Sachsens Innenminister sind zutiefst davon überzeugt, dass man Kriminalität am besten dadurch in den Griff bekommt, dass man Überwachung und Kontrolle ausweitet. Am besten in Bereichen, wo die sozialen Konflikte unserer Gesellschaft am stärksten sichtbar werden. Die Waffenverbotszone im Leipziger Osten ist nicht das einzige Relikt dieses Denkens. Mit einer Broschüre zu „gefährlichen Orten“ beleuchtet Die Linke jetzt das Problematische dieser Kontrolldrucks.

Derzeit sind allein in Leipzig dauerhaft fünf Orte als „gefährlich“ kategorisiert. Das zeigen regelmäßige Anfragen der Leipziger Landtagsabgeordneten Juliane Nagel. Immer wieder greift die Polizei zudem zum Instrument der sogenannten Kontrollbereiche, etwa im Zusammenhang mit Demonstrationen oder zu Silvester am Connewitzer Kreuz. An diesen Orten, die in § 19 Abs. 1 des Sächsischen Polizeigesetzes normiert sind, kann die Polizei verdachtsunabhängig und anlasslos Personalien feststellen, Sachen und an sogenannten „gefährlichen Orten“ auch Personen durchsuchen, ohne dass ein konkreter Straftatverdacht besteht.

Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) geht mit regelmäßigen Kleinen Anfragen der Frage nach, nach welchen Kriterien diese Orte deklariert werden und wie die Kontrollpraxis aussieht. Sie hat immer wieder Betroffene von verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen beraten. Vor über drei Jahren erklärte beispielsweise das Verwaltungsgericht Leipzig eine verdachtsunabhängige Kontrolle durch die Polizei auf einer Straße mit angeblich erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität (§ 19 Absatz 1 Satz 5) für rechtswidrig (Az.: 3 K 1994/14). Eine weitere Klage gegen eine Kontrolle in einem Kontrollbereich liegt derzeit beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht.

Wobei gerade Connewitz ein besonderer Fall ist, weil hier nun einmal ein Schwerpunkt der alternativen Szene in Leipzig ist, auf den die Polizei zum Teil auch mit harschen Maßnahmen reagiert.

Was aber eben nicht bedeutet, dass Connewitz dadurch mehr Kriminalität aufweist. Im Gegenteil. Im April fragte Juliane Nagel mal wieder nach. Der damals mit viel Aufsehen eingerichtete Polizeiposten in Connewitz ist nun fünf Jahre alt. Wie hat sich da also die Kriminalität in Connewitz entwickelt?

Innenminister Roland Wöller (CDU) antwortete darauf mit ein paar Zahlen:

„Stadt Leipzig: 6.164Straftaten
Ortsteil Connewitz:1.871Straftaten
Bereich Wiedebachplatz/Biedermannstraße/BornaischeStraße:465Straftaten

Das Kriminalitätsaufkommen in der Stadt Leipzig sank im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr um 3.219 Straftaten minus 4 Prozent). Im Ortsteil Connewitz stieg es mit 40 Straftaten leicht an (plus 2,2 Prozent).“

Zu erwähnen ist freilich, dass die Zahl der Straftaten hauptsächlich sank, weil die Zahl der Diebstähle und Einbrüche (wie im ganzen Stadtgebiet Leipzigs) zurückging. Und wenn Wöller hier von einem Anstieg der Straftaten in Connewitz spricht, dann darf man auch nicht vergessen, dass diese Zahl 2017 schon deutlich zurückgegangen war – von 2.348 im Vorjahr auf 1.831.

Und noch etwas muss man erwähnen. 2016 lag die Straftatenzahl in Connewitz vor allem durch Diebstähle bei 127 je 1.000 Einwohner, sank dann auf 98 und lag 2018 bei 99. Zum Vergleich das Leipziger Straftatenniveau: 123 Straftaten je 1.000 Einwohner.

Als weiterer Vergleich die Südvorstadt: Dort lag die Straftatenzahl 2017 bei 96 (2016: 115). Connewitz fällt vom Straftatenniveau also gar nicht aus dem Rahmen, hat das (Leipziger) Niveau eines bürgerlichen Stadtteils. Der Polizeiposten ist also nicht wirklich durch ein Mehr an Straftaten legitimiert.

Um umfassend über Hintergründe, Ziele und Rechtsgrundlagen für verdachtsunabhängige Kontrollen zu informieren und auf Möglichkeiten hinzuweisen, eigene Rechte zu nutzen, hat Juliane Nagel nun die Broschüre mit den Ergebnissen ihrer Abfragen und der juristischen Einordnung publiziert.

„In den Sonderkontrollzonen werden die Hürden für Grundrechtseingriffe durch die Polizei gesenkt. Bereits im gültigen Polizeigesetz werden diesbezüglich polizeiliche Kompetenzen ins Vorfeld konkreter Straftaten und Verdachtsmomente verlagert“, kommentiert sie die Herausgabe der Broschüre.

„Nicht das individuelle Verhalten eines Menschen macht ihn gegebenenfalls verdächtig, sondern schon sein Passieren von als ,gefährlich‘ konstruierten Orten beziehungsweise sein Aufhalten dort – vor allem an Orten, an denen sich gesellschaftliche Probleme, etwa Armut, verdichten, oder an denen Menschen sich selbstbewusst und kritisch mit staatlichem Handeln auseinandersetzen. Wer visuell oder habituell aus einer gesellschaftlichen Norm fällt, gerät viel schneller in den Fokus der Polizei. Dies kann besonders sozial Benachteiligte, alternativ aussehende Menschen und Migrant/-innen betreffen. Mit der Broschüre will ich aufklären und dazu animieren, sich nicht einschüchtern zu lassen.“

Die Broschüre kann wochentags 10 bis 19 Uhr im linXXnet, Brandstraße 15 in Leipzig, abgeholt werden.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Nicht zu vergessen, die Touristen, die mit großen Koffern und Rucksäcken durch Leipzig laufen und sich hilfesuchend nach dem Weg umschauen, (Meistens sehen die dann auch noch ‘ausländisch’ aus, also nicht so, wie ‘man’ sich einen ‘normalen Bürger’ so vorstellt).

Aber der einzelne Polizeibeamte wird schon, so als Mensch wissen, wen er als Gefährder erkennt. Justiz brauchts da nicht. >:(
Gefährdererkennung und -bewertung wird vom Strafrecht in Polizeirecht verlagert. Und ‘Gefahr’ liegt im Auge des Betrachters.
Ich glaube nicht, dass die Trennung von Judikative und Exekutive im Grundgesetz so verbogen werden darf.

Cathleen Martin in ihrer (mindestens) 3-fach-Funktion als Expertin, Kriminalbeamtin, Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Sachsen (also die vom Herrn Wendt: de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Wendt) zum neuen Sächsischen Polizeigesetz auf die Frage des Moderators:
“Aber lauf ich da nicht wirklich Gefahr dass, dass ganz ganz viele unbescholtene Bürger mit in ihr Visier kommen und dass sie die alle unter Beobachtung halten?”
“Also ich glaube, diese Video-Überwachung auf Plätzen z.B. wenn ich nichts zu verbergen habe, verhalte ich mich wie ein ganz normaler Mensch. Es sind die gewissen Anhaltspunkte, die da sein müssen, um tatsächlich als Gefährder bekannt gemacht zu werden oder beobachtet zu werden.
Wenn ich als normaler Bürger unterwegs bin, ja, mit n Freund, mit nem Partner, wie auch immer, interessiert das die Polizei herzlich wenig, wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin.
Bin ich mit großen Taschen, Rucksäcken, was weiß ich nicht was, unterwegs, verhalte mich dort verdächtig, benehme mich anders als andere,
dann bin ich natürlich im Visier erst mal der Polizei.”

ab ca. min 13:00
Höchst verdächtig – Deutschland verschärft seine Polizeigesetze
21.01.2019 Fakt ist! · MDR Fernsehen
https://www.ardmediathek.de/mdr/player/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy8wNjJkOGIxNS0wMDFmLTRkNDgtYTllOS0xZjJkYzkwNjg4NmQ/

Die ganze Sendung ist interessant, aber wer noch wissen möchte, wie ‘die Polizei’ sich selbst kontrolliert, ab ca. min 33:00 zur Kennzeichnungspflicht.
Der sächsische CDU-Innenminister war durch einen anderen Termin verhindert, sich der Live-Diskussion zu stellen..(min 2:20)
_________________________________________________________________________________________
Inzwischen ‘kümmert’ sich Frau Cathleen Martin auch um die Auslegung bzw. Abschaffung der Freizügigkeit (Art. 11 GG) als designierte Freie Wähler-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl Sachsen (bei der CDU (ihr voriger Politik-Versuch) wurde ihre ‘Leistung’ nicht mit einem Landtagsmandat belohnt):
Freie Presse, 02.05.2019
Zuzugsstopp für Großstädte?
“Aber es sollte kein Zuzug mehr erfolgen einfach aus der Laune heraus: Ich gehe mal in die große Stadt, das ist für mich bequemer.”
https://www.freiepresse.de/nachrichten/sachsen/zuzugsstopp-fuer-grossstaedte-artikel10506345

de.wikipedia.org/wiki/Artikel_11_des_Grundgesetzes_für_die_Bundesrepublik_Deutschland#Normierung
“Art. 11 GG lautet seit seiner letzten Änderung am 24. Juni 1968[1] wie folgt:
(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus BESONDERE LASTEN entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.
[..]
Art. 11 GG bindet gemäß Art. 1 Absatz 3 GG die Staatsgewalten Exekutive, Legislative und Judikative.”

Also, die Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge im Sozialleistungsbezug (l-iz.de/melder/wortmelder/2017/10/Landkreisbezogene-Wohnsitzauflage-soll-jetzt-auch-in-Sachsen-umgesetzt-werden-194260),
dann die §§20,21,61 SächsPVDG zu Meldeauflagen, Aufenthaltsanordnungen und Kontaktverboten, elektronische Aufenthaltsüberwachung (mithilfe sog. Fußfesseln) für durch die Polizei als ‘gefährliche Personen’ vermutete Menschen (s.o.) (amnesty.de/sites/default/files/2018-11/Amnesty-Stellungnahme-Polizeigesetz-Sachsen-November-2018_0.pdf, S.8ff),
da bleiben dann eigentlich erst mal nur noch die HartzIV-Empfänger und -Aufstocker (und andere von Sozialleistungen abhängige, Rentner in Grundsicherung als Sozialhilfe, vermutlich auch Grundrentner mit Bedürftigkeit-sprüfung z.B.).
(Das ‘neue’ Meldegesetz wird ein übriges tun, da man ohne vom Eigentümer bestätigten Mietvertrag, keine Anmeldebescheinigung bekommt. Und der Vermieter kann sich ja aussuchen, wen er wohnen lässt, der Rest ist halt obdachlos.)

Also, der Teil der Gesellschaft, der ‘der Wirtschaft’ als Käufer wenig bringt (und dessen ‘Kosten’ gegen Null gekürzt werden sollen) bzw. den Segen des Wirtschaftskapitalismus in Frage stellt, kontrolliert ab aufs Land, vermutlich ersteinmal.

Hoffentlich wählt auch wenigstens (fast) keiner die ‘Freien Wähler’, mit der Würde des Menschen (Art. 1 GG) haben die offensichtlich nichts am Hut.

Von den technischen Möglichkeiten konnte die Stasi nur träumen, da gabs ‘nur’ Inhaftierung, Ausbürgerung vs. (Reise-)Passentzug .. und den PM12 als brandmarkenden ‘Ersatzausweis’ des Personalausweises der DDR.
Damit verbunden werden konnten regelmäßige Meldungen beim örtlichen Volkspolizei-Revier, Einreisesperre für bestimmte Gebiete, Berufsverbote etc. ‘Missliebige’ Personen konnten so ausgegrenzt und überwacht werden, da man seinen Ausweis ständig dabeihaben und bei vielen Gelegenheiten vorzeigen musste.
Nicht erkennbar war, ob der jenige willkürlich als ‘politischer Gefährder’ (z.B. auch wegen Ausreiseantrag) oder ‘asozial’ (Künstler ohne Einkommen (staatliche Einstufung), Blues-Tramper, Nicht-Unterhaltszahler u.ä.) eingestuft war. Konnten aber entsprechende Behörden (VP, Kaderabteilung der Betriebe etc.) sehr schnell in Erfahrung bringen.
Die DDR wollte mit staatsterroristischen Mitteln einen ‘sozialistischen’ Menschen erziehen,
was hier und jetzt als Erhöhung der Sicherheit wegen Terrorgefahr bzw. inzwischen auch durch Strafrechtsverschärfungen bis hin zu ehemals Ordnungswidrigkeiten als Kriminalitätsgefahr vermarktet wird,
dient nur dazu die Gesellschaft zu spalten und zu überwachen. Damit der ‘Markt’ weiter wachsen kann, ohne von der Gesellschaft ‘sozial’ belästigt zu werden.

Und auch gerade deshalb sind Menschen, wie die Juliane Nagel absolut wichtig, die sich mit ihrem Herzen und Verstand für unsere Demokratie einsetzen und diese als Politiker/in mit und für uns schützen und zum Bessern gestalten.
Und dazu gehört vorallem auch die Aufklärung, im Kantschen Sinne wohlgemerkt.

Dankeschön von Herzen, liebe Jule.

Schreiben Sie einen Kommentar