtstatbestände erfinden kann.

Dabei war „Hartz IV“ mal von Controllern aus der Wirtschaft erfunden wurden, die überall ihre geniale Fähigkeit anpriesen, einen Laden mit straffem Berichts- und Kontrollwesen fit machen zu können. Die Controller regieren noch immer. Kluge Unternehmer aber haben sie längst aus dem Haus geschmissen. Denn wenn sich Kontrolle nur noch um sich selber dreht, kommt genau das dabei heraus, was Franz Kafka beschrieben hat: Ein irrer, nicht zu ergründender Zustand mit unsichtbaren Mächten, die den einzelnen Antragsteller zermürben und zur Verzweiflung bringen.

Und so fügt Martin Dulig hinzu: „Auch sollten wir mit mehr Pauschalen arbeiten: Wenn manche Jobcenter mittlerweile Bescheide in Päckchen wegen der hohen Seitenzahl verschicken, läuft etwas falsch in diesem Land. Wir brauchen weitgehende Vereinfachung der Berechnung der Grundsicherung mit mehr Pauschalen bei der Berechnung und veränderten Regeln bei Einkommens- und Vermögensanrechnung.“

Hartz IV, Sanktionspraxis, Polizeigesetz: Jusos Sachsen machen Druck auf SPD-Fraktion

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Man kommt vor Lachen nicht in den Schlaf – Dulig und Köpping als Kämpfer für die prekär Beschäftigten. Die Rächer der Entnervten, Beschützer der Witwen und Waisen.
Bei so viel Opportunismus und Eigennutz kommt einem nur noch das kotzen.
Für Köpping sind prekäre Jobs im Tourismus das Mittel der Wahl womit sie für die kommende Altersarmut mitverantwortlich ist.
Als Förderin eines motorisierten Wassertourismus für die Begüterten der Region mit allen negativen Folgen für Natur und Umwelt und damit diejenigen die darunter leiden müssen ebenso.
Dulig wird vermutlich der Weltbeauftragte für erneuerbare Energien. Bis dahin kämpft er unverdrossen für den Weiterbetrieb der Braunkohleförderung. Nun, die dort Beschäftigten bekommen alles andere als Hartz IV, die werden für ihre Akzeptanz und Mittun an Heimat- und Umweltzerstörung ordentlich entlohnt.

Es ist so durchsichtig, Hartz IV als Knebel-Instrument zu beschreiben, es ist erbärmlich so zu tun, als wäre Hartz IV über uns gekommen wie das jüngste Gericht und die SPD hätte üüüberhaupt nichts damit zu tun.
Nein, vielmehr ist die SPD Hartz IV. Und verantwortlich für die gesellschaftlichen Folgen, die sich daraus ergeben.
Nicht zu vergessen allerdings, die Grünen ebenso. Beide Parteien haben das Elend zu verantworten.
Nun den Anschein zu erwecken die SPD würde als “Betriebsrat der Prekären” in der Groko für deren Wohl “kämpfen” ist an Perfidie kaum zu überbieten.

Aber es gibt immerhin noch den Merz, mit “e”, der wird nicht müde Schröders “Wohltaten” zu lobpreisen.

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