Anke S. gilt als Schlüsselfigur in der sogenannten Fahrradgate-Affäre, die vor fast vier Jahren aufflog und Sachsen erschütterte: Fahrräder aus polizeilicher Verwahrung seien in Leipzig zum Schnäppchenpreis vertickt worden – polizeiintern, an Mitarbeiter von Ermittlungsbehörden und an Privatleute. Als Leiterin der Asservatenkammer habe Anke S. die zentrale Rolle gespielt. Seit Dienstag steht die suspendierte Polizeihauptmeisterin am Landgericht – wegen Bestechlichkeit, Urkundenfälschung und Diebstahls.

Die sehr umfangreiche Anklageschrift, in deren stundenlange Verlesung sich Christian Kuka und Torsten Keltsch von der Generalstaatsanwaltschaft am Dienstag reinteilten, listet insgesamt 155 einzelne Fälle auf. Demnach soll die heute 47-jährige Polizeihauptmeisterin Anke S. zwischen dem 18. August 2014 und dem 26. November 2018 immer wieder Fahrräder oder Bauteile weitergereicht haben, die sich in Verwahrung der Polizei befanden.

Abnehmer der mindestens 265 teils hochwertigen Drahtesel zum Schnäppchenpreis von 50 Euro oder weniger seien meistens Kolleginnen und Kollegen von Polizeidienststellen gewesen, aber auch Freunde und Bekannte aus dem privaten Umfeld von Anke S., so die Anklage.

Wollte sie ihr Ansehen steigern?

Die suspendierte Beamtin soll im Tatzeitraum rund 4.800 Euro mit ihrer Vorgehensweise eingenommen und einen Teil davon behalten haben. Gleichwohl habe sie nicht vorrangig des Geldes wegen agiert, sondern um ihr Ansehen auf der Arbeit und im persönlichen Umfeld zu steigern, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft.

Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft. Foto: Lucas Böhme
Die Anklage wird durch Torsten Keltsch (l.) und Christian Kuka von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten. Foto: Lucas Böhme

Zur Verschleierung habe Anke S. die Verkaufstransaktionen der zumeist aus Diebstählen stammenden Räder fälschlich als Schenkung an gemeinnützige Vereine deklariert. Entsprechende Quittungen hätten dazu gedient, die Spur zu verwischen.

Anke S. war seit Januar 2013 bei der inzwischen aufgelösten „Zentralen Bearbeitung Fahrradkriminalität“ bei der Leipziger Polizeidirektion beschäftigt und entnahm laut Anklage erstmals im Jahr 2014 ein Kinderfahrrad für ihre eigene Tochter aus der Asservatenkammer. Der Anklage nach sei er Umgang mit Asservaten nicht klar geregelt gewesen und auch Altbesitzer der Räder hätten oftmals kein Interesse mehr an ihnen gehabt, sodass die Lager entsprechend voll waren.

Die Aufdeckung der illegalen Veräußerungsstrukturen im Jahr 2020 hatte öffentlich für einen Aufschrei gesorgt. Nach Ansicht des Landesinnenministeriums habe es aber kein kriminelles Netzwerk gegeben, vielmehr seien bestimmte Vorgänge intern hingenommen und nicht mehr hinterfragt worden.

Aussage der Angeklagten noch offen, Zweifel am Vorwurf des Diebstahls

Die Spur der illegalen Fahrrad-Deals führte Ermittler unter anderem bis zu einer Kleingartensparte, deren Vorsitz der Vater von Anke S. innehatte. Auch dieser Verein soll der Verdächtigen als vermeintlich Begünstigter gedient haben, jedoch nur auf dem Papier. Erst als sie bereits unter Druck geriet, habe Anke S. dem Gartenverein eine Spende vermacht.

Die Verlesung der umfassenden Anklage war am Dienstag auch zur Mittagspause noch nicht abgeschlossen und sollte am Nachmittag fortgesetzt werden. Der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr deutete zwischendurch die Möglichkeit an, den Fortgang des Verfahrens in einem möglichen Rechtsgespräch auszuloten. Ob Anke S. selbst zu den Vorwürfen Stellung beziehen will, sei noch nicht entschieden, erklärte ihr Anwalt Thomas Morguet auf Nachfrage. Für den Prozess am Landgericht sind bis 11. Juni zehn weitere Termine anberaumt.

Nach dem Stand eines Rechtsgesprächs am Nachmittag äußerte der Kammervorsitzende Zweifel, inwieweit der Vorwurf des Diebstahls rechtlich haltbar sei, da die Räder als „herrenlos“ galten. Es könnte demnach möglich sein, die Vorwürfe unter dem Aspekt der Untreue zu verhandeln und entsprechend nur die, wo Geld gezahlt worden sein soll. Dann stünde womöglich auch eine Bewährung im Raum.

Unterdessen wurden die Ermittlungen in Sachen „Fahrradgate“ laut Generalstaatsanwaltschaft abgeschlossen. Die Verfahren gegen 189 Verdächtige auf Seite der Abnehmer sind überwiegend eingestellt, zum Teil gegen Geldauflagen. Ein weiteres Verfahren gegen einen Polizeikollegen von Anke S. steht aktuell noch aus.

Zuletzt aktualisiert: 19:17 Uhr

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