Sie soll jahrelang die Schlüsselfigur und Schaltstelle gewesen sein, wenn es darum ging, Fahrräder aus polizeilicher Verwahrung zum Schnäppchenpreis zu verscherbeln: Am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht hat sich die unter anderem wegen Bestechlichkeit angeklagte Ex-Leiterin der polizeilichen Asservatenkammer erstmals zu den Vorwürfen gegen ihre Person geäußert.

Bürokratie, fehlendes Verantwortungsgefühl und Überlastung: Folgt man der Angeklagten Polizeihauptmeisterin Anke S., so erklärt sich in diesem Wulst, wie es dazu kam, dass aus der Asservatenkammer der Polizeidirektion (PD) Leipzig über Jahre hinweg Fahrräder verschwanden.

In vielen Fällen, so die Generalstaatsanwaltschaft, seien die konfiszierten Drahtesel, darunter hochwertige Markenräder, für einen Spottpreis illegal an Angehörige der Polizei, Justizmitarbeiter und Privatpersonen verkauft worden, Anke S. soll mindestens 4.795 Euro eingenommen haben. Insgesamt 155 Tatkomplexe zwischen August 2014 und November 2018 werden seit letzter Woche vor dem Landgericht verhandelt.

Angeklagte ging von Rechtmäßigkeit aus und bestreitet persönlichen Vorteil

Anke S. war laut Anklage die zentrale Figur in dem aufsehenerregenden Skandal, der eine Vielzahl an Ermittlungsverfahren nach sich zog, von denen das Gros inzwischen eingestellt ist.

Doch nach Angaben ihres Verteidigers Thomas Morguet, der am Dienstag vor dem Leipziger Landgericht eine ausführliche Stellungnahme seiner Mandantin verlas, habe die 47-jährige Beamtin im Glauben gehandelt, rechtmäßig zu agieren.

Die suspendierte Polizistin habe ohne jegliche Erfahrung und Anleitung den Chefposten für die Asservatenkammer bei der (inzwischen aufgelösten) „Zentralen Bearbeitung Fahrradkriminalität“ übernommen, wo sie sich rasch mit einer rasanten Zunahme eingelagerter Räder aus Diebstahlshandlungen konfrontiert sah, die Lager seien bald voll gewesen. Doch überwiegend hätten sich weder Altbesitzer noch Versicherungen der Drahtesel an deren Rücknahme interessiert gezeigt.

Abgestellte Räder (Symbolbild). Foto: LZ
Sag mir, wo die Räder sind … (Symbolbild). Foto: LZ

In Abstimmung mit Vorgesetzten, ließ Anke S. ihren Anwalt erklären, habe man daher Fahrräder gegen Spenden an gemeinnützige Vereine abgeben wollen. Sie sei davon ausgegangen, dass es rechtens sei, und habe nicht nach einem persönlichen Vorteil gestrebt oder sich bereichert. Eine Spur gezahlter Gelder führte Ermittler später zu einem Gartenverein bei Leipzig, deren Vorsitz der Vater von Anke S. innehatte.

Unterschiedliche Auffassungen zu Straftatbestand und Strafmaß

Anke S. sitzt wegen Bestechlichkeit, Diebstahls, Verwahrungsbruchs und Urkundenfälschung auf der Anklagebank. Auch nach einem nicht-öffentlichen Rechtsgespräch am Dienstag, bei dem Gericht, Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigung einen möglichen Ausgang des Prozesses ausloteten, wurde klar, dass weiterhin Differenzen über die rechtliche Würdigung und das Strafmaß bestehen. So sei aus Sicht der Strafkammer gegen ein glaubhaftes Geständnis eine Gesamtgeldstrafe denkbar, erklärte der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr.

Demgegenüber hält die Staatsanwaltschaft bislang an einer Freiheitsstrafe fest, die möglicherweise zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Auch sehen die Anklagevertreter Torsten Keltsch und Christian Kuka derzeit weiterhin den Tatbestand des Diebstahls als erfüllt. Die Kammer dagegen hatte zuletzt angedeutet, diesen Punkt eventuell fallenzulassen, weil die Räder intern als herrenlos gegolten hätten. Stattdessen käme der Straftatbestand der Untreue in Betracht. „Die Vorstellungen sind unterschiedlicher Natur, die rechtliche Würdigung ist es auch“, fasste der Vorsitzende zusammen.

Die berufliche Zukunft der Angeklagten steht auf dem Spiel

Für den Fortgang des Prozesses ab 9. April finden sich nun zahlreiche Zeugenvernehmungen auf dem Programm. Für Anke S. steht dabei nicht weniger als ihre berufliche Zukunft auf dem Spiel. Sollte es zu mindestens einem Jahr Haft kommen – auch auf Bewährung – wäre das Dienstverhältnis zwingend zu beenden.

Bis Juni will man sich zur Aufklärung der Vorwürfe jetzt Zeit nehmen – zumindest dem aktuellen Plan nach. Ob die Verhandlung am Ende vielleicht doch ein wenig früher abgeschlossen werden kann, lässt sich momentan nicht absehen.

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Gemeinhin sind ja eher gemeinnützige Vereine Empfänger von Spenden und nicht die Polizei. Wenn beabsichtigt gewesen wäre, Vereine zu unterstützen, hätte man ihnen die Räder ja einfach überlassen können. Aber wieso landen “Spenden” bei einer Polizistin!?

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