Die CDU/SPD-Koalition hat im Innenausschuss des Landtags am Freitag, 29. März, die Empfehlung ans Parlament durchgesetzt, den Entwurf des neuen Polizeigesetzes anzunehmen. Damit sollen der Polizei neue Überwachungsbefugnisse zuwachsen, verbunden mit tiefen Eingriffen in Grundrechte. Gerade Grüne und Linke fragen sich besorgt: Wie kann das 30 Jahre nach dem Ende eines Polizeistaats wieder so selbstverständlich sein? Und: Welchen Sinn macht das überhaupt?

„Das neue Polizeirecht ist unnötig. Die allgemeine Kriminalität ist seit mehr als 20 Jahren rückläufig. Mit der Errichtung besonderer Straftatbestände im Strafgesetzbuch sowie Eingriffsbefugnissen in der Strafprozessordnung ist auch gegen terroristische Bedrohungen das Instrumentarium für die Sicherheitsbehörden hinreichend angepasst worden“, stellt Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag, fest.

„Wir haben im Laufe der parlamentarischen Beratungen viele Gespräche mit Kriminalist/-innen geführt. Niemand konnte uns stichhaltig begründen, warum dieses neue Polizeirecht dringend gebraucht wird und dass in der Vergangenheit polizeiliche Maßnahmen gescheitert wären oder erschwert waren, weil die mit dem neuen Gesetz im Bereich des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts geschaffenen Befugnisse fehlten.“

CDU und SPD halten ohne Sinn und Verstand am Frontalangriff auf die Bürgerrechte fest“, findet Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag. „Sie tun dies, obwohl das neue Polizeirecht die Sicherheitslage in Sachsen nicht verbessert. Vielmehr schafft es Befugnisse für eine massenhafte Überwachung von Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, zum Beispiel durch automatisierte Gesichtserkennung und Videoüberwachung. Zudem werden der Polizei immer mehr Befugnisse eingeräumt, die tiefe Eingriffe in die Privatsphäre ermöglichen. Das widerspricht fundamental unseren Grünen-Vorstellungen des freiheitlichen Rechtsstaates.“

Ganz genau so sieht es auch Stange: „Mit dem Gesetzentwurf werden nicht nur umfangreiche Befugnisse zu tiefen Eingriffen in die Grund- und Freiheitsrechte weit in das Vorfeld konkreter Gefahren verlagert. Damit wird nun die Annahme, jede und jeder könnten Gefährder/-innen sein, zur Misstrauensbekundung des Staates gegen die Bürger/-innen. Nur so kann erklärt werden, weshalb Videographie mit Gesichtserkennung zur massenhaften Aufzeichnung von biometrischen Merkmalen und deren Speicherung bis zu 96 Stunden nun im grenznahen Bereich oder in Bereichen mit Bezug zu grenzüberschreitender Kriminalität erlaubt sein soll. Auch die Überwachung der Telekommunikation von unbescholtenen Bürger/-innen ist ein solcher tiefer Grundrechtseingriff.“

Zugleich würden wichtige rechtsstaatliche Grundsätze über Bord geworfen.

„Obwohl gegen niemanden, der zukünftig auf der Grundlage dieses Gesetzes in das Fadenkreuz der Polizei gerät, der Verdacht einer begangenen Straftat vorliegen wird, sollen Maßnahmen ergriffen werden dürfen, die den klassischen Ermittlungshandlungen nach Strafprozessrecht bei Strafverfolgungsmaßnahmen gleichen. Dabei sollen Staatsanwaltschaften und Strafverteidigung außen vor bleiben, weil die Polizei Daten und Informationen künftig einfach so und ungestört sammeln können soll. Das schwächt den Rechtsstaat“, stellt Enrico Stange fest.

„Damit gehen CDU und SPD bewusst und leichtfertig über die Bedenken und Hinweise von Sachverständigen zu verfassungsrechtlich bedenklichen Befugnis-Erweiterungen bis weit in den Kernbereich der privaten Lebensführung hinweg und nehmen auch die eindringlich durch den Sächsischen Datenschutzbeauftragten in den Ausschüssen vorgetragenen datenschutzrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken auf die leichte Schulter.“

Geht er zu weit?

Die Grünen sehen es genauso.

„Wir Grünen halten dieses Gesetz in wesentlichen Punkten für verfassungswidrig. Es hätte spätestens nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur KFZ-Kennzeichenerfassung, aber auch vor dem Hintergrund der vielen anhängigen Verfahren gegen die Sicherheitsgesetze bundesweit, im Papierkorb verschwinden müssen“, betont Valentin Lippmann. „Ich bedaure, dass die Koalition im Ausschuss nicht einmal im Ansatz auf die Bedenken des Datenschutzbeauftragten eingegangen ist, der in Bezug auf die gesichtserkennende Videoüberwachung unsere verfassungsrechtlichen Bedenken teilt.“

Und dann wird Lippmann sehr deutlich.

„Leider ist heute im Ausschuss auch deutlich geworden, dass die Koalition nicht nur immer mehr Freiheitsrechte opfert, sondern sich auch weiterhin den vernünftigen und notwendigen Elementen einer modernen Polizeiarbeit, wie einer Kennzeichnungspflicht, verschließt.“

Seine Schlussfolgerung: „Sollte die Koalition bis zum nächsten Plenum nicht noch der Geist der Freiheit überkommen, bleibt uns nur der Gang vor das Sächsischen Verfassungsgericht zur Überprüfung dieses Gesetzes.“

Ein Schritt, den die Linke schon fest im Auge hat, wie Enrico Stange erklärt: „Wir müssen und werden diese Polizeirechtsnovelle vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterziehen lassen, um die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger/-innen vor tiefen Eingriffen und den Rechtsstaat in seinem Bestand zu schützen.“

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