Wenn es nach Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) geht, dann werden in Sachsen ab 2023 die Daumenschrauben angelegt und der Haushalt wird kräftig zusammengestrichen. Denn dann will er den Abbau der für den Corona-Sonderfonds aufgenommenen Kredite beginnen und beruft sich dabei auf die vom Landtag 2013 in die Verfassung aufgenommene „Schuldenbremse“, die ausgerechnet in einer Krise wie der jetzigen fatale Folgen hat. Die Linksfraktion will das jetzt begutachten lassen.

Die Linksfraktion fordert die Staatsregierung auf (Drucksache 7/7337), dem Landtag ein Gutachten zu den Folgen der sogenannten Schuldenbremse in Sachsen vorzulegen. Damit soll sie eine geeignete unabhängige Institution beauftragen.Insbesondere soll untersucht werden, welche Folgen verschiedene Tilgungsfristen bei den Corona-Krediten für die möglichen Ausgaben in den Bereichen Wirtschaft, Bildungssystem, Sozialstaat, Infrastruktur oder das Gesundheitssystem hätten. Sollte die Koalition diesen Antrag ablehnen, will die Linksfraktion selbst ein solches Gutachten in Auftrag geben.

„Im April 2020 hat der Landtag die Staatsregierung ermächtigt, Kredite von bis zu sechs Milliarden Euro aufzunehmen, um die Corona-Pandemie zu bewältigen. Verbunden war der Beschluss mit der Absicht, die in der Sächsischen Verfassung getroffenen Regelungen zur Berechnung der Normallage und zum Tilgungsziel einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen‘.

Seitdem schiebt die Koalition das Thema auf die lange Bank und erscheint in dieser Frage als heillos zerstritten“, geht Nico Brünler, Sprecher für Haushalts- und Finanzpolitik der Linksfraktion im Landtag, auf das Problem ein, das sich da auf einmal – na hoppla – vor aller Augen auftut.

Denn in ihrem Rausch haben die Abgeordneten des sächsischen Landtags 2013 auch eine Tilgungsfrist von acht Jahren in die Verfassung geschrieben. Ohne je darüber nachgedacht zu haben, was das bedeutet, wenn man in einer unerwarteten Krise wie der Corona-Pandemie kurzfristig Milliarden Euro an Krediten aufnehmen muss, um Steuerausfälle auszugleichen und Kommunen und Wirtschaft das Überleben zu sichern.

Immerhin sechs Milliarden Euro hat der Landtag für den Corona-Bewältigungsfonds bewilligt. Würde die volle Summe ausgegeben, würde Sachsen schon ab 2023 mit 900 Millionen Euro jedes Jahr in die Tilgung einsteigen müssen.

Und das wäre ohne wirklich rabiate Einschnitte in die Ausgaben des Freistaats schlicht nicht zu machen.

„Vor allem bei der CDU stehen offensichtlich Glaubensfragen im Mittelpunkt, die naturgemäß in der Regel nicht auf objektiven Fakten beruhen. Solche Fakten zu den Folgen der bisherigen Regeln wollen wir mit einem Gutachten beschaffen. Sollte die Koalition diese unabhängige Analyse nicht einholen wollen, werden wir selbst eine solche Untersuchung in Auftrag geben“, sagt Brünler. Die Kurzfristigkeit der Tilgung nähme Sachsen jeden Spielraum, noch zukunftsfähig agieren zu können.

Eine völlig undurchdachte 8-Jahres-Regel

„Die Landesverfassung muss geändert und die 8-Jahre-Regel auf einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren ausgedehnt werden. Für diese Forderung erhalten wir auch Rückenwind von von linken Umtrieben gänzlich unverdächtigen Wissenschaftlern wie Prof. Joachim Ragnitz vom ifo-Institut. Die Schuldenbremse ist eigentlich eine Investitionsbremse und damit weder zeitgemäß noch hilfreich, vor allem in ihrer in Sachsen besonders strikten Ausprägung. Wenn wir jetzt nicht handeln und die Koalition weiter streitet, werden insbesondere Investitionen in Soziales, Gesundheit und Infrastruktur unterbleiben müssen. Das wäre nicht generationengerecht“, so Brünler. „Eine intakte Infrastruktur, beispielsweise flächendeckende Breitbandanschlüsse, bringt unseren Kindern und Enkeln mehr als der Fetisch ‚Schwarze Null‘.“

Seine Fraktion bezweifele insbesondere, dass es sinnvoll sei, haushaltspolitische Spielräume erst im Abschwung beziehungsweise in einer Notlage erweitern zu können.

„Öffentliche Investitionen können so keine stabilisierende Wirkung entfalten. Beim gegenwärtigen Zinsumfeld lässt der Staat sogar auf dem Bürgersteig liegendes Geld einfach liegen, anstatt in kreditfinanzierte Zukunftsprojekte zu investieren“, betont Brünler. „Man denke nur an die Energiewende oder den Breitbandausbau.“

Wie wenig die 2013 mit so viel Druck in die Verfassung gebrachte „Schuldenbremse“ mit der Realität des sächsischen Haushalts zu tun hat, zeigt der simple Blick auf die Tilgungsrate, mit der Sachsen bislang seine alten Schulden aus den 1990er Jahren abbaut – oder besser: abgenagt hat. Denn das waren lediglich 75 Millionen Euro pro Jahr.

Mit der 8-Jahre-Regel aber würde sich die Tilgungsrate sofort mehr als verzehnfachen. Und den eh schon durch Steuerausfälle geschwächten Haushalt zusätzlich schwächen. Kein vernünftiger Finanzminister macht so etwas. Bei einer Tilgungsfrist von 20 Jahren würde die Rate auf 300 Millionen Euro pro Jahr sinken, bei einer Frist von 30 Jahren auf 200 Millionen. Beides immer noch enorme Beträge, verglichen mit den bislang 75 Millionen Euro. Aber mit den vollen 6 Milliarden Euro würde Sachsen ja seinen Schuldenberg tatsächlich mehr als verdoppeln – von 5 auf 11 Milliarden Euro.

Wobei schon die letzten Zahlen, die publik wurden, darauf hindeuteten, dass es keine 6 Milliarden Euro werden, sondern eher 4 Milliarden. Was natürlich von den tatsächlichen Steuereinnahmen abhängt. Denn je kleiner die Lücke zu den Haushaltsplanungen ist, umso weniger Kredite werden benötigt. Und natürlich macht es einen gewaltigen Unterschied, ob Sachsen jedes Jahr zusätzlich 300 Millionen Euro Kredite abträgt oder 900 Millionen Euro.

Wobei die größten Summen erst ab 2024 aufschlagen, denn bislang geht das Finanzministerium davon aus, dass 2023 die ersten 375 Millionen Euro getilgt werden und 2024 dann erstmals 705 Millionen Euro.

Wobei die Lage gar nicht so dramatisch aussieht, wie der Finanzminister sie ausmalt, denn gleichzeitig führt Sachsen jedes Jahr über 800, bald 900 Millionen Euro (841 Millionen Euro allein 2021) in den Generationenfonds ab, mit dem die Altersbezüge der Staatsbediensteten abgesichert werden. Der Fonds hat mittlerweile einen Umfang von rund 9 Milliarden Euro.

Und da jedes Jahr nur um die 150 bis 200 Millionen Euro verbraucht werden, hätte der Freistaat hier durchaus Spielraum gehabt, die Zuflüsse zum Fonds zeitweilig zu drosseln, um Geld für die Corona-Krisenbewältigung freibekommen. Sachsen hätte eigentlich gar keine neuen Schulden machen müssen

Brünler hat durchaus recht, wenn er der CDU hier Glaubensfragen vorwirft. Denn mit einer realistischen Finanzverwaltung hat das wenig zu tun.

Um die bis zu 600 Millionen Euro Unterschied bei der Tilgung geht es der Linksfraktion. Denn es ist überhaupt nicht geklärt, wo der Finanzminister eigentlich die Schere ansetzen will und welchen Schaden das mittel- und langfristig in Sachsen anrichtet. Gerade jetzt, da auch Sachsen massiv in Klimaanpassung und Energiewende investieren muss.

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