Sie geben sich harmlos, basteln sich eigene Ausweise, erfinden sich eigene Staatssymbole. Aber die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter eint vor allem eins: die Verachtung für die Demokratie und das Grundgesetz. Das ist oft nicht nur mit rechtsradikalem Denken kompatibel – es ist oft auch die Methode gewaltbereiter Rechtsradikaler, sich zu profilieren. Und in Sachsen sind seit einigen Jahren so einige „Reichsbürger“ aktiv, die auch regelmäßig straffällig werden.

Und weil sie in diversen Strafakten auftauchen, gibt es auch genug Zahlen, die man dazu bei der sächsischen Staatsregierung abfragen kann. Was Kerstin Köditz, in der Linksfraktion im Landtag für Innenpolitik zuständig, auch regelmäßig tut.

Das jüngste Ergebnis: Gegen sogenannte Reichsbürger aus Sachsen wurde 2019 in mindestens 145 Fällen ermittelt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Datenauswertung beim Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum des LKA Sachsen. Eine Fallauflistung hat das Innenministerium auf Anfrage (Drucksache 7/2092) von Kerstin Köditz vorgelegt.

„Die absolute Fallzahl ist im Vergleich zu den Vorjahren erkennbar gesunken: 2018 waren 203 Taten erfasst worden (Drucksache 6/16891), 2017 waren es sogar 235 gewesen (Drucksache 6/12298). Damals waren allerdings noch wesentlich mehr Personen – 1.300 bis 1.400 – dem Spektrum der Reichsbürger zugeordnet worden, gegenwärtig sind es ,nur‘ noch rund 1.000“, stellt Kerstin Köditz fest.

„Damit ist die Szene geschrumpft, aber kaum weniger kriminell als bisher. Sichtbar ist auch nur die Spitze des Eisbergs: In die Statistik gingen mit wenigen Ausnahmen nur Fälle ein, die auf bekannte Szeneanhänger zurückgeführt werden können. Insgesamt wurden 148 Tatverdächtige ermittelt. Davon sind, ähnlich deutlich wie in den Vorjahren, rund 86 Prozent Männer.“

Die Tatorte liegen in den meisten Fällen in der Stadt Dresden (25) sowie in den Landkreisen Bautzen (22), Zwickau (18), Mittelsachsen (15), Görlitz (14) und dem Erzgebirgskreis (13).

„Diese Regionen waren auch in den Vorjahren obenauf“, stellt Köditz fest. „Sehr wenige Fälle gab es dagegen in der Stadt Leipzig und dem Vogtlandkreis (je 4), für den Landkreis Leipzig wurden gar keine bekannt. Es bestätigt sich unterm Strich erneut der generelle Trend, dass Reichsbürger überwiegend ein Problem in weniger dicht besiedelten Regionen sind. So entfallen auf die drei großen Städte Dresden, Chemnitz und Leipzig zusammen weniger als ein Viertel, auf die fünf am häufigsten betroffenen Landkreise dagegen mehr als die Hälfte der Fälle.“

In der Statistik wurden 35 unterschiedliche Straftatbestände vermerkt. Besonders häufig kommen Nötigungen (33), Beleidigungen (15) und Bedrohungen (9) vor, relativ viele Taten betreffen zudem den Straßenverkehr (14). Als „Reichsbürger“ agieren also vor allem Leute, die sowieso schon ihre Schwierigkeiten haben, sich an die für alle gültigen Gesetze und Regeln zu halten. Die Behauptung, die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat, ist also nur eine fade Ausrede für ein latent ordnungswidriges Verhalten.

Verbucht wurden daneben sieben Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, sechs Körperverletzungen, fünf Sachbeschädigungen und drei Verstöße gegen das Waffengesetz. Knapp die Hälfte aller Fälle (67) wird als politisch motivierte Kriminalität eingestuft, bei fünf der Taten gab es Verletzte. Häufig halten die Ermittlungen derzeit noch an (42) oder es ist noch keine Entscheidung über juristische Folgen ergangen (55). Zudem wurden 31 Verfahren aus unterschiedlichen Gründen bereits eingestellt. Geldstrafen wurden 15 mal verhängt, außerdem eine Bewährungsstrafe.

„Die neuen Daten zeigen, dass auf die Reichsbürger weiterhin genau geachtet werden muss“, zieht Kerstin Köditz ihre Schlussfolgerung. „Erst seit gut drei Jahren – nachdem es zu schweren Gewaltverbrechen gekommen war – wird dieses Spektrum auch in Sachsen amtlich beobachtet. Ein fortlaufendes Monitoring der Straftaten aus diesem Bereich gibt es aber leider nicht: Erst im Frühjahr 2021 sollen neue Zahlen zusammengetragen werden.“

Verbotene „Reichsbürger“-Gruppe hat auch enge Beziehungen zu sächsischen Radikalen

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