Am Donnerstag, 26. November, informierte die Staatsregierung den Innenausschuss des Sächsischen Landtages über die ersten Ergebnisse des Berichtes des Sonderermittlers Klaus Fleischmann zu den illegalen Fahrradverkäufen bei der Polizei in Leipzig, dem sogenannten Fahrradgate. Aber nach der Sitzung war es wie so oft in Sachsen: Die einen sahen mal wieder nur Einzeltäter, die anderen ein auffälliges Führungsproblem in der sächsischen Polizei.

Womit auch diese Sitzung ein Blick in ein Politikverständnis ergab, das sich wohl deutlich unterscheiden dürfte von dem, was Wähler/-innen eigentlich erwarten, wenn sie alle fünf Jahre zur Wahl gehen. Dass nämlich die Gewählten ihr kleines Ego und ihr Parteiinteresse hintanstellen und allein für das Wohl des Freistaates und seiner Bürger arbeiten. Und dafür auch das befähigte Personal einstellen und nicht so tun, als wären Staatsbeamte schon durch Beamtenstatus und Dienstgrad unfehlbar.

Und das Fahrradgate ist ja nicht das erste Problem dieser Art, mit dem das seit 1990 CDU-geführte Innenministerium negative Schlagzeilen produziert.

Auch der aktuelle sächsische Innenminister Roland Wöller war nicht wirklich aus dem Schneider nach dieser Sitzung.

Auch wenn der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Rico Anton, nach der Sitzung meinte: „Der Bericht ist ein wichtiger Meilenstein zur Aufklärung dieser kriminellen Machenschaften. Er zeigt auch, dass zum derzeitigen Ermittlungsstand nicht von einem organisierten Netzwerk bei der Polizei Leipzig gesprochen werden kann. Es handelt sich vielmehr bei den Verkäufern um Einzeltäter.“

Wie er sich dann auf einzelne Worte des Berichterstatters konzentrierte, spricht schon Bände: „Bei den Käufern aus den Reihen der Polizei konnten keine Mehrfachkäufe ermittelt werden. Klarzustellen ist, dass der Bericht des Sonderermittlers weder die laufenden Ermittlungen noch die diziplinarrechtlichen Verfahren ersetzt. Ziel war es, so schnell wie möglich Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. So konnten schon jetzt organisatorische und strukturelle Defizite aufdeckt sowie entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Zum Beispiel arbeitet das Innenministerium an einer neuen Vorschrift zum einheitlichen Umgang mit Asservaten.“

Es ging nie um Mehrfachkäufe, also so eine Art Weiterverkäufer der zu Unrecht an Polizeibeamt/-innen verkauften Fahrräder. Es ging um den illegalen Verkauf der beschlagnahmten Fahrräder an Polizeibeamt/-innen überhaupt. Und der war auch schon durch die geltenden Regeln zum Umgang mit Asservaten nicht gedeckt.

Logisch, dass die Opposition deutlich deftigere Worte für das fand, was in dieser Ausschusssitzung zur Sprache kam.

Kerstin Köditz: Wöllers versuchter Befreiungsschlag überzeugt kein bisschen

Der Innenausschuss des Landtages befasste sich am 26. November ja nicht nur mit dem Korruptionsskandal #Fahrradgate, sondern auch mit der Löschaffäre beim Landesamt für Verfassungsschutz und mit dem Staatsversagen bei den Infektionsschutzgegner-Demos in Leipzig am 7. und am 21. November 2020, wo die Polizei ganz unübersehbar völlig überfordert war.

„Innenminister Roland Wöller, den der Ministerpräsident aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen immer noch nicht entlassen hat, hat heute einen Befreiungsschlag versucht. Er will abmoderieren, wofür er zu Recht in der Kritik steht: seine Ahnungslosigkeit im Fahrradgate-Korruptionsskandal, seinen Schlingerkurs im Umgang mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und nicht zuletzt das wiederholte Kuschen des Staates vor Infektionsschutzgegnern bei Versammlungen“, sagte Kerstin Köditz, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, am Donnerstag.

„Die einzige Konstante in Wöllers Politik ist sein Versuch, die Last der Verantwortung auf andere abzuwälzen – je nach Lage auf die Generalstaatsanwaltschaft, das Landesamt für Verfassungsschutz, das Oberverwaltungsgericht oder die Polizeiführung.“

Und das Problem beim Fahrradgate auf Einzeltäter/-innen abzuschieben, hat aus ihrer Sicht überhaupt nicht funktioniert. Eher wurde wieder ein Minister sichtbar, der nicht ministriert und dem Agieren der ihm unterstellten Behörden eher überfordert zuschaut.

„Sein Versuch, sich von seinem Sonderermittler in der Fahrradgate-Affäre politisch freisprechen zu lassen, überzeugt nicht – schon weil Herr Fleischmann gar keine Akteneinsicht hatte. Die Schuld am Informationsversagen lässt Wöller ihn dennoch auf die Polizei abschieben“, so Köditz. „Ich bleibe dabei: Ein Minister ohne Überblick ist ungeeignet, egal ob er sich wichtige Informationen nicht beschafft oder ob man sie ihm lange vorenthält. Dass die Polizei Leipzig zunächst keine Fahrräder mehr an gemeinnützige Vereine verschenken, sondern diese versteigern will, gehört zum Flurschaden.“

Wobei die Frage durchaus bleibt: Welche Spielräume hat ein Minister, der 2019 das auch damals schon massiv kritisierte Erbe seines Vorgängers Markus Ulbig übernommen hat. Denn unter dessen Ägide wurden ja all Strukturen geschaffen, die heute im Brennpunkt der Kritik stehen. Und auch Ulbig agierte nie im luftleeren Raum. Ämterbesetzungen sind politisch. Gerade in Sachsen wird damit auch direkt über den Staatsapparat Politik gemacht. Auch wenn es Köditz erst einmal anders interpretiert.

„Herr Wöller hat sein Haus nicht im Griff“, sagte die Landtagsabgeordnete der Linken. „Davon zeugte sein hilfloser Versuch, mit Vorwürfen des Verfassungsbruchs den Schwarzen Peter für problematische Datensammlungen ins Landesamt zu schieben. Diese Behörde kann aus heutiger Sicht niemand ernst nehmen, woran auch das Innenministerium als Fachaufsichtsbehörde unter Wöllers Führung großen Anteil hat. Führungsversagen im Landesamt ist stets auch Führungsversagen des Innenministers. Die Analysefähigkeit des Landesamtes hat sich auch unter Wöllers Ägide nicht verbessert, sie ist stark mangelhaft.“

Mittlerweile wurde ja auch bekannt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz völlig gegen seinen Auftrag Abgeordnete von Linken und Grünen beobachtet.

Und was die Polizei in Leipzig zu den Querdenken-Demos ablieferte, war völlig indiskutabel, so Köditz: „Das wiederholte Zurückweichen der Polizei vor Infektionsschutz-Gegnern, die sich mit Ansage jeglichen Auflagen widersetzen, hat den Staat blamiert. Wöller zeigt weiter keine Bemühungen, diese Fehler ernsthaft aufzuarbeiten und daraus zu lernen. Im Ausschuss hat er heute gar nichts Inhaltliches zu diesem Thema gesagt – das musste der Landespolizeipräsident übernehmen. Ich bleibe bei dem, was ich schon immer gesagt habe: Roland Wöller ist der falsche Mann im Amt des Innenministers.“

Valentin Lippmann: Die Polizeiführung hat die Brisanz des Ermittlungsverfahrens unterschätzt und die Öffentlichkeit zu spät informiert

Und auch Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, sieht nach der Ausschusssitzung keine Entlastung für den Innenminister.

„Der Vorwurf eines korruptiven Netzwerkes innerhalb der Leipziger Polizei ist mit diesem Bericht mitnichten vom Tisch, sondern ist Gegenstand weiterer staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Das hat der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft heute auch noch einmal deutlich gemacht – und zwar unabhängig von der Frage, was im Bericht von Herrn Fleischmann steht“, sagte Lippmann am Donnerstag. Der Auftritt von Klaus Fleischmann war also nicht viel mehr als ein Ablenkungsmanöver.

Lippmann: „Der durch Herrn Fleischmann vorgetragene Bericht ist indes ein Zwischenstand, der deutlich aufzeigt, wie es zu erheblichen Problemen in der Asservatenverwaltung in der Leipziger Polizei kommen konnte und wie es im Anschluss zu gravierenden kommunikativen Fehlleistungen zu den Vorfällen gekommen ist. Der Bericht belegt, dass die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens in der Polizeiführung in Leipzig und im Innenministerium unterschätzt wurde. Insbesondere hat man unterschätzt, welchen Personalbedarf es benötigt, um die Ermittlungen konsequent zu führen. Außerdem hat man es unterlassen, spätestens zu jenem Zeitpunkt, als Durchsuchungen gegen Polizeibedienstete durchgeführt wurden, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass wegen Straftaten gegen Polizeibedienstete ermittelt wird.“

Womit genau die Frage auf dem Tisch liegt, die Wöller vermeiden wollte: die nach der Kompetenz seines Führungspersonals.

„In der Bilanz bleibt festzuhalten, dass die Brisanz des Fahrradgates in der kompletten Polizeiführung unterschätzt und in der Folge im Innenministerium nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen wurden, um für die notwendige Transparenz zu den Vorgängen zu sorgen. Das ist kein geeigneter Umgang mit einem Verfahren, in dem vor allem Polizistinnen und Polizisten Straftaten bezichtigt werden“, sagt Lippmann.

„Für uns Bündnisgrüne ist klar, dass der Innenausschuss den, erst nach der Sitzung zur Verfügung gestellten, Bericht gründlich auswerten und notwendige Schlüsse zur Korruptionsbekämpfung innerhalb der Sicherheitsbehörden ziehen muss. Neben der Vereinheitlichung der Asservatenverwaltung in der Polizei braucht es, auch mit Blick auf die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie der EU, eine Diskussion über Vertrauensanwältinnen und -anwälte, die Meldungen zu Korruptionsverdacht entgegennehmen können.“

Albrecht Pallas: Fahrradgate hat Vertrauen gekostet und Ansehen der Polizei beschädigt

Und auch in der SPD ist man nicht wirklich geneigt, das Thema jetzt schon abzumoderieren.

„Der Bericht des Sonderermittlers liefert einen Sachstandsbericht zu den Ermittlungen, der sich auf Aussagen der Generalstaatsanwaltschaft stützt und, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, keine abschließende Bewertung zu Taten, Strukturen und möglicher Korruption ermöglicht. Das ganze Ausmaß wird sich wohl erst nach Ende der Ermittlungen umfänglich darstellen“, erklärt Albrecht Pallas, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion.

„Klar ist aber jetzt schon, dass hier aus der Polizei heraus mit großer krimineller Energie und einem erschreckenden Maß an fehlendem Unrechtsbewusstsein agiert wurde.“

Und auch er kommt zu dem Schluss, dass die Personalpolitik des CDU-geführten Ministeriums in den letzten Jahren zu einigen eklatanten Fehlbesetzungen geführt hat. Und dabei ist er noch optimistisch, dass Wöller den Mumm hat, diese Stellen neu zu besetzen.

„Der Bericht offenbart aber auch Schwachstellen innerhalb der Polizei und des Innenministeriums. Diese müssen zügig abgestellt werden. Der Umgang mit Asservaten muss einheitlich und rechtssicher erfolgen, die Fachaufsicht muss funktionieren. Es wurde den kriminellen Bediensteten offenkundig zu einfach gemacht. Die vom Innenminister angekündigten Maßnahmen begrüßen wir ausdrücklich“, so Pallas weiter.

Was so klingt, als würde die SPD damit dem Innenminister wieder Vertrauen entgegenbringen.

Aber eigentlich sitzt das Misstrauen auch beim kleinen Koalitionspartner viel zu tief, als dass man dem zuständigen Minister noch wirklich zutraut, den Laden irgendwie in Ordnung bringen zu können.

„Wie so oft bei Skandalen ist auch beim Fahrradgate festzustellen, dass nicht nur die Taten an sich einen Vorgang zum Skandal werden lassen, sondern vor allem der Umgang der polizeilichen und politischen Führung damit“, bringt Pallas dieses Misstrauen auf den Punkt.

„Der Prüfbericht macht überdeutlich, dass die Öffentlichkeit viel zu spät und völlig unzureichend über diese kriminellen Machenschaften innerhalb der Polizei informiert wurde. Das hat zu einem enormen Vertrauensverlust geführt und das Ansehen der sächsischen Polizei beschädigt. Allerspätestens im Januar 2020, als der sächsischen Polizeiführung und dem Innenminister die Vorfälle bekannt waren, hätte die Öffentlichkeit informiert werden müssen – auch um jeden Verdacht, Informationen aus politischen oder wahltaktischen Gründen zurückzuhalten, gar nicht erst aufkommen zu lassen.“

Die wahltaktischen Gründe beziehen sich in diesem Fall auf die Oberbürgermeisterwahl in Leipzig, in der es am Ende auf ein Duell zwischen Amtsinhaber Burkhard Jung (SPD) und CDU-Herausforderer Sebastian Gemkow hinauslief, der zum Zeitpunkt des Fahrradgates immerhin sächsischer Justizminister war.

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