Am 7. November machte ein kleiner Skandal in Sachsen Furore: Das MDR-Nachrichtenmagazin „exakt“ berichtete über einen Vorfall, wonach einer der Angeklagten des Prozesses gegen die Freie Kameradschaft Dresden (FKD) über sieben Monate über einen illegalen Internetzugang aus der JVA heraus Kontakt zu Mitangeklagten und Kameraden pflegen konnte, um Zeugenaussagen zu beeinflussen und Verfahrensinterna weiterzugeben.

„Das ist keine Panne, das ist ein Super-GAU, der das wichtige Strafverfahren gegen eine neonazistische Gruppierung zum Scheitern bringen kann“, kommentierte das Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, damals.

„Mir ist vollkommen unbegreiflich, wie man erstens einem Angeklagten Zugang zu wichtigen Ermittlungs- und Verfahrensdetails geben konnte, ohne sicherzustellen, dass sensible Details zu Zeugen und Ermittlungen nicht zu seiner Kenntnis gelangen. Und zweitens, dass es nicht verhindert wurde, dass ein Insasse einer JVA über das Internet mit Mitangeklagten kommuniziert.“

Nicht umsonst gelte das Akteneinsichtsrecht in die Ermittlungsakte in erster Linie für den Verteidiger und nur im Ausnahmefall für den Angeklagten. Und in diesem Fall auch nur, wenn der Untersuchungszweck nicht gefährdet ist und schutzwürdige Interessen von Dritten nicht entgegenstehen, so Lippmann.

„Warum solche Akten dann auch noch mit einem internetfähigen Gerät zur Verfügung gestellt werden und dieses für die Kommunikation des Angeklagten genutzt werden kann, ist nicht zu fassen. Das darf einfach nicht passieren“, betonte Lippmann.

„Ich fordere Justizminister Sebastian Gemkow auf, den Vorfall umgehend aufzuklären und darzulegen, wer für dieses Desaster die Verantwortung trägt. Er muss außerdem klären, warum für den Prozess eine Schöffin ausgewählt wurde, die nicht über jeden Zweifel der Befangenheit erhaben ist. Ich erwarte zudem Auskunft darüber, inwieweit der Prozess gegen die FKD nunmehr gefährdet ist.“

Um Genaueres zu erfahren, haben er und seine Fraktionskollegin Katja Meier nachgefragt. Und die Antworten sind eigentlich noch beängstigender, weil weder der zuständige Minister noch die beteiligten Justizbeamten auch nur das Gefühl zeigen, dass irgendjemand hier mehr als fahrlässig gehandelt hat.

Es geht schon damit los, dass der Verteidiger des Angeklagten diesem – mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft – überhaupt ein Tablet aushändigte, auf dem augenscheinlich verfahrensrelevante Dokumente gespeichert waren. Nach Lippmanns Interpretation hätten diese in Händen des Angeklagten gar nicht sein dürfen.

Das Justizministerium sieht das anders: „Gemäß S 34 Abs. 6 Satz 2 Sächsisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz (SächsUHaftVollzG) dürfen Schriftstücke, sonstige Unterlagen und Datenträger den Gefangenen von ihrem Verteidiger, Rechtsanwalt oder Notar zur Erledigung in einer die Gefangenen betreffenden Rechtssache übergeben werden. Die Justizvollzugsanstalt hat dafür Sorge zu tragen, dass die übergebenen Datenträger bzw. entsprechende ‚Lesegeräte‘ nicht dazu missbraucht werden, die Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu gefährden, § 16 SächsUHaftVollzG.“

Das übergebene Tablet aber wurde genau dazu verwendet. Und das Ministerium rätselt bis heute, wie das funktionieren konnte.

In der Antwort an Lippmann heißt es: „Vor Aushändigung des originalverpackten Tablets des Typs ,Samsung Galaxy TAB 6‘ hat die Justizvollzugsanstalt Torgau festgestellt, dass kein SIM-Karten-Slot vorhanden war. Die weitere Überprüfung ergab, dass das ausgegebene Tablet allein grundsätzlich nicht für die Internetnutzung geeignet war.

Vor Ausgabe des Geräts wurde von der Justizvollzugsanstalt Torgau geprüft, ob ein freies bzw. öffentliches WLAN-Netz anliegt. Zum Zeitpunkt der Prüfung war dies nicht der Fall. Das Gerät wurde nur zeitweise – zum Nachteinschluss abends bis zur morgendlichen Lebendkontrolle – an den Gefangenen ausgegeben.

Der Gefangene hat sich allerdings – vermutlich über durch illegal eingebrachte Mobilfunkgeräte erzeugte Hotspots – Zugang zum Internet verschafft. Durchgeführte Haftraumkontrollen beim Gefangenen und Mitgefangenen, zu denen der Gefangene im Kontakt stand, blieben ergebnislos. Ebenfalls konnten keine äußerlich erkennbaren Manipulationen an dem Tablet festgestellt werden.“

Dass das Tablet zur Außenkommunikation verwendet wurde, wurde erst über eine Zeugenbefragung bekannt.

„Im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Zeugenvernehmung am 3. Juli 2018 in einem anderen Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Dresden wurde ein Hinweis bekannt, dass der Angeklagte das Tablet in der JVA Torgau für unerlaubte Kommunikation mit Außenstehenden missbraucht und auf diesem Wege auch versucht haben soll, zumindest einen Zeugen zu beeinflussen“, liest man jetzt in der Antwort des Justizministers.

„Die zuständige Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden wurde mit Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vom 5. Juli 2018 über den Sachverhalt informiert. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat das Sächsische Staatsministerium der Justiz am 2. Oktober 2018 darüber informiert, dass der Untersuchungsgefangene aus der JVA Torgau heraus mit einem Tablet nach außen kommuniziert habe.

Von einer möglichen versuchten Einflussnahme auf einen Zeugen erlangte das Staatsministerium der Justiz und der Staatsminister der Justiz am 6. November 2018 Kenntnis. Von einer möglichen Affäre des Untersuchungsgefangenen mit einer Schöffin erlangte das Staatsministerium der Justiz und der Staatsminister der Justiz am 7. November 2018 Kenntnis.“

Aber wie untersucht die Justizanstalt eigentlich, ob im Gefängnis nicht unerlaubterweise Daten gefunkt werden?

In der Antwort an Katja Meier heißt es: „Die Haftraumkontrollen dauerten jeweils ca. 30 Minuten. Für die Kontrollen wurde eine Metallsonde genutzt. Darüber hinaus wurden alle Bereiche der Anstalt regelmäßig einmal im Monat mit mobilen Handydetektoren kontrolliert.“

Augenscheinlich reicht das nicht und die Gefangenen sind der Justiz mal wieder technisch ein paar Schritte voraus.

Aber Valentin Lippmann treibt die natürlich berechtigte Frage um, warum der Gefangene auf dem mitgegebenen USB-Stick augenscheinlich die gesamten Akten (oder Aktenteile) von seinem Verteidiger bekam. Material genug, um den Prozess regelrecht infrage zu stellen.

Die Antwort des Justizministeriums: „Beschuldigten bzw. deren Verteidigern wird gemäß den in § 147 StPO geregelten Voraussetzungen in Verbindung mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch eines Beschuldigten auf effektive Verteidigung und ein faires Verfahren Akteneinsicht gewährt. Demnach ist unter bestimmten Umständen auch einem verteidigten Beschuldigten ein Recht auf eigene Akteneinsicht zu gewähren. Dies gilt insbesondere dann, wenn wegen des erheblichen Umfangs oder der Komplexität des Verfahrens nicht auf die Akteneinsicht durch den Verteidiger und eine entsprechende Unterrichtung durch diesen verwiesen werden kann.“

Der erwähnte Paragraph erwähnt nur das Einsichtsrecht des Verteidigers und begründet auch kein Sonderrecht für den Angeklagten, bloß weil der verhandelte Fall zu komplex ist.

Es sieht ganz so aus, als würden diese Antworten noch einen Rattenschwanz berechtigter Fragen nach sich ziehen.

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Nachtrag, 10. Dezember:

Die Kommentare von Katja Meier und Valentin Lippmann zu den Antworten von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf ihre Anfragen zur Internetnutzung in Untersuchungshaft und möglicher Zeugenbeeinflussung im Verfahren zur Freien Kameradschaft Dresden (FKD).

Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, erklärt:

„Der wichtige Prozess um Mitglieder der rechtsextremen FKD wurde von allen Beteiligten höchst fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Dass einem Angeklagten ein internetfähiges Tablet über Monate zur Verfügung gestellt wurde, ohne dass man auch nur im Geringsten kontrolliert hat, ob er dieses zur Kommunikation mit der Außenwelt nutzt, z. B. mit anderen Beschuldigten oder Zeugen, zeugt von großer Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit.

Dass die zuständige Staatsschutzkammer des Landgerichts bereits seit dem 5. Juli 2018 von diesem Sachverhalt und auch von dem Versuch der Zeugenbeeinflussung Kenntnis hatte und offensichtlich keine Maßnahmen getroffen hat, um den Prozess zu sichern, ist nicht nachvollziehbar.

Dass das Justizministerium erst im Oktober informiert wurde und es selbst nicht für erforderlich hielt, die Öffentlichkeit oder zumindest den Landtag zu informieren, bringt das Fass zum Überlaufen.

All das zeigt erneut, dass rechtsextreme Straftaten in Sachsen nicht mit der notwendigen Gründlichkeit verfolgt werden und mutmaßliche Täter den Justizbehörden auf der Nase rumtanzen.

Ich erwarte, dass der Justizminister eine gründliche Untersuchung des gesamten Ablaufs solcher Akteneinsichtsmaßnahmen, der Nutzung von Handys im Gefängnis und der Informationswege im Falle möglicher Prozesshindernisse vornimmt und wirksame Vorschläge macht, wie Strafverfahren künftig ohne solche Gefährdungen rechtswirksam durchgeführt werden können. Zu den Folgen der Beeinflussung von Zeugen und der Auswahl der Schöffin, die ein Verhältnis mit einem Angeklagten hatte, schweigt sich der Justizminister leider immer noch aus.“

Katja Meier, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, erklärt:

„Es ist mir unbegreiflich und ich halte es auch für fahrlässig, einem Untersuchungsgefangenen über Nacht ein Tablet im Haftraum zu überlassen. Selbstverständlich sollen Untersuchungsgefangene ihre Akten lesen können, aber dies sollte in einem entsprechenden Leseraum erfolgen und nicht auf der Zelle. Hier könnte auch viel einfacher eine unbefugte Internetnutzung festgestellt und sofort durch die Bediensteten reagiert werden. Nachts ist dies auch angesichts der dünnen personellen Besetzung der Justizvollzugsanstalten schlicht unmöglich.

Es ist eine Unverschämtheit von Justizminister Gemkow, die Verantwortung für die Sicherheit von IT-Geräten auf die Justizvollzugsanstalten abzuwälzen. Die technische Überprüfung von Geräten auf ihre Internetfähigkeit von Justizvollzugsbediensteten durchführen zu lassen, ist mehr als fahrlässig. Denn wie der Fall gezeigt hat, genügt es bei weitem nicht, Geräteanschlüsse zu versiegeln. Ich heiße Justizminister Gemkow herzlich willkommen im 21. Jahrhundert.

„Für diese Aufgabe ist die Leitstelle für Informationstechnologie der sächsischen Justiz (LIT), die im laufenden Haushaltsverfahren einen erheblichen Personalaufwuchs verzeichnen konnte, prädestiniert. Die Beschaffung und Konfiguration von sicheren Endgeräten für Insassen von Justizvollzugsanstalten ist für die dortigen IT-Profis ein leichtes. Es könnte ein Gerätepool geschaffen werden, der durch Fachleute auf dem aktuellen Stand der Sicherheitstechnik gehalten wird. Dass noch niemand im Justizministerium auf diese Idee gekommen, lässt tief blicken.“

 

 

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