Das sächsische Regierungskabinett hat am 1. Juni ein über 100-seitiges Energie- und Klimaprogramm (EKP) veröffentlicht, das lang erwartete Nachfolgeprogramm für das völlig ungenügende Programm von 2012. Das Bündnis „Sachsen fürs Klima“ hat sich das Papier jetzt genauer angeschaut und spendiert Lob – und kritisiert aber auch die unübersehbaren Löcher. Denn die wichtigsten Zielvorgaben fehlen.

Die Initiator/-innen von „Sachsen fürs Klima“, die am 21. Mai ein Forderungsschreiben und Eiffeltürme an den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) sowie die Staatsminister Wolfram Günther (B90/Grüne) und Martin Dulig (SPD) überreichten, veröffentlichen am Montag, 7. Juni, ihre Stellungnahme und umfangreiche Aufarbeitung des EKPs.Das neue Energie- und Klimaprogramm (EKP) für Sachsen festigt – das ist das Positive – die wichtige Aussage des Koalitionsvertrags von CDU, B’90/Grüne und SPD, dass bis 2024 die planerischen und gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden sollen, damit Sachsen nach dem Braunkohleausstieg seinen Energiebedarf bilanziell vollständig aus Erneuerbaren Energien decken können soll (Seite 47).

Von großer Tragweite ist aus Sicht des Bündnisses auch die Selbstverpflichtung, dass Sachsen sich nebeneinander dem großen Schritt, den der Kohleausstieg für Sachsen bedeutet, auch in den anderen Sektoren wie Verkehr, Wärmeversorgung und Landwirtschaft an den nationalen Zielen zur Treibhausgasminderung orientieren will (Seite 101).

„Das sind für uns starke Aussagen – und es zeigt, dass auch in Sachsen Klimaschutz endlich ernst genommen wird. Daran werden wir die Staatsregierung ab sofort bei jeglichem Handeln messen!“, erklärt Bettina van Suntum von Parents For Future Leipzig. „Mit Zielformulierungen ist jedoch noch kein einziges Gramm Emissionen eingespart. Wichtig ist, dass jetzt umgehend der im EKP verankerte Maßnahmenplan erstellt wird und die Umsetzung endlich Fahrt aufnimmt!“

Positiv werten die Klimaschützer/-innen auch, dass das neue EKP ein ganzheitliches Konzept ist, das viele Aspekte einbezieht sowie Klimaschutz und Klimaanpassung zusammendenkt. So ziehen sich durch das ganze Programm eindrückliche Aussagen zu lokalen Klimafolgen und Herausforderungen der Anpassung, z. B. aufgrund von Extremwetterereignissen, Hitze- und Trockenheitsperioden und weitere Gesundheitsgefahren (Seiten 62 und 91).

„Diese klaren Worte dürfen nicht nur auf dem Papier im EKP stehen – sondern müssen durch die Sächsische Staatsregierung konsequent nach außen getragen werden. Wir fordern eine ambitionierte Aufklärungskampagne, mit der die Regierung ihrem eigenen Anspruch nachkommt, die Akzeptanz für Klimaschutz in der Bevölkerung in Sachsen zu erhöhen. Sie sollte die Klimakrise und ihre unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen verständlich aufbereiten und zugleich die Chancen von effektivem Klimaschutz, insbesondere für die sächsische Wirtschaft, darstellen“, mahnt van Suntum.

Die Kritik des Kllimabündnisses

Aber obwohl das, was im EKP beschrieben wird, für das Braunkohleland Sachsen einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung markiert, sehen die Klimaschützer sich in der Pflicht, auf weit klaffende Lücken zum Erreichen der völkerrechtsverbindlichen Pariser Klimaziele hinzuweisen.

So sagt das Klima-Urteil des Verfassungsgerichts deutlich aus, dass es einen Budgetansatz für Emissionen braucht, um die Minderungslasten gerecht zwischen den Generationen zu verteilen – Jahreszahlen oder Prozentangaben reichen nicht aus. Die Klimaschützer/-innen zeigen sich schockiert, dass die Worte Budget oder Restemissionsmenge im gesamten Programm nicht vorkommen – auch nicht als zukünftig zu klärender Punkt.

Mitglieder der Scientists 4 Future weisen weiter darauf hin, dass zwischen den im EKP verfestigten Ausbauzielen der Erneuerbaren Energien bis 2030 und dem, was Sachsen anteilig an der deutschlandweiten Energiewende leisten müsste, noch immer eine große Lücke klafft. So wird dem großen Bedarf der Industrie nach grünem Strom nicht Rechnung getragen – mit fatalen Folgen für den Wirtschaftsstandort, warnen die Wissenschaftler/-innen. Das zur Ablösung der Braunkohle im Energie- und Klimaprogramm vorgesehen Erdgas als Energieträger (Seite 46) lehnen sie ab.

„Erdgas ist keine Übergangstechnologie, da es wegen hoher Transportemissionen einen ebenso hohen ökologischen Fußabdruck wie Braunkohle aufweist. Es ist nicht nur für die Erreichung der Klimaziele ungeeignet – vielmehr riskiert man mit dem Ausbau der Gasinfrastruktur Investruinen. Die Gesellschaft darf am Ende die Zeche bezahlen!“, warnt Wilhelm Stein von Scientists For Future Dresden.

Wo bleiben die Klimaschutzziele?

Weiter sind die Klimaengagierten bestürzt, wie unkonkret das EKP in den Zielformulierungen in sehr vielen Bereichen bleibt.

„Dass man den ÖPNV und Radverkehr steigern und in den Städten die Anzahl der individuellen PKW senken muss (Seite 66), ist von der Erkenntnis her so alt wie das Wort Klimaschutz. Ohne Angaben, wie viel Prozent damit gemeint ist, 5, 40 oder gar 90 Prozent, sind diese Aussagen bedeutungslos“, warnt Louise Hummel-Schröter von Parents For Future Dresden.

„Entsprechend groß sind unsere Vorbehalte gegenüber den Maßnahmen, die ja aus diesen Zielen abgeleitet werden sollen. Hier sind wirklich keine echten Ambitionen erkennbar – in der Verkehrswende wird alles offen gelassen!“

Weiter monieren die Klimaschützer/-innen, dass weitere wichtige Themen, die sie in ihrem Forderungsschreiben an die Sächsische Staatsregierung herangetragen hatten, im neuen EKP gänzlich fehlen. Das betrifft unter anderem die Vermeidung klimaschädlicher Vorhaben des Freistaats wie den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle und der A4 oder klimaschädliche Subventionen wie den staatlichen Verzicht auf gesetzliche Abgaben bei der Grundwasserförderung für den Braunkohlebergbau. Letzteres eine eindeutige Subvention des klimaschädlichen Energieträgers Braunkohle.

Für die Klimaschützer/-innen ist nun von entscheidender Bedeutung: Sobald auf nationaler Ebene Maßnahmen und Pläne vorliegen, müssen auch auf sächsischer Ebene das Gesamtminderungsziel und die Sektorenziele vorgelegt werden.

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