Es ist zwar Landtagswahlkampf und Politiker greifen zur großen Keule. Aber das heißt nicht, dass sie tatsächlich so frei sind, Tatsachen immer wieder verdrehen zu können. So lange, bis falsche Behauptungen dabei herauskommen, so wie beim sächsischen FDP-Vorsitzenden Holger Zastrow am Freitag, 19. Juli: „Leerer Fördertopf für kommunalen Straßenbau ist Bankrotterklärung von Verkehrsminister Dulig.“ Die Frage lautet: Warum schießt er auf den schwächeren Gegner?

Na ja, die Antwort hat Niccolò Machiavelli schon 1513 gegeben. Da erschien das Werk, mit dem der damals 44-jährige Philosoph, Politiker und Diplomat aus Florenz weltberühmt werden sollte. Und das bis heute wirkt, weil es eben, anders als „Il Principe“ (Der Fürst) suggeriert, kein Buch ist, das das richtige Herrschen mittelalterlicher Fürsten beschreibt. Denn die Fürsten, denen Machiavelli diente und an deren Erfolg er dachte, waren keine Erben alter Throne, sondern Emporkömmlinge, Glücksritter der Macht, also Menschen schon der neuen Zeit, in der die Macht mit Geld, Rücksichtslosigkeit und Geschick erobert werden konnte.

Und in der sich solche Eroberer der Macht auch eine Aura der legitimen Macht verschaffen mussten.

Das Büchlein ist all die 500 Jahre nie unmodern geworden. Weil es eben kein Buch des idealen Herrschers ist. Selbst Friedrich II. von Preußen, der Machiavellis Methoden selbst anwandte, fand den offenen Zynismus des Italieners so verstörend, dass er einen eigenen „Anti-Machiavelli“ schrieb.

Den kaum ein Politiker liest, weil die meisten wissen, dass man mit den von Machiavelli geschilderten Methoden wirklich weit kommt. Nicht nur mit denen, mit denen man sich rücksichtslos an die Macht bringt und sich dann ebenso rücksichtslos aller Gegner entledigt, sondern auch jenen Methoden, mit denen man dann jene Aura schafft, die dem gewöhnlichen Volk das Gefühl gibt, dass der Herrscher auf dem Thron von Rechts wegen dort sitzt.

Denn die Hälfte aller Politik ist Psychologie und schöner Schein. In Machiavelli steckt auch schon eine ganze Menge modernen Marketings. Solches, mit dem man die usurpierte Macht verhüllen, verklären und bunt anmalen kann. Und solche, mit denen man die Gegner in schlechtes Licht stellt und damit angreifbar macht.

„Die Menschen sind so einfältig und hängen so sehr vom Eindruck des Augenblickes ab, dass einer, der sie täuschen will, stets jemanden findet, der sich täuschen lässt“, schreibt Machiavelli. Das könnte jede PR-Agentur über ihre Tür schreiben. Und nicht ganz zufällig ist auch Holger Zastrow, Vorsitzender der sächsischen FDP, Inhaber einer PR-Agentur.

„Nach Medienberichten und einer Bestätigung durch das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) können sächsische Kommunen erst ab dem Jahr 2021 wieder eine Förderung für den kommunalen Straßenbau erhalten. 326 bereits gestellte Anträge der Kommunen erhalten keinen Förderbescheid“, ließ er vermelden. Gelesen hatte er es in der „Freien Presse“, der Chemnitzer Tageszeitung, die unter den Lokalzeitungen in Sachsen die kürzesten Drähte in die regierende CDU hat.

Und dass die „Freie Presse“ so emsig über die vermuteten Unfähigkeiten des SPD-Verkehrsministers Martin Dulig berichtet, hat mit dieser Nähe zu tun. Auch bei der „Freien Presse“ setzt man darauf, dass die Leser (das Volk) vergesslich sind und sich nicht mehr erinnern, was noch vor vier Monaten geschrieben wurde.

Zastrow: „Der leere Fördertopf für neue kommunale Straßenbauvorhaben ist eine weitere Bankrotterklärung des sächsischen Verkehrsministers, Martin Dulig. Das bisherige Chaos bei der Förderung des Straßenbaus ist jetzt um eine neue Facette reicher. Es ist eine absolute Frechheit, gegenüber den Kommunen zu erklären, dass eine Förderung von Bauvorhaben erst für das Jahr 2021 wieder möglich wird.“

Eigentlich hat sich seit März gar nichts geändert an dem Thema. Damals waberte die Geschichte schon einmal durch den Blätterwald und animierte kampflustige Politiker dazu, sich in die Arbeit von Martin Dulig zu verbeißen, der natürlich eine Menge Probleme hat. Er hat 2014 ein Ministerium geerbt, das von Politikern anderer Parteifarben geprägt war, in denen das konservative Denken regelrecht betoniert war. Wer die L-IZ fleißig mitlas weiß, worum es damals ging: um ausufernde Bauprogramme für immer neue Staatsstraßen, Autobahnen und Ortsumgehungen. Und regelrecht betoniertes Unverständnis für die Klagen der Kommunen, dass sie einfach nicht genug Geld für den kommunalen Straßenbau und Straßenerhalt bekamen.

Einer der ersten Akte in der Amtszeit des neuen Verkehrsministers Martin Dulig war, die Summe der bereitgestellten Fördermittel für den kommunalen Straßenbau deutlich zu erhöhen und vor allem die Fördersätze deutlich zu verbessern. Denn viele sächsische Kommunen konnten überhaupt keine Straßenbaugelder beantragen, weil sie nicht genug Eigenmittel hatten.

Mal aus einer offiziellen Meldung des SMWA 3. Mai 2016 zitiert: „Für die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur stellt der Freistaat einschließlich der Ausgabereste in diesem Jahr rund 188 Millionen Euro zur Verfügung. Die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel im Doppelhaushalt werden je zur Hälfte in eine Instandsetzungs- und Erneuerungspauschale und in Einzelmaßnahmen (z. B. Neubau und grundhafter Ausbau) aufgeteilt. Insgesamt rund 150 Millionen Euro wurden bereits bewilligt.

Mit der Anpassung der Förderrichtlinie Ende letzten Jahres investiert der Freistaat deutlich mehr Fördermittel in die kommunale Infrastruktur als bisher. Neben einer Anhebung der Fördersätze auf bis zu 100 Prozent wurde auch eine Instandsetzungs- und Erneuerungspauschale eingeführt. ,Für die Kommunen hat sich damit insbesondere bei Erhaltungsmaßnahmen die finanzielle Ausstattung verbessert. Seit diesem Jahr erhalten die Kommunen erstmals einen Pauschalanteil der Mittel für die Erhaltung der bestehenden Infrastruktur. Dadurch wird sich das kommunale Straßennetz wesentlich verbessern, da die Kommunen in der Vergangenheit teilweise nicht in der Lage waren, ihren Eigenanteil aufzubringen‘, so Verkehrsminister Martin Dulig.“

Das waren übrigens schon so viele Mittel, dass es die beantragenden Kommunen gar nicht schafften, sie auch alle abrufen zu können. Anfang 2019 konnte Dulig von Ausgaberesten von 102 Millionen Euro berichten, die nicht abgerufen worden waren und deshalb ins Jahr 2019 verschoben wurden, wo sie dann die Summe der 2019 bereitgestellten Mittel auf 334 Millionen Euro erhöhten. Die Landesregierung packte dann noch einmal 32,5 Millionen Euro drauf. Denn mittlerweile waren über 600 Förderanträge aus den Gemeinden beim Landesamt für Straßenbau eingetrudelt.

Aber die „Freie Presse“ exerzierte dann schon einmal vor, wie man im Landtagswahljahr mit dem Thema umzugehen gedachte. So zitierte man den Gemeindetagsgeschäftsführer Mischa Woitscheck mit den Worten: „Das reicht immer noch nicht, um den Bedarf zu decken.“ Und den Vertreter der Landkreise André Jacob: „Natürlich freuen wir uns über das zusätzliche Geld. Das ändert jedoch nichts daran, dass 2019 durch den Stillstand ein verlorenes Jahr ist – obwohl alles viel schneller gehen sollte.“

Das war im März. Dem Monat, in dem die Antragsbewilligungen in der Regel erst beginnen. Wenn also im Juli von 602 Neuanträgen (von denen Dulig im März berichtete) 326 noch nicht bearbeitet waren, die Fördergelder aber trotzdem alle zugewiesen sind, heißt das natürlich, dass 2019 ganz und gar kein verlorenes Jahr ist. Es wird gebaut. Die Gelder sind ja bewilligt. Ob auch alle verbaut werden bei der Knappheit an Baufirmen in Sachsen, ist eine völlig andere Frage. Und viele Bauprojekte werden sich bis ins Jahr 2020 ziehen, also auch noch die neu gewählte Regierung erfreuen.

Und diesen Stand, bei dem gerade 360 Millionen Euro mit Förderbewilligung für die Gemeinden gebunden wurden, verdreht Zastrow – ganz Machiavelli – zu der Behauptung: „Der leere Fördertopf für neue kommunale Straßenbauvorhaben ist eine weitere Bankrotterklärung des sächsischen Verkehrsministers, Martin Dulig.“

Wer 360 Millionen Euro ausgibt, ist nicht bankrott. Dass das Bewilligungsregime in Sachsen hochgradig bürokratisch ist, ist eine andere Frage.

Worüber man übrigens in Sachsen auch nicht mehr diskutieren müsste, wenn sich die SPD mit ihrem Anliegen durchgesetzt hätte, den Gemeinden generell eine höhere Investitionspauschale zu gewähren, sodass sie selbst entscheiden könnten, wann sie welche Straße reparieren. Aber damit scheiterte sie am großen Koalitionspartner CDU, der sich auch bei der Bewilligung der Förderbescheide das letzte Wort vorbehält, denn selbst wenn das Landesamt für den Straßenbau sein „Ja“ gegeben hat, geht der Bescheid trotzdem noch in den CDU-geführten Haushaltsausschuss, wo das ganze geballte Misstrauen der CDU in die Vertrauenswürdigkeit der Kommunen sitzt. Erst wenn der Haushaltsausschuss zugestimmt hat, gehen die Bewilligungsbescheide raus.

Deswegen irrte die „Freie Presse“, als sie am 21. März großmäulig schrieb: „Beunruhigen dürfte das wohl auch diejenigen Abgeordneten, die im Wahlkampfsommer auf Bilder von Baufortschritten gehofft hatten.“

So etwas schreibt man, wenn man sein Büro nie verlässt. In Wahlkampfsommern (und anderen Sommern auch) reisen Minister und Staatssekretäre in Begleitung ihrer Lieblingsabgeordneten nicht herum, um Bänder zu Straßeneinweihungen durchzuschneiden, sondern um Förderbescheide zu überreichen. Auch in Sachsen werden Straßen nicht in drei Monaten gebaut, schon gar nicht, wenn man mit dem Förderbescheid in der Hand erst mal auf die Suche nach einer Baufirma gehen muss.

Aber Zastrow hat seinen Machiavelli gelesen. Kein Autor dominiert die aktuelle Politik wie Niccolò Machiavelli, der auch den schönen Satz formulierte: „Verträge bricht man um des Nutzens willen.“ Das erinnert einen doch an einen gewissen … Kann das sein?

Die ganze Serie „Nachdenken über …“

Wie kommt es, dass Sachsens Kommunen über 100 Millionen Euro für Straßenbau einfach nicht abrufen?

Wie kommt es, dass Sachsens Kommunen über 100 Millionen Euro für Straßenbau einfach nicht abrufen?

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